Sprache sey; zu allerlezt, daß ein solches Volk etwa ein mittelmäßiges Lehrgedicht über die Heuchelei in Komödien-Form für ihr größtes philosophisches Werk anerkennen wird.
In dieser Weise, sage ich, fließt die geistige Bil¬ dung, und hier insbesondre das Denken in einer Ursprache nicht ein in das Leben, sondern es ist selbst Leben des also Denkenden. Doch strebt es nothwendig aus diesem also denkenden Leben einzufließen auf anderes Leben außer ihm, und so auf das vorhandene allgemeine Leben, und dieses nach sich zu gestalten. Denn eben weil jenes Denken Leben ist, wird es gefühlt von seinem Besitzer mit innigem Wohlgefallen, in seiner belebenden, verklärenden, und befreien¬ den Kraft. Aber jeder, dem Heil aufgegangen ist in seinem Innern, will nothwendig, daß allen andern dasselbe Heil wiederfahre, und er ist so getrieben, und muß arbeiten, daß die Quelle, aus der ihm sein Wohlseyn aufging, auch über andre sich verbreite. Anders derje¬ nige, der bloß ein fremdes Denken, als ein mögliches begriffen hat. So wie ihm selber dessen Inhalt weder Wohl noch Wehe giebt, sondern es nur seine Muße angenehm beschäf¬
Sprache ſey; zu allerlezt, daß ein ſolches Volk etwa ein mittelmaͤßiges Lehrgedicht uͤber die Heuchelei in Komoͤdien-Form fuͤr ihr groͤßtes philoſophiſches Werk anerkennen wird.
In dieſer Weiſe, ſage ich, fließt die geiſtige Bil¬ dung, und hier insbeſondre das Denken in einer Urſprache nicht ein in das Leben, ſondern es iſt ſelbſt Leben des alſo Denkenden. Doch ſtrebt es nothwendig aus dieſem alſo denkenden Leben einzufließen auf anderes Leben außer ihm, und ſo auf das vorhandene allgemeine Leben, und dieſes nach ſich zu geſtalten. Denn eben weil jenes Denken Leben iſt, wird es gefuͤhlt von ſeinem Beſitzer mit innigem Wohlgefallen, in ſeiner belebenden, verklaͤrenden, und befreien¬ den Kraft. Aber jeder, dem Heil aufgegangen iſt in ſeinem Innern, will nothwendig, daß allen andern daſſelbe Heil wiederfahre, und er iſt ſo getrieben, und muß arbeiten, daß die Quelle, aus der ihm ſein Wohlſeyn aufging, auch uͤber andre ſich verbreite. Anders derje¬ nige, der bloß ein fremdes Denken, als ein moͤgliches begriffen hat. So wie ihm ſelber deſſen Inhalt weder Wohl noch Wehe giebt, ſondern es nur ſeine Muße angenehm beſchaͤf¬
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Sprache ſey; zu allerlezt, daß ein ſolches Volk
etwa ein mittelmaͤßiges Lehrgedicht uͤber die
Heuchelei in Komoͤdien-Form fuͤr ihr groͤßtes
philoſophiſches Werk anerkennen wird.
In dieſer Weiſe, ſage ich, fließt die geiſtige Bil¬
dung, und hier insbeſondre das Denken in einer
Urſprache nicht ein in das Leben, ſondern es
iſt ſelbſt Leben des alſo Denkenden. Doch ſtrebt
es nothwendig aus dieſem alſo denkenden Leben
einzufließen auf anderes Leben außer ihm,
und ſo auf das vorhandene allgemeine Leben,
und dieſes nach ſich zu geſtalten. Denn eben
weil jenes Denken Leben iſt, wird es gefuͤhlt von
ſeinem Beſitzer mit innigem Wohlgefallen, in
ſeiner belebenden, verklaͤrenden, und befreien¬
den Kraft. Aber jeder, dem Heil aufgegangen
iſt in ſeinem Innern, will nothwendig, daß
allen andern daſſelbe Heil wiederfahre, und er
iſt ſo getrieben, und muß arbeiten, daß die
Quelle, aus der ihm ſein Wohlſeyn aufging,
auch uͤber andre ſich verbreite. Anders derje¬
nige, der bloß ein fremdes Denken, als ein
moͤgliches begriffen hat. So wie ihm ſelber
deſſen Inhalt weder Wohl noch Wehe giebt,
ſondern es nur ſeine Muße angenehm beſchaͤf¬
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/161>, abgerufen am 24.11.2024.
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