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Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794.

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so wie dieser gelegt ist, wäre der Zweck erreicht. Weil
man aber im blossen Grunde nicht wohnen, durch ihn
allein sich weder gegen den willkührlichen Anfall des
Feindes, noch gegen die unwillkührlichen Anfälle der
Witterung schützen kann, so führt man auf denselben
Seitenwände, und über diesen ein Dach auf. Alle Theile
des Gebäudes werden mit dem Grunde, und unter sich
selbst zusammengefügt, und dadurch wird das Ganze
fest; aber man baut nicht ein festes Gebäude, damit
man zusammenfügen könne, sondern man fügt zusam-
men, damit das Gebäude fest werde; und es ist fest, in so
fern alle Theile desselben auf einem festen Grunde ruhen.

Der Grund ist fest, und er ist auf keinen neuen
Grund, sondern er ist auf den festen Erdboden gegrün-
det. -- Worauf wollen denn wir den Grund unsrer
wissenschaftlichen Gebäude aufführen? Die Grundsätze
unsrer Systeme sollen und müssen vor dem Systeme vor-
her gewiss seyn. Ihre Gewissheit kann in dem Umfange
derselben nicht erwiesen werden, sondern jeder in
ihnen mögliche Beweiss setzt sie schon voraus. Sind sie
gewiss, so ist freilich alles, was aus ihnen folgt, auch
gewiss: aber aus was folgt denn ihre eigene Gewissheit?

Noch mehr -- wir wollen beym Aufbauen unsrer
Lehrgebäude so folgern: Wenn der Grundsatz gewiss ist,
so ist auch ein bestimmter andrer Satz gewiss. Worauf
gründet sich denn jenes So? Was ist es, das den noth-
wendigen Zusammenhang zwischen beiden begründet,
vermöge dessen dem einen eben die Gewissheit zukom-
men soll, die dem andern zukommt? Welches sind die
Bedingungen dieses Zusammenhangs; und woher wissen
wir, dass sie die Bedingungen, und die ausschliessenden

Be-

ſo wie dieſer gelegt iſt, wäre der Zweck erreicht. Weil
man aber im bloſsen Grunde nicht wohnen, durch ihn
allein ſich weder gegen den willkührlichen Anfall des
Feindes, noch gegen die unwillkührlichen Anfälle der
Witterung ſchützen kann, ſo führt man auf denſelben
Seitenwände, und über dieſen ein Dach auf. Alle Theile
des Gebäudes werden mit dem Grunde, und unter ſich
ſelbſt zuſammengefügt, und dadurch wird das Ganze
feſt; aber man baut nicht ein feſtes Gebäude, damit
man zuſammenfügen könne, ſondern man fügt zuſam-
men, damit das Gebäude feſt werde; und es iſt feſt, in ſo
fern alle Theile deſſelben auf einem feſten Grunde ruhen.

Der Grund iſt feſt, und er iſt auf keinen neuen
Grund, ſondern er iſt auf den feſten Erdboden gegrün-
det. — Worauf wollen denn wir den Grund unſrer
wiſſenſchaftlichen Gebäude aufführen? Die Grundſätze
unſrer Syſteme ſollen und müſſen vor dem Syſteme vor-
her gewiſs ſeyn. Ihre Gewiſsheit kann in dem Umfange
derſelben nicht erwieſen werden, ſondern jeder in
ihnen mögliche Beweiſs ſetzt ſie ſchon voraus. Sind ſie
gewiſs, ſo iſt freilich alles, was aus ihnen folgt, auch
gewiſs: aber aus was folgt denn ihre eigene Gewiſsheit?

Noch mehr — wir wollen beym Aufbauen unſrer
Lehrgebäude ſo folgern: Wenn der Grundſatz gewiſs iſt,
ſo iſt auch ein beſtimmter andrer Satz gewiſs. Worauf
gründet ſich denn jenes So? Was iſt es, das den noth-
wendigen Zuſammenhang zwiſchen beiden begründet,
vermöge deſſen dem einen eben die Gewiſsheit zukom-
men ſoll, die dem andern zukommt? Welches ſind die
Bedingungen dieſes Zuſammenhangs; und woher wiſſen
wir, daſs ſie die Bedingungen, und die ausſchlieſsenden

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[15/0023] ſo wie dieſer gelegt iſt, wäre der Zweck erreicht. Weil man aber im bloſsen Grunde nicht wohnen, durch ihn allein ſich weder gegen den willkührlichen Anfall des Feindes, noch gegen die unwillkührlichen Anfälle der Witterung ſchützen kann, ſo führt man auf denſelben Seitenwände, und über dieſen ein Dach auf. Alle Theile des Gebäudes werden mit dem Grunde, und unter ſich ſelbſt zuſammengefügt, und dadurch wird das Ganze feſt; aber man baut nicht ein feſtes Gebäude, damit man zuſammenfügen könne, ſondern man fügt zuſam- men, damit das Gebäude feſt werde; und es iſt feſt, in ſo fern alle Theile deſſelben auf einem feſten Grunde ruhen. Der Grund iſt feſt, und er iſt auf keinen neuen Grund, ſondern er iſt auf den feſten Erdboden gegrün- det. — Worauf wollen denn wir den Grund unſrer wiſſenſchaftlichen Gebäude aufführen? Die Grundſätze unſrer Syſteme ſollen und müſſen vor dem Syſteme vor- her gewiſs ſeyn. Ihre Gewiſsheit kann in dem Umfange derſelben nicht erwieſen werden, ſondern jeder in ihnen mögliche Beweiſs ſetzt ſie ſchon voraus. Sind ſie gewiſs, ſo iſt freilich alles, was aus ihnen folgt, auch gewiſs: aber aus was folgt denn ihre eigene Gewiſsheit? Noch mehr — wir wollen beym Aufbauen unſrer Lehrgebäude ſo folgern: Wenn der Grundſatz gewiſs iſt, ſo iſt auch ein beſtimmter andrer Satz gewiſs. Worauf gründet ſich denn jenes So? Was iſt es, das den noth- wendigen Zuſammenhang zwiſchen beiden begründet, vermöge deſſen dem einen eben die Gewiſsheit zukom- men ſoll, die dem andern zukommt? Welches ſind die Bedingungen dieſes Zuſammenhangs; und woher wiſſen wir, daſs ſie die Bedingungen, und die ausſchlieſsenden Be-

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794/23>, abgerufen am 27.04.2024.