Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

gelebt wird, vermehren und verändern die
Worte, und ihre Bedeutungen sich immerfort,
und eben dadurch werden neue Zusammenstel¬
lungen möglich, und die Sprache, die niemals
ist, sondern ewig fort wird, redet sich nicht
selbst, sondern wer sie gebrauchen will, muß
eben selber nach seiner Weise, und schöpferisch
für sein Bedürfniß, sie reden. Ohne Zweifel
erfordert das lezte weit mehr Fleiß und Uebun¬
gen, denn das erste. Eben so gehen, wie
schon oben gesagt, die Untersuchungen des
Volks einer lebendigen Sprache bis auf die
Wurzel der Ausströmung der Begriffe aus der
geistigen Natur selbst; dagegen die einer tod¬
ten Sprache nur einen fremden Begriff zu
durchdringen, und sich begreiflich zu machen
suchen, und so in der That nur geschichtlich,
und auslegend, jene ersten aber wahrhaft phi¬
losophisch sind. Es begreift sich, daß eine
Untersuchung von der lezten Art eher, und
leichter abgeschlossen werden möge, denn eine
von der ersten.

Nach allem wird der ausländische Genius
die betretenen Heerbahnen des Alterthums mit
Blumen bestreuen, und der Lebensweisheit,

gelebt wird, vermehren und veraͤndern die
Worte, und ihre Bedeutungen ſich immerfort,
und eben dadurch werden neue Zuſammenſtel¬
lungen moͤglich, und die Sprache, die niemals
iſt, ſondern ewig fort wird, redet ſich nicht
ſelbſt, ſondern wer ſie gebrauchen will, muß
eben ſelber nach ſeiner Weiſe, und ſchoͤpferiſch
fuͤr ſein Beduͤrfniß, ſie reden. Ohne Zweifel
erfordert das lezte weit mehr Fleiß und Uebun¬
gen, denn das erſte. Eben ſo gehen, wie
ſchon oben geſagt, die Unterſuchungen des
Volks einer lebendigen Sprache bis auf die
Wurzel der Ausſtroͤmung der Begriffe aus der
geiſtigen Natur ſelbſt; dagegen die einer tod¬
ten Sprache nur einen fremden Begriff zu
durchdringen, und ſich begreiflich zu machen
ſuchen, und ſo in der That nur geſchichtlich,
und auslegend, jene erſten aber wahrhaft phi¬
loſophiſch ſind. Es begreift ſich, daß eine
Unterſuchung von der lezten Art eher, und
leichter abgeſchloſſen werden moͤge, denn eine
von der erſten.

Nach allem wird der auslaͤndiſche Genius
die betretenen Heerbahnen des Alterthums mit
Blumen beſtreuen, und der Lebensweisheit,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0173" n="167"/>
gelebt wird, vermehren und vera&#x0364;ndern die<lb/>
Worte, und ihre Bedeutungen &#x017F;ich immerfort,<lb/>
und eben dadurch werden neue Zu&#x017F;ammen&#x017F;tel¬<lb/>
lungen mo&#x0364;glich, und die Sprache, die niemals<lb/>
i&#x017F;t, &#x017F;ondern ewig fort wird, redet &#x017F;ich nicht<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;ondern wer &#x017F;ie gebrauchen will, muß<lb/>
eben &#x017F;elber nach &#x017F;einer Wei&#x017F;e, und &#x017F;cho&#x0364;pferi&#x017F;ch<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ein Bedu&#x0364;rfniß, &#x017F;ie reden. Ohne Zweifel<lb/>
erfordert das lezte weit mehr Fleiß und Uebun¬<lb/>
gen, denn das er&#x017F;te. Eben &#x017F;o gehen, wie<lb/>
&#x017F;chon oben ge&#x017F;agt, die Unter&#x017F;uchungen des<lb/>
Volks einer lebendigen Sprache bis auf die<lb/>
Wurzel der Aus&#x017F;tro&#x0364;mung der Begriffe aus der<lb/>
gei&#x017F;tigen Natur &#x017F;elb&#x017F;t; dagegen die einer tod¬<lb/>
ten Sprache nur einen fremden Begriff zu<lb/>
durchdringen, und &#x017F;ich begreiflich zu machen<lb/>
&#x017F;uchen, und &#x017F;o in der That nur ge&#x017F;chichtlich,<lb/>
und auslegend, jene er&#x017F;ten aber wahrhaft phi¬<lb/>
lo&#x017F;ophi&#x017F;ch &#x017F;ind. Es begreift &#x017F;ich, daß eine<lb/>
Unter&#x017F;uchung von der lezten Art eher, und<lb/>
leichter abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werden mo&#x0364;ge, denn eine<lb/>
von der er&#x017F;ten.</p><lb/>
        <p>Nach allem wird der ausla&#x0364;ndi&#x017F;che Genius<lb/>
die betretenen Heerbahnen des Alterthums mit<lb/>
Blumen be&#x017F;treuen, und der Lebensweisheit,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0173] gelebt wird, vermehren und veraͤndern die Worte, und ihre Bedeutungen ſich immerfort, und eben dadurch werden neue Zuſammenſtel¬ lungen moͤglich, und die Sprache, die niemals iſt, ſondern ewig fort wird, redet ſich nicht ſelbſt, ſondern wer ſie gebrauchen will, muß eben ſelber nach ſeiner Weiſe, und ſchoͤpferiſch fuͤr ſein Beduͤrfniß, ſie reden. Ohne Zweifel erfordert das lezte weit mehr Fleiß und Uebun¬ gen, denn das erſte. Eben ſo gehen, wie ſchon oben geſagt, die Unterſuchungen des Volks einer lebendigen Sprache bis auf die Wurzel der Ausſtroͤmung der Begriffe aus der geiſtigen Natur ſelbſt; dagegen die einer tod¬ ten Sprache nur einen fremden Begriff zu durchdringen, und ſich begreiflich zu machen ſuchen, und ſo in der That nur geſchichtlich, und auslegend, jene erſten aber wahrhaft phi¬ loſophiſch ſind. Es begreift ſich, daß eine Unterſuchung von der lezten Art eher, und leichter abgeſchloſſen werden moͤge, denn eine von der erſten. Nach allem wird der auslaͤndiſche Genius die betretenen Heerbahnen des Alterthums mit Blumen beſtreuen, und der Lebensweisheit,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/173
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/173>, abgerufen am 21.11.2024.