sie soll die ohne ihr Zuthun vorhandene Liebe auf das Rechte leiten. Bis jezt ist in der Re¬ gel diese Unbefangenheit und diese kindliche Gläubigkeit der Unmündigen an die höhere Vollkommenheit der Erwachsenen zum Verder¬ ben derselben gebraucht worden; ihre Unschuld gerade, und ihr natürlicher Glauben an uns, machte es uns möglich, ihnen statt des Guten, das sie innerlich wollten, unser Verderbniß, das sie verabscheut haben würden, wenn sie es zu erkennen vermocht hätten, einzupflanzen, noch ehe sie Gutes, und Böses unterscheiden konnten.
Dies ist eben die allergrößte Vergehung, die unsrer Zeit zur Last fällt; und es wird hier¬ durch auch die täglich sich darbietende Erschei¬ nung erklärt, daß in der Regel der Mensch um so schlechter, selbstsüchtiger, für alle guten Re¬ gungen erstorbener, und zu jedem rechten Werke untauglicher wird, je mehrere Jahre er zählt, und um je weiter daher er sich von den ersten Tagen seiner Unschuld, die fürs erste noch im¬ mer in einigen Ahnungen des Guten leise nach¬ klingen, entfernt hat; es wird dadurch ferner bewiesen, daß das gegenwärtige Geschlecht,
ſie ſoll die ohne ihr Zuthun vorhandene Liebe auf das Rechte leiten. Bis jezt iſt in der Re¬ gel dieſe Unbefangenheit und dieſe kindliche Glaͤubigkeit der Unmuͤndigen an die hoͤhere Vollkommenheit der Erwachſenen zum Verder¬ ben derſelben gebraucht worden; ihre Unſchuld gerade, und ihr natuͤrlicher Glauben an uns, machte es uns moͤglich, ihnen ſtatt des Guten, das ſie innerlich wollten, unſer Verderbniß, das ſie verabſcheut haben wuͤrden, wenn ſie es zu erkennen vermocht haͤtten, einzupflanzen, noch ehe ſie Gutes, und Boͤſes unterſcheiden konnten.
Dies iſt eben die allergroͤßte Vergehung, die unſrer Zeit zur Laſt faͤllt; und es wird hier¬ durch auch die taͤglich ſich darbietende Erſchei¬ nung erklaͤrt, daß in der Regel der Menſch um ſo ſchlechter, ſelbſtſuͤchtiger, fuͤr alle guten Re¬ gungen erſtorbener, und zu jedem rechten Werke untauglicher wird, je mehrere Jahre er zaͤhlt, und um je weiter daher er ſich von den erſten Tagen ſeiner Unſchuld, die fuͤrs erſte noch im¬ mer in einigen Ahnungen des Guten leiſe nach¬ klingen, entfernt hat; es wird dadurch ferner bewieſen, daß das gegenwaͤrtige Geſchlecht,
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ſie ſoll die ohne ihr Zuthun vorhandene Liebe
auf das Rechte leiten. Bis jezt iſt in der Re¬
gel dieſe Unbefangenheit und dieſe kindliche
Glaͤubigkeit der Unmuͤndigen an die hoͤhere
Vollkommenheit der Erwachſenen zum Verder¬
ben derſelben gebraucht worden; ihre Unſchuld
gerade, und ihr natuͤrlicher Glauben an uns,
machte es uns moͤglich, ihnen ſtatt des Guten,
das ſie innerlich wollten, unſer Verderbniß, das
ſie verabſcheut haben wuͤrden, wenn ſie es
zu erkennen vermocht haͤtten, einzupflanzen,
noch ehe ſie Gutes, und Boͤſes unterſcheiden
konnten.
Dies iſt eben die allergroͤßte Vergehung,
die unſrer Zeit zur Laſt faͤllt; und es wird hier¬
durch auch die taͤglich ſich darbietende Erſchei¬
nung erklaͤrt, daß in der Regel der Menſch um
ſo ſchlechter, ſelbſtſuͤchtiger, fuͤr alle guten Re¬
gungen erſtorbener, und zu jedem rechten Werke
untauglicher wird, je mehrere Jahre er zaͤhlt,
und um je weiter daher er ſich von den erſten
Tagen ſeiner Unſchuld, die fuͤrs erſte noch im¬
mer in einigen Ahnungen des Guten leiſe nach¬
klingen, entfernt hat; es wird dadurch ferner
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/335>, abgerufen am 22.11.2024.
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