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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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lange bleiben, bis sie vollendet ist, und vollen¬
det seyn kann; jene halbe Erziehung ist um
nichts besser, denn gar keine; sie läßt es eben
beim Alten, und wenn man dies will, so er¬
spare man sich lieber auch das Halbe, und er¬
kläre gleich von vorn herein geradezu, daß man
nicht wolle, daß der Menschheit geholfen werde.
Unter jener Voraussetzung nun kann in der
bloßen National-Erziehung, so lange dieselbe
dauert, Lesen und Schreiben zu nichts nützen,
wohl aber kann es sehr schädlich werden, in¬
dem es von der unmittelbaren Anschauung zum
bloßen Zeichen, und von der Aufmerksamkeit,
die da weiß, daß sie nichts fasse, wenn sie es
nicht jezt und zur Stelle faßt, zur Zerstreutheit,
die sich ihres Niederschreibens tröstet, und ir¬
gend einmal vom Papiere lernen will, was sie
wahrscheinlich nie lernen wird, und überhaupt
zu der den Umgang mit Buchstaben so oft be¬
gleitenden Träumerei leichtlich verleiten könnte,
so wie es dieses auch bisher gethan hat. Erst
am völligen Schlusse der Erziehung, und als
das lezte Geschenk derselben mit auf den Weg,
könnten diese Künste mitgetheilt, und der Zög¬
ling geleitet werden durch Zergliederung der

lange bleiben, bis ſie vollendet iſt, und vollen¬
det ſeyn kann; jene halbe Erziehung iſt um
nichts beſſer, denn gar keine; ſie laͤßt es eben
beim Alten, und wenn man dies will, ſo er¬
ſpare man ſich lieber auch das Halbe, und er¬
klaͤre gleich von vorn herein geradezu, daß man
nicht wolle, daß der Menſchheit geholfen werde.
Unter jener Vorausſetzung nun kann in der
bloßen National-Erziehung, ſo lange dieſelbe
dauert, Leſen und Schreiben zu nichts nuͤtzen,
wohl aber kann es ſehr ſchaͤdlich werden, in¬
dem es von der unmittelbaren Anſchauung zum
bloßen Zeichen, und von der Aufmerkſamkeit,
die da weiß, daß ſie nichts faſſe, wenn ſie es
nicht jezt und zur Stelle faßt, zur Zerſtreutheit,
die ſich ihres Niederſchreibens troͤſtet, und ir¬
gend einmal vom Papiere lernen will, was ſie
wahrſcheinlich nie lernen wird, und uͤberhaupt
zu der den Umgang mit Buchſtaben ſo oft be¬
gleitenden Traͤumerei leichtlich verleiten koͤnnte,
ſo wie es dieſes auch bisher gethan hat. Erſt
am voͤlligen Schluſſe der Erziehung, und als
das lezte Geſchenk derſelben mit auf den Weg,
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[300/0306] lange bleiben, bis ſie vollendet iſt, und vollen¬ det ſeyn kann; jene halbe Erziehung iſt um nichts beſſer, denn gar keine; ſie laͤßt es eben beim Alten, und wenn man dies will, ſo er¬ ſpare man ſich lieber auch das Halbe, und er¬ klaͤre gleich von vorn herein geradezu, daß man nicht wolle, daß der Menſchheit geholfen werde. Unter jener Vorausſetzung nun kann in der bloßen National-Erziehung, ſo lange dieſelbe dauert, Leſen und Schreiben zu nichts nuͤtzen, wohl aber kann es ſehr ſchaͤdlich werden, in¬ dem es von der unmittelbaren Anſchauung zum bloßen Zeichen, und von der Aufmerkſamkeit, die da weiß, daß ſie nichts faſſe, wenn ſie es nicht jezt und zur Stelle faßt, zur Zerſtreutheit, die ſich ihres Niederſchreibens troͤſtet, und ir¬ gend einmal vom Papiere lernen will, was ſie wahrſcheinlich nie lernen wird, und uͤberhaupt zu der den Umgang mit Buchſtaben ſo oft be¬ gleitenden Traͤumerei leichtlich verleiten koͤnnte, ſo wie es dieſes auch bisher gethan hat. Erſt am voͤlligen Schluſſe der Erziehung, und als das lezte Geſchenk derſelben mit auf den Weg, koͤnnten dieſe Kuͤnſte mitgetheilt, und der Zoͤg¬ ling geleitet werden durch Zergliederung der

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/306>, abgerufen am 22.11.2024.