Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

zurückführen. Wenn kein Satz im ganzen System vor-
kommt, welcher wahr seyn kann, wenn der Grund-
satz falsch ist, oder falsch, wenn der Grundsatz wahr
ist, so ist dies der negative Beweiss, dass kein Satz zu-
viel in das System aufgenommen worden; denn derje-
nige, der nicht in das System gehörte würde wahr seyn
können, wenn der Grundsatz falsch, oder falsch, wenn
auch der Grundsatz wahr wäre. Ist der Grundsatz ge-
geben, so müssen alle Sätze gegeben seyn; in ihm und
durch ihn ist jeder einzelne gegeben. Es ist aus dem,
was wir oben über die Verkettung der einzelnen Sätze
in der Wissenschaftslehre gesagt haben, klar, dass diese
Wissenschaft den angezeigten negativen Beweiss unmit-
telbar in sich selbst und durch sich selbst führe. Durch
ihn wird erwiesen, dass die Wissenschaft systematisch sei,
dass alle ihre Theile in einem einzigen Grundsatze zu-
sammenhangen. -- Die Wissenschaft ist ein System, oder
sie ist vollendet, wenn weiter kein Satz gefolgert wer-
den kann: und dies giebt den positiven Beweiss, dass
kein Satz zu viel in das System aufgenommen worden.
Die Frage ist nur die: wann und unter welchen Bedin-
gungen kann kein Satz weiter gefolgert werden; denn
es ist klar, dass das bloss relative und negative Merkmal:
ich sehe nicht was weiter folgen könne, nichts beweist.
Es könnte wohl nach mir ein anderer kommen, wel-
cher da, wo ich nichts sah, etwas sähe. Wir bedürfen
eines positiven Merkmals, dass schlechthin und unbe-
dingt nichts weiter gefolgert werden könne; und das
könnte kein anders seyn, als das, dass der Grundsatz,
von welchem wir ausgegangen wären, das letzte Resul-
tat sey. Dann wäre klar, dass wir nicht weiter gehen
könnten, ohne den Weg, den wir schon einmal ge-

macht

zurückführen. Wenn kein Satz im ganzen Syſtem vor-
kommt, welcher wahr ſeyn kann, wenn der Grund-
ſatz falſch iſt, oder falſch, wenn der Grundſatz wahr
iſt, ſo iſt dies der negative Beweiſs, daſs kein Satz zu-
viel in das Syſtem aufgenommen worden; denn derje-
nige, der nicht in das Syſtem gehörte würde wahr ſeyn
können, wenn der Grundſatz falſch, oder falſch, wenn
auch der Grundſatz wahr wäre. Iſt der Grundſatz ge-
geben, ſo müſſen alle Sätze gegeben ſeyn; in ihm und
durch ihn iſt jeder einzelne gegeben. Es iſt aus dem,
was wir oben über die Verkettung der einzelnen Sätze
in der Wiſſenſchaftslehre geſagt haben, klar, daſs dieſe
Wiſſenſchaft den angezeigten negativen Beweiſs unmit-
telbar in ſich ſelbſt und durch ſich ſelbſt führe. Durch
ihn wird erwieſen, daſs die Wiſſenſchaft ſyſtematiſch ſei,
daſs alle ihre Theile in einem einzigen Grundſatze zu-
ſammenhangen. — Die Wiſſenſchaft iſt ein Syſtem, oder
ſie iſt vollendet, wenn weiter kein Satz gefolgert wer-
den kann: und dies giebt den poſitiven Beweiſs, daſs
kein Satz zu viel in das Syſtem aufgenommen worden.
Die Frage iſt nur die: wann und unter welchen Bedin-
gungen kann kein Satz weiter gefolgert werden; denn
es iſt klar, daſs das bloſs relative und negative Merkmal:
ich ſehe nicht was weiter folgen könne, nichts beweiſt.
Es könnte wohl nach mir ein anderer kommen, wel-
cher da, wo ich nichts ſah, etwas ſähe. Wir bedürfen
eines poſitiven Merkmals, daſs ſchlechthin und unbe-
dingt nichts weiter gefolgert werden könne; und das
könnte kein anders ſeyn, als das, daſs der Grundſatz,
von welchem wir ausgegangen wären, das letzte Reſul-
tat ſey. Dann wäre klar, daſs wir nicht weiter gehen
könnten, ohne den Weg, den wir ſchon einmal ge-

