dasselbe, was die Regel bildet für alle ernsthafte männ¬ liche Thätigkeit: nur die Anfänge reichen hinab in jene durch keine Vernunft zu ergründenden, durch keinen Willen zu leitenden, von keinem Bewußtsein erhellten Regionen unserer Natur; jeglicher Fortschritt führt aus diesen Dunkel¬ heiten heraus, und der Sinn der Arbeit, die der Mensch zu verrichten hat, ist, daß er sich mehr und mehr jenen Regionen entwinde, nicht daß er sich in ihnen verliere.
Wenn der Künstler Anderen in einer Art von traum¬ hafter Existenz seine Thätigkeit zu vollbringen scheint, so liegt für ihn selbst in dieser Thätigkeit das eigentliche Er¬ wachen. Ihm kann die Helligkeit des Bewußtseins, zu der er gelangt, indem er auf den Wegen der Anderen wandelt, nicht genügen; denn er sieht Dunkelheiten um sich, deren Vorhandensein jenen entgeht. Er wird, wenn ihm die Wissenschaft, stolz auf ihren Fortschritt, ihr Reich zeigt und die Welt als eine erkannte oder wenigstens durch ihre Mittel zu erkennende vor ihm ausbreitet, nicht ganz an der Genugthuung theilnehmen können, die der Forscher empfindet. Denn wenn er sich auch erleuchtet findet durch das, was jener ihm zeigt, so wird er sich doch nicht davon zu überzeugen vermögen, daß es die Welt so schlechthin und so um und um sei, die sich ihm durch die Entwickelung des wissenschaftlichen Bewußtseins in immer zunehmender Klarheit und Verständlichkeit darbietet. Er wird sich in ganz unwillkürlicher Auflehnung gegen den Anspruch be¬ finden, den Jene erheben, und wird sich im Stillen sagen, daß alle Wissenschaft im Grunde ein armseliges Ding sei,
daſſelbe, was die Regel bildet für alle ernſthafte männ¬ liche Thätigkeit: nur die Anfänge reichen hinab in jene durch keine Vernunft zu ergründenden, durch keinen Willen zu leitenden, von keinem Bewußtſein erhellten Regionen unſerer Natur; jeglicher Fortſchritt führt aus dieſen Dunkel¬ heiten heraus, und der Sinn der Arbeit, die der Menſch zu verrichten hat, iſt, daß er ſich mehr und mehr jenen Regionen entwinde, nicht daß er ſich in ihnen verliere.
Wenn der Künſtler Anderen in einer Art von traum¬ hafter Exiſtenz ſeine Thätigkeit zu vollbringen ſcheint, ſo liegt für ihn ſelbſt in dieſer Thätigkeit das eigentliche Er¬ wachen. Ihm kann die Helligkeit des Bewußtſeins, zu der er gelangt, indem er auf den Wegen der Anderen wandelt, nicht genügen; denn er ſieht Dunkelheiten um ſich, deren Vorhandenſein jenen entgeht. Er wird, wenn ihm die Wiſſenſchaft, ſtolz auf ihren Fortſchritt, ihr Reich zeigt und die Welt als eine erkannte oder wenigſtens durch ihre Mittel zu erkennende vor ihm ausbreitet, nicht ganz an der Genugthuung theilnehmen können, die der Forſcher empfindet. Denn wenn er ſich auch erleuchtet findet durch das, was jener ihm zeigt, ſo wird er ſich doch nicht davon zu überzeugen vermögen, daß es die Welt ſo ſchlechthin und ſo um und um ſei, die ſich ihm durch die Entwickelung des wiſſenſchaftlichen Bewußtſeins in immer zunehmender Klarheit und Verſtändlichkeit darbietet. Er wird ſich in ganz unwillkürlicher Auflehnung gegen den Anſpruch be¬ finden, den Jene erheben, und wird ſich im Stillen ſagen, daß alle Wiſſenſchaft im Grunde ein armſeliges Ding ſei,
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daſſelbe, was die Regel bildet für alle ernſthafte männ¬
liche Thätigkeit: nur die Anfänge reichen hinab in jene
durch keine Vernunft zu ergründenden, durch keinen Willen
zu leitenden, von keinem Bewußtſein erhellten Regionen
unſerer Natur; jeglicher Fortſchritt führt aus dieſen Dunkel¬
heiten heraus, und der Sinn der Arbeit, die der Menſch
zu verrichten hat, iſt, daß er ſich mehr und mehr jenen
Regionen entwinde, nicht daß er ſich in ihnen verliere.
Wenn der Künſtler Anderen in einer Art von traum¬
hafter Exiſtenz ſeine Thätigkeit zu vollbringen ſcheint, ſo
liegt für ihn ſelbſt in dieſer Thätigkeit das eigentliche Er¬
wachen. Ihm kann die Helligkeit des Bewußtſeins, zu der
er gelangt, indem er auf den Wegen der Anderen wandelt,
nicht genügen; denn er ſieht Dunkelheiten um ſich, deren
Vorhandenſein jenen entgeht. Er wird, wenn ihm die
Wiſſenſchaft, ſtolz auf ihren Fortſchritt, ihr Reich zeigt
und die Welt als eine erkannte oder wenigſtens durch
ihre Mittel zu erkennende vor ihm ausbreitet, nicht ganz
an der Genugthuung theilnehmen können, die der Forſcher
empfindet. Denn wenn er ſich auch erleuchtet findet durch
das, was jener ihm zeigt, ſo wird er ſich doch nicht davon
zu überzeugen vermögen, daß es die Welt ſo ſchlechthin
und ſo um und um ſei, die ſich ihm durch die Entwickelung
des wiſſenſchaftlichen Bewußtſeins in immer zunehmender
Klarheit und Verſtändlichkeit darbietet. Er wird ſich in
ganz unwillkürlicher Auflehnung gegen den Anſpruch be¬
finden, den Jene erheben, und wird ſich im Stillen ſagen,
daß alle Wiſſenſchaft im Grunde ein armſeliges Ding ſei,
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/120>, abgerufen am 18.07.2024.
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