Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Munde. Wie hätte diese, schon in der eignen
Heimath halbtodte Sprache, lebendig überlie¬
fert werden können an ein fremdes Volk?
Wie sollte sie es jezt können an uns Deutsche?
Was ferner das in jenen beiden Ausdrücken
liegende Sinnbild eines geistigen betrift, so
liegt in der Popularität schon ursprünglich eine
Schlechtigkeit, die durch das Verderben der
Nation und ihrer Verfassung in ihrem Munde
zur Tugend verdreht wurde. Der Deutsche
geht in diese Verdrehung, so wie sie ihm nur
in seiner eignen Sprache dargeboten wird,
nimmer ein. Zur Uebersetzung der Liberalität
aber dadurch, daß ein Mensch keine Sklaven-
Seele, oder, wenn es in die neue Sitte ein¬
geführt wird, keine Lakayen-Denkart habe,
antwortet er abermals, daß auch dies sehr we¬
nig gesagt heiße.

Nun hat man aber noch ferner in diese,
schon in ihrer reinen Gestalt bei den Römern
auf einer tiefen Stufe der sittlichen Bildung
entstandene, oder geradezu eine Schlechtigkeit
bezeichnenden Sinnbilder in der Fortentwiklung
der neulateinischen Sprachen den Begriff von
Mangel an Ernst über die gesellschaftlichen
Verhältnisse, den des sich Wegwerfens, den der

Munde. Wie haͤtte dieſe, ſchon in der eignen
Heimath halbtodte Sprache, lebendig uͤberlie¬
fert werden koͤnnen an ein fremdes Volk?
Wie ſollte ſie es jezt koͤnnen an uns Deutſche?
Was ferner das in jenen beiden Ausdruͤcken
liegende Sinnbild eines geiſtigen betrift, ſo
liegt in der Popularitaͤt ſchon urſpruͤnglich eine
Schlechtigkeit, die durch das Verderben der
Nation und ihrer Verfaſſung in ihrem Munde
zur Tugend verdreht wurde. Der Deutſche
geht in dieſe Verdrehung, ſo wie ſie ihm nur
in ſeiner eignen Sprache dargeboten wird,
nimmer ein. Zur Ueberſetzung der Liberalitaͤt
aber dadurch, daß ein Menſch keine Sklaven-
Seele, oder, wenn es in die neue Sitte ein¬
gefuͤhrt wird, keine Lakayen-Denkart habe,
antwortet er abermals, daß auch dies ſehr we¬
nig geſagt heiße.

Nun hat man aber noch ferner in dieſe,
ſchon in ihrer reinen Geſtalt bei den Roͤmern
auf einer tiefen Stufe der ſittlichen Bildung
entſtandene, oder geradezu eine Schlechtigkeit
bezeichnenden Sinnbilder in der Fortentwiklung
der neulateiniſchen Sprachen den Begriff von
Mangel an Ernſt uͤber die geſellſchaftlichen
Verhaͤltniſſe, den des ſich Wegwerfens, den der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0143" n="137"/>
Munde. Wie ha&#x0364;tte die&#x017F;e, &#x017F;chon in der eignen<lb/>
Heimath halbtodte Sprache, lebendig u&#x0364;berlie¬<lb/>
fert werden ko&#x0364;nnen an ein fremdes Volk?<lb/>
Wie &#x017F;ollte &#x017F;ie es jezt ko&#x0364;nnen an uns Deut&#x017F;che?<lb/>
Was ferner das in jenen beiden Ausdru&#x0364;cken<lb/>
liegende Sinnbild eines gei&#x017F;tigen betrift, &#x017F;o<lb/>
liegt in der Popularita&#x0364;t &#x017F;chon ur&#x017F;pru&#x0364;nglich eine<lb/>
Schlechtigkeit, die durch das Verderben der<lb/>
Nation und ihrer Verfa&#x017F;&#x017F;ung in ihrem Munde<lb/>
zur Tugend verdreht wurde. Der Deut&#x017F;che<lb/>
geht in die&#x017F;e Verdrehung, &#x017F;o wie &#x017F;ie ihm nur<lb/>
in &#x017F;einer eignen Sprache dargeboten wird,<lb/>
nimmer ein. Zur Ueber&#x017F;etzung der Liberalita&#x0364;t<lb/>
aber dadurch, daß ein Men&#x017F;ch keine Sklaven-<lb/>
Seele, oder, wenn es in die neue Sitte ein¬<lb/>
gefu&#x0364;hrt wird, keine Lakayen-Denkart habe,<lb/>
antwortet er abermals, daß auch dies &#x017F;ehr we¬<lb/>
nig ge&#x017F;agt heiße.</p><lb/>
        <p>Nun hat man aber noch ferner in die&#x017F;e,<lb/>
&#x017F;chon in ihrer reinen Ge&#x017F;talt bei den Ro&#x0364;mern<lb/>
auf einer tiefen Stufe der &#x017F;ittlichen Bildung<lb/>
ent&#x017F;tandene, oder geradezu eine Schlechtigkeit<lb/>
bezeichnenden Sinnbilder in der Fortentwiklung<lb/>
der neulateini&#x017F;chen Sprachen den Begriff von<lb/>
Mangel an Ern&#x017F;t u&#x0364;ber die ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen<lb/>
Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e, den des &#x017F;ich Wegwerfens, den der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0143] Munde. Wie haͤtte dieſe, ſchon in der eignen Heimath halbtodte Sprache, lebendig uͤberlie¬ fert werden koͤnnen an ein fremdes Volk? Wie ſollte ſie es jezt koͤnnen an uns Deutſche? Was ferner das in jenen beiden Ausdruͤcken liegende Sinnbild eines geiſtigen betrift, ſo liegt in der Popularitaͤt ſchon urſpruͤnglich eine Schlechtigkeit, die durch das Verderben der Nation und ihrer Verfaſſung in ihrem Munde zur Tugend verdreht wurde. Der Deutſche geht in dieſe Verdrehung, ſo wie ſie ihm nur in ſeiner eignen Sprache dargeboten wird, nimmer ein. Zur Ueberſetzung der Liberalitaͤt aber dadurch, daß ein Menſch keine Sklaven- Seele, oder, wenn es in die neue Sitte ein¬ gefuͤhrt wird, keine Lakayen-Denkart habe, antwortet er abermals, daß auch dies ſehr we¬ nig geſagt heiße. Nun hat man aber noch ferner in dieſe, ſchon in ihrer reinen Geſtalt bei den Roͤmern auf einer tiefen Stufe der ſittlichen Bildung entſtandene, oder geradezu eine Schlechtigkeit bezeichnenden Sinnbilder in der Fortentwiklung der neulateiniſchen Sprachen den Begriff von Mangel an Ernſt uͤber die geſellſchaftlichen Verhaͤltniſſe, den des ſich Wegwerfens, den der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/143
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/143>, abgerufen am 21.11.2024.