macht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0044" n="36"/>
zurückführen. Wenn kein Satz im ganzen Sy&#x017F;tem vor-<lb/>
kommt, welcher wahr &#x017F;eyn kann, wenn der Grund-<lb/>
&#x017F;atz fal&#x017F;ch i&#x017F;t, oder fal&#x017F;ch, wenn der Grund&#x017F;atz wahr<lb/>
i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t dies der negative Bewei&#x017F;s, da&#x017F;s kein Satz zu-<lb/>
viel in das Sy&#x017F;tem aufgenommen worden; denn derje-<lb/>
nige, der nicht in das Sy&#x017F;tem gehörte würde wahr &#x017F;eyn<lb/>
können, wenn der Grund&#x017F;atz fal&#x017F;ch, oder fal&#x017F;ch, wenn<lb/>
auch der Grund&#x017F;atz wahr wäre. I&#x017F;t der Grund&#x017F;atz ge-<lb/>
geben, &#x017F;o mü&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#i">alle</hi> Sätze gegeben &#x017F;eyn; in ihm und<lb/>
durch ihn i&#x017F;t jeder einzelne gegeben. Es i&#x017F;t aus dem,<lb/>
was wir oben über die Verkettung der einzelnen Sätze<lb/>
in der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftslehre ge&#x017F;agt haben, klar, da&#x017F;s die&#x017F;e<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft den angezeigten negativen Bewei&#x017F;s unmit-<lb/>
telbar in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t und durch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t führe. Durch<lb/>
ihn wird erwie&#x017F;en, da&#x017F;s die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft <hi rendition="#i">&#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;ch</hi> &#x017F;ei,<lb/>
da&#x017F;s alle ihre Theile in einem einzigen Grund&#x017F;atze zu-<lb/>
&#x017F;ammenhangen. &#x2014; Die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft i&#x017F;t ein <hi rendition="#i">Sy&#x017F;tem</hi>, oder<lb/>
&#x017F;ie i&#x017F;t vollendet, wenn weiter kein Satz gefolgert wer-<lb/>
den kann: und dies giebt den po&#x017F;itiven Bewei&#x017F;s, da&#x017F;s<lb/>
kein Satz zu viel in das Sy&#x017F;tem aufgenommen worden.<lb/>
Die Frage i&#x017F;t nur die: wann und unter welchen Bedin-<lb/>
gungen kann kein Satz weiter gefolgert werden; denn<lb/>
es i&#x017F;t klar, da&#x017F;s das blo&#x017F;s relative und negative Merkmal:<lb/><hi rendition="#i">ich</hi> &#x017F;ehe nicht was weiter folgen könne, nichts bewei&#x017F;t.<lb/>
Es könnte wohl nach mir ein anderer kommen, wel-<lb/>
cher da, wo ich nichts &#x017F;ah, etwas &#x017F;ähe. Wir bedürfen<lb/>
eines po&#x017F;itiven Merkmals, da&#x017F;s &#x017F;chlechthin und unbe-<lb/>
dingt nichts weiter gefolgert werden könne; und das<lb/>
könnte kein anders &#x017F;eyn, als das, da&#x017F;s der Grund&#x017F;atz,<lb/>
von welchem wir ausgegangen wären, das letzte Re&#x017F;ul-<lb/>
tat &#x017F;ey. Dann wäre klar, da&#x017F;s wir nicht weiter gehen<lb/>
könnten, ohne den Weg, den wir &#x017F;chon einmal ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">macht</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0044] zurückführen. Wenn kein Satz im ganzen Syſtem vor- kommt, welcher wahr ſeyn kann, wenn der Grund- ſatz falſch iſt, oder falſch, wenn der Grundſatz wahr iſt, ſo iſt dies der negative Beweiſs, daſs kein Satz zu- viel in das Syſtem aufgenommen worden; denn derje- nige, der nicht in das Syſtem gehörte würde wahr ſeyn können, wenn der Grundſatz falſch, oder falſch, wenn auch der Grundſatz wahr wäre. Iſt der Grundſatz ge- geben, ſo müſſen alle Sätze gegeben ſeyn; in ihm und durch ihn iſt jeder einzelne gegeben. Es iſt aus dem, was wir oben über die Verkettung der einzelnen Sätze in der Wiſſenſchaftslehre geſagt haben, klar, daſs dieſe Wiſſenſchaft den angezeigten negativen Beweiſs unmit- telbar in ſich ſelbſt und durch ſich ſelbſt führe. Durch ihn wird erwieſen, daſs die Wiſſenſchaft ſyſtematiſch ſei, daſs alle ihre Theile in einem einzigen Grundſatze zu- ſammenhangen. — Die Wiſſenſchaft iſt ein Syſtem, oder ſie iſt vollendet, wenn weiter kein Satz gefolgert wer- den kann: und dies giebt den poſitiven Beweiſs, daſs kein Satz zu viel in das Syſtem aufgenommen worden. Die Frage iſt nur die: wann und unter welchen Bedin- gungen kann kein Satz weiter gefolgert werden; denn es iſt klar, daſs das bloſs relative und negative Merkmal: ich ſehe nicht was weiter folgen könne, nichts beweiſt. Es könnte wohl nach mir ein anderer kommen, wel- cher da, wo ich nichts ſah, etwas ſähe. Wir bedürfen eines poſitiven Merkmals, daſs ſchlechthin und unbe- dingt nichts weiter gefolgert werden könne; und das könnte kein anders ſeyn, als das, daſs der Grundſatz, von welchem wir ausgegangen wären, das letzte Reſul- tat ſey. Dann wäre klar, daſs wir nicht weiter gehen könnten, ohne den Weg, den wir ſchon einmal ge- macht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794/44
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794/44>, abgerufen am 21.11.2024.