die wirkichen Begebenheiten sich selbst verur¬ theilt haben, verstattet werden, an erdichte¬ ten Welthändeln ihre Redefertigkeit zu üben, oder ehemalige und alte Formen sich selber nachzuahmen, wo man für das erste an der zum Beispiel angeführten alten, für das lezte¬ re an der neuen Sprache, die Belege aufsuchen mag. Eine solche Litteratur möchten wir viel¬ leicht noch auf einige Zeit behalten, und mit derselben mag sich trösten der, der keinen bes¬ sern Trost hat; daß aber auch solche, die wohl fähig wären, sich zu ermannen, die Wahrheit zu sehen, und aufgeschrekt zu werden durch ih¬ ren Anblik zu Entschluß und That, durch sol¬ chen nichtigen Trost, mit welchem einem Fein¬ de unsrer Selbstständigkeit recht eigentlich ge¬ dient seyn würde, in dem trägen Schlummer erhalten werden, dieses möchte ich verhindern, wenn ich es könnte.
Man verheißt uns also die Fortdauer einer deutschen Litteratur auf die künftigen Geschlech¬ ter. Um die Hoffnungen die wir hierüber fas¬ sen können, näher zu beurtheilen, würde es sehr zuträglich seyn, sich umzusehen, ob wir denn auch nur bis auf diesen Augenblik eine
die wirkichen Begebenheiten ſich ſelbſt verur¬ theilt haben, verſtattet werden, an erdichte¬ ten Welthaͤndeln ihre Redefertigkeit zu uͤben, oder ehemalige und alte Formen ſich ſelber nachzuahmen, wo man fuͤr das erſte an der zum Beiſpiel angefuͤhrten alten, fuͤr das lezte¬ re an der neuen Sprache, die Belege aufſuchen mag. Eine ſolche Litteratur moͤchten wir viel¬ leicht noch auf einige Zeit behalten, und mit derſelben mag ſich troͤſten der, der keinen beſ¬ ſern Troſt hat; daß aber auch ſolche, die wohl faͤhig waͤren, ſich zu ermannen, die Wahrheit zu ſehen, und aufgeſchrekt zu werden durch ih¬ ren Anblik zu Entſchluß und That, durch ſol¬ chen nichtigen Troſt, mit welchem einem Fein¬ de unſrer Selbſtſtaͤndigkeit recht eigentlich ge¬ dient ſeyn wuͤrde, in dem traͤgen Schlummer erhalten werden, dieſes moͤchte ich verhindern, wenn ich es koͤnnte.
Man verheißt uns alſo die Fortdauer einer deutſchen Litteratur auf die kuͤnftigen Geſchlech¬ ter. Um die Hoffnungen die wir hieruͤber faſ¬ ſen koͤnnen, naͤher zu beurtheilen, wuͤrde es ſehr zutraͤglich ſeyn, ſich umzuſehen, ob wir denn auch nur bis auf dieſen Augenblik eine
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die wirkichen Begebenheiten ſich ſelbſt verur¬
theilt haben, verſtattet werden, an erdichte¬
ten Welthaͤndeln ihre Redefertigkeit zu uͤben,
oder ehemalige und alte Formen ſich ſelber
nachzuahmen, wo man fuͤr das erſte an der
zum Beiſpiel angefuͤhrten alten, fuͤr das lezte¬
re an der neuen Sprache, die Belege aufſuchen
mag. Eine ſolche Litteratur moͤchten wir viel¬
leicht noch auf einige Zeit behalten, und mit
derſelben mag ſich troͤſten der, der keinen beſ¬
ſern Troſt hat; daß aber auch ſolche, die wohl
faͤhig waͤren, ſich zu ermannen, die Wahrheit
zu ſehen, und aufgeſchrekt zu werden durch ih¬
ren Anblik zu Entſchluß und That, durch ſol¬
chen nichtigen Troſt, mit welchem einem Fein¬
de unſrer Selbſtſtaͤndigkeit recht eigentlich ge¬
dient ſeyn wuͤrde, in dem traͤgen Schlummer
erhalten werden, dieſes moͤchte ich verhindern,
wenn ich es koͤnnte.
Man verheißt uns alſo die Fortdauer einer
deutſchen Litteratur auf die kuͤnftigen Geſchlech¬
ter. Um die Hoffnungen die wir hieruͤber faſ¬
ſen koͤnnen, naͤher zu beurtheilen, wuͤrde es
ſehr zutraͤglich ſeyn, ſich umzuſehen, ob wir
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/402>, abgerufen am 22.11.2024.
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