gleichwie die Fähigkeit, in immer vordringender Thätigkeit sich zu immer helleren Zuständen des Sichtbares erleben¬ den Bewußtseins emporzuarbeiten, an eine Naturanlage gebunden ist, die kein Gemeingut, sondern ein Vorrecht Einzelner ist; so kann auch die Thätigkeit, in der sich jenes Bewußtsein entwickelt, immer nur Einzelnes erfassen; und Vieles von dem ungeheuren Material an Sichtbarem, was unsere Augen unaufhörlich an uns heranbringen, wird sich ihr überhaupt nicht unterwerfen lassen.
Wer sich nur sehend verhält, der mag wohl meinen, die sichtbare Welt als ein ungeheures Ganzes voller Reich¬ thum und Mannichfaltigkeit zu besitzen; die Mühelosigkeit, mit der ihm die unerschöpfliche Menge der Gesichtsein¬ drücke zu Theil wird, die Schnelligkeit, mit der sich die Vorstellungen in seinem Inneren ablösen und in ununter¬ brochenem Wechsel, in nie abnehmender Fülle durch sein Bewußtsein ziehen, dies alles giebt ihm die Gewißheit, inmitten einer großen sichtbaren Welt zu stehen, die ihn umgiebt, auch wenn er sie sich nicht als ein Ganzes in einem und demselben Augenblicke vergegenwärtigen kann, deren er gewiß ist, auch wenn er vielleicht in seinem ganzen Leben nur eines kleinen Theiles derselben ansichtig wird. Diese große, reiche, unermeßliche Welt der sicht¬ baren Erscheinungen versinkt in dem Augenblicke, wo die künstlerische Kraft sich ihrer ernsthaft zu bemächtigen sucht. Schon der erste Versuch, aus dem dämmernden Zustande des sich der Sichtbarkeit im allgemeinen Be¬ wußtwerdens herauszutreten und zu einiger Deutlichkeit
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gleichwie die Fähigkeit, in immer vordringender Thätigkeit ſich zu immer helleren Zuſtänden des Sichtbares erleben¬ den Bewußtſeins emporzuarbeiten, an eine Naturanlage gebunden iſt, die kein Gemeingut, ſondern ein Vorrecht Einzelner iſt; ſo kann auch die Thätigkeit, in der ſich jenes Bewußtſein entwickelt, immer nur Einzelnes erfaſſen; und Vieles von dem ungeheuren Material an Sichtbarem, was unſere Augen unaufhörlich an uns heranbringen, wird ſich ihr überhaupt nicht unterwerfen laſſen.
Wer ſich nur ſehend verhält, der mag wohl meinen, die ſichtbare Welt als ein ungeheures Ganzes voller Reich¬ thum und Mannichfaltigkeit zu beſitzen; die Müheloſigkeit, mit der ihm die unerſchöpfliche Menge der Geſichtsein¬ drücke zu Theil wird, die Schnelligkeit, mit der ſich die Vorſtellungen in ſeinem Inneren ablöſen und in ununter¬ brochenem Wechſel, in nie abnehmender Fülle durch ſein Bewußtſein ziehen, dies alles giebt ihm die Gewißheit, inmitten einer großen ſichtbaren Welt zu ſtehen, die ihn umgiebt, auch wenn er ſie ſich nicht als ein Ganzes in einem und demſelben Augenblicke vergegenwärtigen kann, deren er gewiß iſt, auch wenn er vielleicht in ſeinem ganzen Leben nur eines kleinen Theiles derſelben anſichtig wird. Dieſe große, reiche, unermeßliche Welt der ſicht¬ baren Erſcheinungen verſinkt in dem Augenblicke, wo die künſtleriſche Kraft ſich ihrer ernſthaft zu bemächtigen ſucht. Schon der erſte Verſuch, aus dem dämmernden Zuſtande des ſich der Sichtbarkeit im allgemeinen Be¬ wußtwerdens herauszutreten und zu einiger Deutlichkeit
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gleichwie die Fähigkeit, in immer vordringender Thätigkeit
ſich zu immer helleren Zuſtänden des Sichtbares erleben¬
den Bewußtſeins emporzuarbeiten, an eine Naturanlage
gebunden iſt, die kein Gemeingut, ſondern ein Vorrecht
Einzelner iſt; ſo kann auch die Thätigkeit, in der ſich
jenes Bewußtſein entwickelt, immer nur Einzelnes erfaſſen;
und Vieles von dem ungeheuren Material an Sichtbarem,
was unſere Augen unaufhörlich an uns heranbringen, wird
ſich ihr überhaupt nicht unterwerfen laſſen.
Wer ſich nur ſehend verhält, der mag wohl meinen,
die ſichtbare Welt als ein ungeheures Ganzes voller Reich¬
thum und Mannichfaltigkeit zu beſitzen; die Müheloſigkeit,
mit der ihm die unerſchöpfliche Menge der Geſichtsein¬
drücke zu Theil wird, die Schnelligkeit, mit der ſich die
Vorſtellungen in ſeinem Inneren ablöſen und in ununter¬
brochenem Wechſel, in nie abnehmender Fülle durch ſein
Bewußtſein ziehen, dies alles giebt ihm die Gewißheit,
inmitten einer großen ſichtbaren Welt zu ſtehen, die ihn
umgiebt, auch wenn er ſie ſich nicht als ein Ganzes in
einem und demſelben Augenblicke vergegenwärtigen kann,
deren er gewiß iſt, auch wenn er vielleicht in ſeinem
ganzen Leben nur eines kleinen Theiles derſelben anſichtig
wird. Dieſe große, reiche, unermeßliche Welt der ſicht¬
baren Erſcheinungen verſinkt in dem Augenblicke, wo die
künſtleriſche Kraft ſich ihrer ernſthaft zu bemächtigen
ſucht. Schon der erſte Verſuch, aus dem dämmernden
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/127>, abgerufen am 18.07.2024.
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