Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

die wirkichen Begebenheiten sich selbst verur¬
theilt haben, verstattet werden, an erdichte¬
ten Welthändeln ihre Redefertigkeit zu üben,
oder ehemalige und alte Formen sich selber
nachzuahmen, wo man für das erste an der
zum Beispiel angeführten alten, für das lezte¬
re an der neuen Sprache, die Belege aufsuchen
mag. Eine solche Litteratur möchten wir viel¬
leicht noch auf einige Zeit behalten, und mit
derselben mag sich trösten der, der keinen bes¬
sern Trost hat; daß aber auch solche, die wohl
fähig wären, sich zu ermannen, die Wahrheit
zu sehen, und aufgeschrekt zu werden durch ih¬
ren Anblik zu Entschluß und That, durch sol¬
chen nichtigen Trost, mit welchem einem Fein¬
de unsrer Selbstständigkeit recht eigentlich ge¬
dient seyn würde, in dem trägen Schlummer
erhalten werden, dieses möchte ich verhindern,
wenn ich es könnte.

Man verheißt uns also die Fortdauer einer
deutschen Litteratur auf die künftigen Geschlech¬
ter. Um die Hoffnungen die wir hierüber fas¬
sen können, näher zu beurtheilen, würde es
sehr zuträglich seyn, sich umzusehen, ob wir
denn auch nur bis auf diesen Augenblik eine

die wirkichen Begebenheiten ſich ſelbſt verur¬
theilt haben, verſtattet werden, an erdichte¬
ten Welthaͤndeln ihre Redefertigkeit zu uͤben,
oder ehemalige und alte Formen ſich ſelber
nachzuahmen, wo man fuͤr das erſte an der
zum Beiſpiel angefuͤhrten alten, fuͤr das lezte¬
re an der neuen Sprache, die Belege aufſuchen
mag. Eine ſolche Litteratur moͤchten wir viel¬
leicht noch auf einige Zeit behalten, und mit
derſelben mag ſich troͤſten der, der keinen beſ¬
ſern Troſt hat; daß aber auch ſolche, die wohl
faͤhig waͤren, ſich zu ermannen, die Wahrheit
zu ſehen, und aufgeſchrekt zu werden durch ih¬
ren Anblik zu Entſchluß und That, durch ſol¬
chen nichtigen Troſt, mit welchem einem Fein¬
de unſrer Selbſtſtaͤndigkeit recht eigentlich ge¬
dient ſeyn wuͤrde, in dem traͤgen Schlummer
erhalten werden, dieſes moͤchte ich verhindern,
wenn ich es koͤnnte.

Man verheißt uns alſo die Fortdauer einer
deutſchen Litteratur auf die kuͤnftigen Geſchlech¬
ter. Um die Hoffnungen die wir hieruͤber faſ¬
ſen koͤnnen, naͤher zu beurtheilen, wuͤrde es
ſehr zutraͤglich ſeyn, ſich umzuſehen, ob wir
denn auch nur bis auf dieſen Augenblik eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0402" n="396"/>
die wirkichen Begebenheiten &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t verur¬<lb/>
theilt haben, ver&#x017F;tattet werden, an erdichte¬<lb/>
ten Weltha&#x0364;ndeln ihre Redefertigkeit zu u&#x0364;ben,<lb/>
oder ehemalige und alte Formen &#x017F;ich &#x017F;elber<lb/>
nachzuahmen, wo man fu&#x0364;r das er&#x017F;te an der<lb/>
zum Bei&#x017F;piel angefu&#x0364;hrten alten, fu&#x0364;r das lezte¬<lb/>
re an der neuen Sprache, die Belege auf&#x017F;uchen<lb/>
mag. Eine &#x017F;olche Litteratur mo&#x0364;chten wir viel¬<lb/>
leicht noch auf einige Zeit behalten, und mit<lb/>
der&#x017F;elben mag &#x017F;ich tro&#x0364;&#x017F;ten der, der keinen be&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;ern Tro&#x017F;t hat; daß aber auch &#x017F;olche, die wohl<lb/>
fa&#x0364;hig wa&#x0364;ren, &#x017F;ich zu ermannen, die Wahrheit<lb/>
zu &#x017F;ehen, und aufge&#x017F;chrekt zu werden durch ih¬<lb/>
ren Anblik zu Ent&#x017F;chluß und That, durch &#x017F;ol¬<lb/>
chen nichtigen Tro&#x017F;t, mit welchem einem Fein¬<lb/>
de un&#x017F;rer Selb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit recht eigentlich ge¬<lb/>
dient &#x017F;eyn wu&#x0364;rde, in dem tra&#x0364;gen Schlummer<lb/>
erhalten werden, die&#x017F;es mo&#x0364;chte ich verhindern,<lb/>
wenn ich es ko&#x0364;nnte.</p><lb/>
        <p>Man verheißt uns al&#x017F;o die Fortdauer einer<lb/>
deut&#x017F;chen Litteratur auf die ku&#x0364;nftigen Ge&#x017F;chlech¬<lb/>
ter. Um die Hoffnungen die wir hieru&#x0364;ber fa&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en ko&#x0364;nnen, na&#x0364;her zu beurtheilen, wu&#x0364;rde es<lb/>
&#x017F;ehr zutra&#x0364;glich &#x017F;eyn, &#x017F;ich umzu&#x017F;ehen, ob wir<lb/>
denn auch nur bis auf die&#x017F;en Augenblik eine<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[396/0402] die wirkichen Begebenheiten ſich ſelbſt verur¬ theilt haben, verſtattet werden, an erdichte¬ ten Welthaͤndeln ihre Redefertigkeit zu uͤben, oder ehemalige und alte Formen ſich ſelber nachzuahmen, wo man fuͤr das erſte an der zum Beiſpiel angefuͤhrten alten, fuͤr das lezte¬ re an der neuen Sprache, die Belege aufſuchen mag. Eine ſolche Litteratur moͤchten wir viel¬ leicht noch auf einige Zeit behalten, und mit derſelben mag ſich troͤſten der, der keinen beſ¬ ſern Troſt hat; daß aber auch ſolche, die wohl faͤhig waͤren, ſich zu ermannen, die Wahrheit zu ſehen, und aufgeſchrekt zu werden durch ih¬ ren Anblik zu Entſchluß und That, durch ſol¬ chen nichtigen Troſt, mit welchem einem Fein¬ de unſrer Selbſtſtaͤndigkeit recht eigentlich ge¬ dient ſeyn wuͤrde, in dem traͤgen Schlummer erhalten werden, dieſes moͤchte ich verhindern, wenn ich es koͤnnte. Man verheißt uns alſo die Fortdauer einer deutſchen Litteratur auf die kuͤnftigen Geſchlech¬ ter. Um die Hoffnungen die wir hieruͤber faſ¬ ſen koͤnnen, naͤher zu beurtheilen, wuͤrde es ſehr zutraͤglich ſeyn, ſich umzuſehen, ob wir denn auch nur bis auf dieſen Augenblik eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/402
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/402>, abgerufen am 22.11.2024.