Ist daher, wie wir voraussetzen, irgend ein gegebener Willensentschluß in seinem Inhalte bloße Erscheinung, so ist er insofern in der That nicht frei, erstes und ursprüngliches, sondern er ist nothwendig, und ein zweites, aus einem höhern Ersten, dem Gesetze der Erscheinung überhaupt, also wie es ist, hervorgehendes Glied. Da nun, wie auch hier mehrmals erinnert wor¬ den, das Denken des Menschen denselben also vor ihn selber hinstellt, wie er wirklich ist, und im¬ merfort der treue Abdruk und Spiegel seines Innern bleibt, so kann ein solcher Willens¬ entschluß, obwohl er auf den ersten Blik, da er ja ein Willensentschluß ist, als frei erscheint, dennoch dem wiederholten, und tiefern Denken keinesweges also erscheinen, sondern er muß in diesem als nothwendig gedacht werden, wie er es denn wirklich und in der That ist. Für solche, deren Willen sich noch in keinen höhern Kreis aufgeschwungen hat, als in den, daß an ihnen ein Wille bloß erscheine, ist der Glaube an Freiheit allerdings Wahn und Täuschung eines flüchtigen, und auf der Oberfläche behan¬ gen bleibenden Anschauens; im Denken allein, das ihnen allenthalben nur die Fessel der stren¬ gen Nothwendigkeit zeigt, ist für sie Wahrheit.
Iſt daher, wie wir vorausſetzen, irgend ein gegebener Willensentſchluß in ſeinem Inhalte bloße Erſcheinung, ſo iſt er inſofern in der That nicht frei, erſtes und urſpruͤngliches, ſondern er iſt nothwendig, und ein zweites, aus einem hoͤhern Erſten, dem Geſetze der Erſcheinung uͤberhaupt, alſo wie es iſt, hervorgehendes Glied. Da nun, wie auch hier mehrmals erinnert wor¬ den, das Denken des Menſchen denſelben alſo vor ihn ſelber hinſtellt, wie er wirklich iſt, und im¬ merfort der treue Abdruk und Spiegel ſeines Innern bleibt, ſo kann ein ſolcher Willens¬ entſchluß, obwohl er auf den erſten Blik, da er ja ein Willensentſchluß iſt, als frei erſcheint, dennoch dem wiederholten, und tiefern Denken keinesweges alſo erſcheinen, ſondern er muß in dieſem als nothwendig gedacht werden, wie er es denn wirklich und in der That iſt. Fuͤr ſolche, deren Willen ſich noch in keinen hoͤhern Kreis aufgeſchwungen hat, als in den, daß an ihnen ein Wille bloß erſcheine, iſt der Glaube an Freiheit allerdings Wahn und Taͤuſchung eines fluͤchtigen, und auf der Oberflaͤche behan¬ gen bleibenden Anſchauens; im Denken allein, das ihnen allenthalben nur die Feſſel der ſtren¬ gen Nothwendigkeit zeigt, iſt fuͤr ſie Wahrheit.
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Iſt daher, wie wir vorausſetzen, irgend ein
gegebener Willensentſchluß in ſeinem Inhalte
bloße Erſcheinung, ſo iſt er inſofern in der That
nicht frei, erſtes und urſpruͤngliches, ſondern er
iſt nothwendig, und ein zweites, aus einem
hoͤhern Erſten, dem Geſetze der Erſcheinung
uͤberhaupt, alſo wie es iſt, hervorgehendes Glied.
Da nun, wie auch hier mehrmals erinnert wor¬
den, das Denken des Menſchen denſelben alſo
vor ihn ſelber hinſtellt, wie er wirklich iſt, und im¬
merfort der treue Abdruk und Spiegel ſeines
Innern bleibt, ſo kann ein ſolcher Willens¬
entſchluß, obwohl er auf den erſten Blik, da
er ja ein Willensentſchluß iſt, als frei erſcheint,
dennoch dem wiederholten, und tiefern Denken
keinesweges alſo erſcheinen, ſondern er muß
in dieſem als nothwendig gedacht werden, wie
er es denn wirklich und in der That iſt. Fuͤr
ſolche, deren Willen ſich noch in keinen hoͤhern
Kreis aufgeſchwungen hat, als in den, daß an
ihnen ein Wille bloß erſcheine, iſt der Glaube
an Freiheit allerdings Wahn und Taͤuſchung
eines fluͤchtigen, und auf der Oberflaͤche behan¬
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/235>, abgerufen am 21.11.2024.
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