dieser bescheiden sich begnügte. So eines Be¬ sitzers der lebendigen Sprache Denken nicht lebendig wird, so kann man einen solchen ohne Bedenken beschuldigen, daß er gar nicht ge¬ dacht, sondern nur geschwärmt habe. Den Besitzer einer todten Sprache kann man in demselben Falle dessen nicht sofort beschuldi¬ gen; gedacht mag er allerdings haben nach seiner Weise, die in seiner Sprache niederge¬ legten Begriffe sorgfältig entwikelt; er hat nur das nicht gethan, was, falls es ihm gelänge, einem Wunder gleich zu achten wäre.
Es erhellet im Vorbeigehen, daß beim Volke einer todten Sprache im Anfange, wie die Sprache noch nicht allseitig klar genug ist, der Trieb des Denkens noch am kräftigsten wal¬ ten, und die scheinbarsten Erzeugnisse hervor¬ bringen werde; daß aber dieser, so wie die Sprache klarer und bestimmter wird, in den Fesseln derselben immermehr ersterben; und daß zulezt die Philosophie eines solchen Volks mit eignem Bewußtseyn sich bescheiden wird, daß sie nur eine Erklärung des Wörterbuchs, oder wie undeutscher Geist unter uns dies hochtö¬ nender ausgedrückt hat, eine Metakritik der
dieſer beſcheiden ſich begnuͤgte. So eines Be¬ ſitzers der lebendigen Sprache Denken nicht lebendig wird, ſo kann man einen ſolchen ohne Bedenken beſchuldigen, daß er gar nicht ge¬ dacht, ſondern nur geſchwaͤrmt habe. Den Beſitzer einer todten Sprache kann man in demſelben Falle deſſen nicht ſofort beſchuldi¬ gen; gedacht mag er allerdings haben nach ſeiner Weiſe, die in ſeiner Sprache niederge¬ legten Begriffe ſorgfaͤltig entwikelt; er hat nur das nicht gethan, was, falls es ihm gelaͤnge, einem Wunder gleich zu achten waͤre.
Es erhellet im Vorbeigehen, daß beim Volke einer todten Sprache im Anfange, wie die Sprache noch nicht allſeitig klar genug iſt, der Trieb des Denkens noch am kraͤftigſten wal¬ ten, und die ſcheinbarſten Erzeugniſſe hervor¬ bringen werde; daß aber dieſer, ſo wie die Sprache klarer und beſtimmter wird, in den Feſſeln derſelben immermehr erſterben; und daß zulezt die Philoſophie eines ſolchen Volks mit eignem Bewußtſeyn ſich beſcheiden wird, daß ſie nur eine Erklaͤrung des Woͤrterbuchs, oder wie undeutſcher Geiſt unter uns dies hochtoͤ¬ nender ausgedruͤckt hat, eine Metakritik der
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0160"n="154"/>
dieſer beſcheiden ſich begnuͤgte. So eines Be¬<lb/>ſitzers der lebendigen Sprache Denken nicht<lb/>
lebendig wird, ſo kann man einen ſolchen ohne<lb/>
Bedenken beſchuldigen, daß er gar nicht ge¬<lb/>
dacht, ſondern nur geſchwaͤrmt habe. Den<lb/>
Beſitzer einer todten Sprache kann man in<lb/>
demſelben Falle deſſen nicht ſofort beſchuldi¬<lb/>
gen; gedacht mag er allerdings haben nach<lb/>ſeiner Weiſe, die in ſeiner Sprache niederge¬<lb/>
legten Begriffe ſorgfaͤltig entwikelt; er hat nur<lb/>
das nicht gethan, was, falls es ihm gelaͤnge,<lb/>
einem Wunder gleich zu achten waͤre.</p><lb/><p>Es erhellet im Vorbeigehen, daß beim Volke<lb/>
einer todten Sprache im Anfange, wie die<lb/>
Sprache noch nicht allſeitig klar genug iſt, der<lb/>
Trieb des Denkens noch am kraͤftigſten wal¬<lb/>
ten, und die ſcheinbarſten Erzeugniſſe hervor¬<lb/>
bringen werde; daß aber dieſer, ſo wie die<lb/>
Sprache klarer und beſtimmter wird, in den<lb/>
Feſſeln derſelben immermehr erſterben; und daß<lb/>
zulezt die Philoſophie eines ſolchen Volks mit<lb/>
eignem Bewußtſeyn ſich beſcheiden wird, daß<lb/>ſie nur eine Erklaͤrung des Woͤrterbuchs, oder<lb/>
wie undeutſcher Geiſt unter uns dies hochtoͤ¬<lb/>
nender ausgedruͤckt hat, eine Metakritik der<lb/></p></div></body></text></TEI>
[154/0160]
dieſer beſcheiden ſich begnuͤgte. So eines Be¬
ſitzers der lebendigen Sprache Denken nicht
lebendig wird, ſo kann man einen ſolchen ohne
Bedenken beſchuldigen, daß er gar nicht ge¬
dacht, ſondern nur geſchwaͤrmt habe. Den
Beſitzer einer todten Sprache kann man in
demſelben Falle deſſen nicht ſofort beſchuldi¬
gen; gedacht mag er allerdings haben nach
ſeiner Weiſe, die in ſeiner Sprache niederge¬
legten Begriffe ſorgfaͤltig entwikelt; er hat nur
das nicht gethan, was, falls es ihm gelaͤnge,
einem Wunder gleich zu achten waͤre.
Es erhellet im Vorbeigehen, daß beim Volke
einer todten Sprache im Anfange, wie die
Sprache noch nicht allſeitig klar genug iſt, der
Trieb des Denkens noch am kraͤftigſten wal¬
ten, und die ſcheinbarſten Erzeugniſſe hervor¬
bringen werde; daß aber dieſer, ſo wie die
Sprache klarer und beſtimmter wird, in den
Feſſeln derſelben immermehr erſterben; und daß
zulezt die Philoſophie eines ſolchen Volks mit
eignem Bewußtſeyn ſich beſcheiden wird, daß
ſie nur eine Erklaͤrung des Woͤrterbuchs, oder
wie undeutſcher Geiſt unter uns dies hochtoͤ¬
nender ausgedruͤckt hat, eine Metakritik der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/160>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.