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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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zu verwahren. Sie sind wahr in folgendem
doppelten aber beschränkten Sinne; zuförderst,
daß Wissenschaft oder Kunst dem Leben auf einer
gewissen niedern Stufe, z. B. dem irrdischen und
sinnlichen Leben, oder der gemeinen Erbaulich¬
keit, wie einige gedacht haben, nicht müsse die¬
nen wollen; sodann, daß ein Einzelner, zufolge
seiner persönlichen Abgeschiedenheit vom Gan¬
zen einer Geisterwelt, in diesen besondern Zwei¬
gen des allgemeinen göttlichen Lebens, völlig
aufgehen könne, ohne eines außer ihnen lie¬
genden Antriebes zu bedürfen, und volle Be¬
friedigung in ihnen finden könne. Keines¬
weges aber sind sie wahr in strenger Bedeutung,
denn es ist eben so unmöglich, daß es mehrere
Selbstzwecke gebe, als es unmöglich ist, daß es
mehrere Absolute gebe. Der einige Selbst¬
zweck, außer welchem es keinen andern geben
kann, ist das geistige Leben. Dieses äußert sich
nun zum Theil und erscheint als ein ewiger
Fortfluß aus ihm selber, als Quell, d. i. als
ewige Thätigkeit. Diese Thätigkeit erhält ewig
fort ihr Musterbild von der Wissenschaft,
die Geschicklichkeit, nach diesem Bilde sich zu
gestalten, von der Kunst, und in soweit könnte

zu verwahren. Sie ſind wahr in folgendem
doppelten aber beſchraͤnkten Sinne; zufoͤrderſt,
daß Wiſſenſchaft oder Kunſt dem Leben auf einer
gewiſſen niedern Stufe, z. B. dem irrdiſchen und
ſinnlichen Leben, oder der gemeinen Erbaulich¬
keit, wie einige gedacht haben, nicht muͤſſe die¬
nen wollen; ſodann, daß ein Einzelner, zufolge
ſeiner perſoͤnlichen Abgeſchiedenheit vom Gan¬
zen einer Geiſterwelt, in dieſen beſondern Zwei¬
gen des allgemeinen goͤttlichen Lebens, voͤllig
aufgehen koͤnne, ohne eines außer ihnen lie¬
genden Antriebes zu beduͤrfen, und volle Be¬
friedigung in ihnen finden koͤnne. Keines¬
weges aber ſind ſie wahr in ſtrenger Bedeutung,
denn es iſt eben ſo unmoͤglich, daß es mehrere
Selbſtzwecke gebe, als es unmoͤglich iſt, daß es
mehrere Abſolute gebe. Der einige Selbſt¬
zweck, außer welchem es keinen andern geben
kann, iſt das geiſtige Leben. Dieſes aͤußert ſich
nun zum Theil und erſcheint als ein ewiger
Fortfluß aus ihm ſelber, als Quell, d. i. als
ewige Thaͤtigkeit. Dieſe Thaͤtigkeit erhaͤlt ewig
fort ihr Muſterbild von der Wiſſenſchaft,
die Geſchicklichkeit, nach dieſem Bilde ſich zu
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[149/0155] zu verwahren. Sie ſind wahr in folgendem doppelten aber beſchraͤnkten Sinne; zufoͤrderſt, daß Wiſſenſchaft oder Kunſt dem Leben auf einer gewiſſen niedern Stufe, z. B. dem irrdiſchen und ſinnlichen Leben, oder der gemeinen Erbaulich¬ keit, wie einige gedacht haben, nicht muͤſſe die¬ nen wollen; ſodann, daß ein Einzelner, zufolge ſeiner perſoͤnlichen Abgeſchiedenheit vom Gan¬ zen einer Geiſterwelt, in dieſen beſondern Zwei¬ gen des allgemeinen goͤttlichen Lebens, voͤllig aufgehen koͤnne, ohne eines außer ihnen lie¬ genden Antriebes zu beduͤrfen, und volle Be¬ friedigung in ihnen finden koͤnne. Keines¬ weges aber ſind ſie wahr in ſtrenger Bedeutung, denn es iſt eben ſo unmoͤglich, daß es mehrere Selbſtzwecke gebe, als es unmoͤglich iſt, daß es mehrere Abſolute gebe. Der einige Selbſt¬ zweck, außer welchem es keinen andern geben kann, iſt das geiſtige Leben. Dieſes aͤußert ſich nun zum Theil und erſcheint als ein ewiger Fortfluß aus ihm ſelber, als Quell, d. i. als ewige Thaͤtigkeit. Dieſe Thaͤtigkeit erhaͤlt ewig fort ihr Muſterbild von der Wiſſenſchaft, die Geſchicklichkeit, nach dieſem Bilde ſich zu geſtalten, von der Kunſt, und in ſoweit koͤnnte

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/155>, abgerufen am 21.11.2024.