während das echte Leben der Kunst ausschließlich davon abhängt, daß die menschliche Natur sich in einzelnen In¬ dividuen nach Seite jener sich an das innere Erlebniß der Gesichtswahrnehmung anschließenden äußeren Fähigkeiten und Fertigkeiten über das gewöhnliche Maß entwickelt zeigt.
Wenn wir davon reden, daß wir uns der sichtbaren Welt bewußt werden, so denken wir dabei an ein Bewußt¬ sein, welches sowohl in allen normal organisirten Menschen entstehen, als auch das ganze Reich des Sichtbaren zu seinem Inhalt haben könne. Es braucht hier nicht wieder¬ holt zu werden, daß wir uns von dem, was wir das Reich des Sichtbaren nennen, deshalb einen ungenügenden Begriff machen, weil wir dabei nur an das denken, was wir durch den Gebrauch der Augen erwerben, und uns dann über das, was wir sehen oder als gesehen vorstellen in jeder möglichen Weise Rechenschaft zu geben suchen, nur nicht in derjenigen, durch die wir allein zur sehenden Gewißheit über Gesehenes kommen können. Wir haben uns überzeugt, daß wir mit dem Ausdruck "Reich des Sichtbaren" einen sehr anderen Sinn verbinden müssen. Ist die Möglichkeit, sich dasselbe mehr und mehr zum Bewußtsein zu bringen, abhängig von Fähigkeiten, die weit über den Gebrauch der Augen hinausgehen, und mit denen die Natur verhältnißmäßig doch nur Wenige und auch diese nur selten in sehr reichlichem Maße ausstattet; so kann von einem Bewußtsein der Sichtbarkeit weder in dem Sinn die Rede sein, daß es Allen gleichmäßig zugänglich sei, noch auch in dem, daß ihm alles zugänglich sei. Denn
während das echte Leben der Kunſt ausſchließlich davon abhängt, daß die menſchliche Natur ſich in einzelnen In¬ dividuen nach Seite jener ſich an das innere Erlebniß der Geſichtswahrnehmung anſchließenden äußeren Fähigkeiten und Fertigkeiten über das gewöhnliche Maß entwickelt zeigt.
Wenn wir davon reden, daß wir uns der ſichtbaren Welt bewußt werden, ſo denken wir dabei an ein Bewußt¬ ſein, welches ſowohl in allen normal organiſirten Menſchen entſtehen, als auch das ganze Reich des Sichtbaren zu ſeinem Inhalt haben könne. Es braucht hier nicht wieder¬ holt zu werden, daß wir uns von dem, was wir das Reich des Sichtbaren nennen, deshalb einen ungenügenden Begriff machen, weil wir dabei nur an das denken, was wir durch den Gebrauch der Augen erwerben, und uns dann über das, was wir ſehen oder als geſehen vorſtellen in jeder möglichen Weiſe Rechenſchaft zu geben ſuchen, nur nicht in derjenigen, durch die wir allein zur ſehenden Gewißheit über Geſehenes kommen können. Wir haben uns überzeugt, daß wir mit dem Ausdruck „Reich des Sichtbaren“ einen ſehr anderen Sinn verbinden müſſen. Iſt die Möglichkeit, ſich daſſelbe mehr und mehr zum Bewußtſein zu bringen, abhängig von Fähigkeiten, die weit über den Gebrauch der Augen hinausgehen, und mit denen die Natur verhältnißmäßig doch nur Wenige und auch dieſe nur ſelten in ſehr reichlichem Maße ausſtattet; ſo kann von einem Bewußtſein der Sichtbarkeit weder in dem Sinn die Rede ſein, daß es Allen gleichmäßig zugänglich ſei, noch auch in dem, daß ihm alles zugänglich ſei. Denn
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während das echte Leben der Kunſt ausſchließlich davon
abhängt, daß die menſchliche Natur ſich in einzelnen In¬
dividuen nach Seite jener ſich an das innere Erlebniß der
Geſichtswahrnehmung anſchließenden äußeren Fähigkeiten
und Fertigkeiten über das gewöhnliche Maß entwickelt zeigt.
Wenn wir davon reden, daß wir uns der ſichtbaren
Welt bewußt werden, ſo denken wir dabei an ein Bewußt¬
ſein, welches ſowohl in allen normal organiſirten Menſchen
entſtehen, als auch das ganze Reich des Sichtbaren zu
ſeinem Inhalt haben könne. Es braucht hier nicht wieder¬
holt zu werden, daß wir uns von dem, was wir das
Reich des Sichtbaren nennen, deshalb einen ungenügenden
Begriff machen, weil wir dabei nur an das denken, was
wir durch den Gebrauch der Augen erwerben, und uns
dann über das, was wir ſehen oder als geſehen vorſtellen
in jeder möglichen Weiſe Rechenſchaft zu geben ſuchen,
nur nicht in derjenigen, durch die wir allein zur ſehenden
Gewißheit über Geſehenes kommen können. Wir haben
uns überzeugt, daß wir mit dem Ausdruck „Reich des
Sichtbaren“ einen ſehr anderen Sinn verbinden müſſen.
Iſt die Möglichkeit, ſich daſſelbe mehr und mehr zum
Bewußtſein zu bringen, abhängig von Fähigkeiten, die weit
über den Gebrauch der Augen hinausgehen, und mit denen
die Natur verhältnißmäßig doch nur Wenige und auch
dieſe nur ſelten in ſehr reichlichem Maße ausſtattet; ſo
kann von einem Bewußtſein der Sichtbarkeit weder in dem
Sinn die Rede ſein, daß es Allen gleichmäßig zugänglich
ſei, noch auch in dem, daß ihm alles zugänglich ſei. Denn
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/126>, abgerufen am 18.07.2024.
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