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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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wenn es nicht einen durchaus trennenden Ab¬
schnitt in sein Fortleben macht, eine noch ver¬
dorbnere Nachkommenschaft, und diese eine
abermals verdorbnere, nothwendig hinterlassen
werde. Von solchen sagt ein verehrungswür¬
diger Lehrer des Menschengeschlechts mit tref¬
fender Wahrheit, daß es besser sey, wenn
ihnen bei Zeiten ein Mühlstein an den Hals ge¬
hängt würde, und sie ersäuft würden im Meere,
da wo es am tiefsten ist. Es ist eine abge¬
schmakte Verläumdung der menschlichen Natur,
daß der Mensch als Sünder gebohren werde;
wäre dies wahr, wie könnte doch jemals an
ihn auch nur ein Begriff von Sünde kommen,
der ja nur im Gegensatze mit einer Nichtsünde
möglich ist? Er lebt sich zum Sünder; und
das bisherige menschliche Leben war in der Re¬
gel eine im steigenden Fortschritte begriffene
Entwiklung der Sündhaftigkeit.

Das Gesagte zeigt in einem neuen Lichte
die Nothwendigkeit, ohne Verzug Anstalt zu
einer wirklichen Erziehung zu machen. Könnte
nur die nachwachsende Jugend ohne alle Be¬
rührung mit den Erwachsenen und völlig ohne
Erziehung aufwachsen, so möchte man ja im¬

wenn es nicht einen durchaus trennenden Ab¬
ſchnitt in ſein Fortleben macht, eine noch ver¬
dorbnere Nachkommenſchaft, und dieſe eine
abermals verdorbnere, nothwendig hinterlaſſen
werde. Von ſolchen ſagt ein verehrungswuͤr¬
diger Lehrer des Menſchengeſchlechts mit tref¬
fender Wahrheit, daß es beſſer ſey, wenn
ihnen bei Zeiten ein Muͤhlſtein an den Hals ge¬
haͤngt wuͤrde, und ſie erſaͤuft wuͤrden im Meere,
da wo es am tiefſten iſt. Es iſt eine abge¬
ſchmakte Verlaͤumdung der menſchlichen Natur,
daß der Menſch als Suͤnder gebohren werde;
waͤre dies wahr, wie koͤnnte doch jemals an
ihn auch nur ein Begriff von Suͤnde kommen,
der ja nur im Gegenſatze mit einer Nichtſuͤnde
moͤglich iſt? Er lebt ſich zum Suͤnder; und
das bisherige menſchliche Leben war in der Re¬
gel eine im ſteigenden Fortſchritte begriffene
Entwiklung der Suͤndhaftigkeit.

Das Geſagte zeigt in einem neuen Lichte
die Nothwendigkeit, ohne Verzug Anſtalt zu
einer wirklichen Erziehung zu machen. Koͤnnte
nur die nachwachſende Jugend ohne alle Be¬
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[330/0336] wenn es nicht einen durchaus trennenden Ab¬ ſchnitt in ſein Fortleben macht, eine noch ver¬ dorbnere Nachkommenſchaft, und dieſe eine abermals verdorbnere, nothwendig hinterlaſſen werde. Von ſolchen ſagt ein verehrungswuͤr¬ diger Lehrer des Menſchengeſchlechts mit tref¬ fender Wahrheit, daß es beſſer ſey, wenn ihnen bei Zeiten ein Muͤhlſtein an den Hals ge¬ haͤngt wuͤrde, und ſie erſaͤuft wuͤrden im Meere, da wo es am tiefſten iſt. Es iſt eine abge¬ ſchmakte Verlaͤumdung der menſchlichen Natur, daß der Menſch als Suͤnder gebohren werde; waͤre dies wahr, wie koͤnnte doch jemals an ihn auch nur ein Begriff von Suͤnde kommen, der ja nur im Gegenſatze mit einer Nichtſuͤnde moͤglich iſt? Er lebt ſich zum Suͤnder; und das bisherige menſchliche Leben war in der Re¬ gel eine im ſteigenden Fortſchritte begriffene Entwiklung der Suͤndhaftigkeit. Das Geſagte zeigt in einem neuen Lichte die Nothwendigkeit, ohne Verzug Anſtalt zu einer wirklichen Erziehung zu machen. Koͤnnte nur die nachwachſende Jugend ohne alle Be¬ ruͤhrung mit den Erwachſenen und voͤllig ohne Erziehung aufwachſen, ſo moͤchte man ja im¬

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/336>, abgerufen am 22.11.2024.