Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

einer Seite steigert, desto mehr muß sie nach jeder anderen
Seite hin abnehmen: mit der Thätigkeit schwindet aber
auch dasjenige Bewußtsein, welches sich eben nur in dieser
Thätigkeit entwickeln kann. Wenn sich der Künstler in
sein Thun versenkt, so hört er auf, dasjenige zu denken
und zu thun, worin für Andere das bewußte Leben besteht;
ja je ernsthafter und bedeutender seine Leistung ist, desto
mehr wird sie sich von allem entfernen, was als der
wesentliche Inhalt bewußten Lebens gilt. Der Künstler
erscheint dann denen, die seines Strebens und seiner Fähig¬
keit nicht theilhaftig sind, wie abwesend und wie von
Mächten geleitet, deren er sich selbst unbewußt ist. Der
Künstler aber weiß sehr genau, was er will und was er
thut. Wenn er an seine Thätigkeit geht, so macht er keines¬
wegs einen gewaltsamen Sprung aus dem Bereiche be¬
wußter Thätigkeit in die Sphäre von Lebensäußerungen,
die den Menschen als ein Vernunft- und willenloses Werk¬
zeug geheimnißvoller Eingebungen erscheinen lassen. Er
entzieht sich zwar dem Bewußtsein, welches ihn mit seinen
Mitmenschen so lange vereinigte, als er sich an ihrer Denk-
und Beschäftigungsweise betheiligt hatte, aber er verscheucht
darum nicht die gegenwärtige Kraft seiner Intelligenz
und seines Willens, um das Feld frei zu machen für
jene Offenbarungen. Was er thut, ist, daß er zur Ent¬
wickelung seines Bewußtseins andere der menschlichen Natur
eigene Anlagen aufruft, und auch zu einem anderen Re¬
sultat kommt, als Andere, denen seine Art der Thätigkeit
fern liegt. Aber innerhalb seiner Thätigkeit erweist sich

einer Seite ſteigert, deſto mehr muß ſie nach jeder anderen
Seite hin abnehmen: mit der Thätigkeit ſchwindet aber
auch dasjenige Bewußtſein, welches ſich eben nur in dieſer
Thätigkeit entwickeln kann. Wenn ſich der Künſtler in
ſein Thun verſenkt, ſo hört er auf, dasjenige zu denken
und zu thun, worin für Andere das bewußte Leben beſteht;
ja je ernſthafter und bedeutender ſeine Leiſtung iſt, deſto
mehr wird ſie ſich von allem entfernen, was als der
weſentliche Inhalt bewußten Lebens gilt. Der Künſtler
erſcheint dann denen, die ſeines Strebens und ſeiner Fähig¬
keit nicht theilhaftig ſind, wie abweſend und wie von
Mächten geleitet, deren er ſich ſelbſt unbewußt iſt. Der
Künſtler aber weiß ſehr genau, was er will und was er
thut. Wenn er an ſeine Thätigkeit geht, ſo macht er keines¬
wegs einen gewaltſamen Sprung aus dem Bereiche be¬
wußter Thätigkeit in die Sphäre von Lebensäußerungen,
die den Menſchen als ein Vernunft- und willenloſes Werk¬
zeug geheimnißvoller Eingebungen erſcheinen laſſen. Er
entzieht ſich zwar dem Bewußtſein, welches ihn mit ſeinen
Mitmenſchen ſo lange vereinigte, als er ſich an ihrer Denk-
und Beſchäftigungsweiſe betheiligt hatte, aber er verſcheucht
darum nicht die gegenwärtige Kraft ſeiner Intelligenz
und ſeines Willens, um das Feld frei zu machen für
jene Offenbarungen. Was er thut, iſt, daß er zur Ent¬
wickelung ſeines Bewußtſeins andere der menſchlichen Natur
eigene Anlagen aufruft, und auch zu einem anderen Re¬
ſultat kommt, als Andere, denen ſeine Art der Thätigkeit
fern liegt. Aber innerhalb ſeiner Thätigkeit erweiſt ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0119" n="107"/>
einer Seite &#x017F;teigert, de&#x017F;to mehr muß &#x017F;ie nach jeder anderen<lb/>
Seite hin abnehmen: mit der Thätigkeit &#x017F;chwindet aber<lb/>
auch dasjenige Bewußt&#x017F;ein, welches &#x017F;ich eben nur in die&#x017F;er<lb/>
Thätigkeit entwickeln kann. Wenn &#x017F;ich der Kün&#x017F;tler in<lb/>
&#x017F;ein Thun ver&#x017F;enkt, &#x017F;o hört er auf, dasjenige zu denken<lb/>
und zu thun, worin für Andere das bewußte Leben be&#x017F;teht;<lb/>
ja je ern&#x017F;thafter und bedeutender &#x017F;eine Lei&#x017F;tung i&#x017F;t, de&#x017F;to<lb/>
mehr wird &#x017F;ie &#x017F;ich von allem entfernen, was als der<lb/>
we&#x017F;entliche Inhalt bewußten Lebens gilt. Der Kün&#x017F;tler<lb/>
er&#x017F;cheint dann denen, die &#x017F;eines Strebens und &#x017F;einer Fähig¬<lb/>
keit nicht theilhaftig &#x017F;ind, wie abwe&#x017F;end und wie von<lb/>
Mächten geleitet, deren er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t unbewußt i&#x017F;t. Der<lb/>
Kün&#x017F;tler aber weiß &#x017F;ehr genau, was er will und was er<lb/>
thut. Wenn er an &#x017F;eine Thätigkeit geht, &#x017F;o macht er keines¬<lb/>
wegs einen gewalt&#x017F;amen Sprung aus dem Bereiche be¬<lb/>
wußter Thätigkeit in die Sphäre von Lebensäußerungen,<lb/>
die den Men&#x017F;chen als ein Vernunft- und willenlo&#x017F;es Werk¬<lb/>
zeug geheimnißvoller Eingebungen er&#x017F;cheinen la&#x017F;&#x017F;en. Er<lb/>
entzieht &#x017F;ich zwar dem Bewußt&#x017F;ein, welches ihn mit &#x017F;einen<lb/>
Mitmen&#x017F;chen &#x017F;o lange vereinigte, als er &#x017F;ich an ihrer Denk-<lb/>
und Be&#x017F;chäftigungswei&#x017F;e betheiligt hatte, aber er ver&#x017F;cheucht<lb/>
darum nicht die gegenwärtige Kraft &#x017F;einer Intelligenz<lb/>
und &#x017F;eines Willens, um das Feld frei zu machen für<lb/>
jene Offenbarungen. Was er thut, i&#x017F;t, daß er zur Ent¬<lb/>
wickelung &#x017F;eines Bewußt&#x017F;eins andere der men&#x017F;chlichen Natur<lb/>
eigene Anlagen aufruft, und auch zu einem anderen Re¬<lb/>
&#x017F;ultat kommt, als Andere, denen &#x017F;eine Art der Thätigkeit<lb/>
fern liegt. Aber innerhalb &#x017F;einer Thätigkeit erwei&#x017F;t &#x017F;ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0119] einer Seite ſteigert, deſto mehr muß ſie nach jeder anderen Seite hin abnehmen: mit der Thätigkeit ſchwindet aber auch dasjenige Bewußtſein, welches ſich eben nur in dieſer Thätigkeit entwickeln kann. Wenn ſich der Künſtler in ſein Thun verſenkt, ſo hört er auf, dasjenige zu denken und zu thun, worin für Andere das bewußte Leben beſteht; ja je ernſthafter und bedeutender ſeine Leiſtung iſt, deſto mehr wird ſie ſich von allem entfernen, was als der weſentliche Inhalt bewußten Lebens gilt. Der Künſtler erſcheint dann denen, die ſeines Strebens und ſeiner Fähig¬ keit nicht theilhaftig ſind, wie abweſend und wie von Mächten geleitet, deren er ſich ſelbſt unbewußt iſt. Der Künſtler aber weiß ſehr genau, was er will und was er thut. Wenn er an ſeine Thätigkeit geht, ſo macht er keines¬ wegs einen gewaltſamen Sprung aus dem Bereiche be¬ wußter Thätigkeit in die Sphäre von Lebensäußerungen, die den Menſchen als ein Vernunft- und willenloſes Werk¬ zeug geheimnißvoller Eingebungen erſcheinen laſſen. Er entzieht ſich zwar dem Bewußtſein, welches ihn mit ſeinen Mitmenſchen ſo lange vereinigte, als er ſich an ihrer Denk- und Beſchäftigungsweiſe betheiligt hatte, aber er verſcheucht darum nicht die gegenwärtige Kraft ſeiner Intelligenz und ſeines Willens, um das Feld frei zu machen für jene Offenbarungen. Was er thut, iſt, daß er zur Ent¬ wickelung ſeines Bewußtſeins andere der menſchlichen Natur eigene Anlagen aufruft, und auch zu einem anderen Re¬ ſultat kommt, als Andere, denen ſeine Art der Thätigkeit fern liegt. Aber innerhalb ſeiner Thätigkeit erweiſt ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/119
Zitationshilfe: Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/119>, abgerufen am 16.05.2024.