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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887.

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die die Natur über dasselbe ausübt, indem sie den Men¬
schen mit mehr oder weniger gestaltender Begabung aus¬
stattet. Wir können den Künstler auf die Höhe einer Jahr¬
hunderte, Jahrtausende langen Entwickelung stellen, er wird
dadurch nicht den geringsten Zuwachs an jener Kraft er¬
halten, durch die allein irgend eine künstlerische Aufgabe
gelöst werden kann. Mit dieser Kraft steht der Künstler,
welchem Volke, welcher Zeit er angehören mag, der Natur
doch immer wieder unmittelbar gegenüber, und hat sich
zu bethätigen, als ob er der Erste und auch der Letzte
wäre, der der Natur das Geheimniß ihrer sichtbaren Er¬
scheinung abverlangte.

Und damit hängt es endlich auch zusammen, daß die
künstlerische Arbeit immer eine fragmentarische bleiben
muß. Sie stellt sich dar als ein immer und überall sich
wiederholender, zu den verschiedensten Graden des Ge¬
lingens führender Versuch, in das Gebiet des sichtbaren
Seins vorzudringen und es in gestalteter Form dem Be¬
wußtsein anzueignen. Es kann aber nur zu Mißverständ¬
nissen führen, wenn man in ihr eine fortschreitende Be¬
wegung nach einem Ziele sucht, zu dessen Erreichung alle
künstlerischen Leistungen nur als Vorstufen zu betrachten
seien. Die Aufgabe der Kunst, wenn man von einer
solchen reden will, bleibt immer dieselbe, im Ganzen un¬
gelöste und unlösbare, und muß immer dieselbe bleiben,
so lange es Menschen giebt.

Aus der Bedeutung, die der künstlerischen Thätigkeit
den obigen Ausführungen nach zukommt, ergeben sich nun

die die Natur über dasſelbe ausübt, indem ſie den Men¬
ſchen mit mehr oder weniger geſtaltender Begabung aus¬
ſtattet. Wir können den Künſtler auf die Höhe einer Jahr¬
hunderte, Jahrtauſende langen Entwickelung ſtellen, er wird
dadurch nicht den geringſten Zuwachs an jener Kraft er¬
halten, durch die allein irgend eine künſtleriſche Aufgabe
gelöſt werden kann. Mit dieſer Kraft ſteht der Künſtler,
welchem Volke, welcher Zeit er angehören mag, der Natur
doch immer wieder unmittelbar gegenüber, und hat ſich
zu bethätigen, als ob er der Erſte und auch der Letzte
wäre, der der Natur das Geheimniß ihrer ſichtbaren Er¬
ſcheinung abverlangte.

Und damit hängt es endlich auch zuſammen, daß die
künſtleriſche Arbeit immer eine fragmentariſche bleiben
muß. Sie ſtellt ſich dar als ein immer und überall ſich
wiederholender, zu den verſchiedenſten Graden des Ge¬
lingens führender Verſuch, in das Gebiet des ſichtbaren
Seins vorzudringen und es in geſtalteter Form dem Be¬
wußtſein anzueignen. Es kann aber nur zu Mißverſtänd¬
niſſen führen, wenn man in ihr eine fortſchreitende Be¬
wegung nach einem Ziele ſucht, zu deſſen Erreichung alle
künſtleriſchen Leiſtungen nur als Vorſtufen zu betrachten
ſeien. Die Aufgabe der Kunſt, wenn man von einer
ſolchen reden will, bleibt immer dieſelbe, im Ganzen un¬
gelöſte und unlösbare, und muß immer dieſelbe bleiben,
ſo lange es Menſchen giebt.

Aus der Bedeutung, die der künſtleriſchen Thätigkeit
den obigen Ausführungen nach zukommt, ergeben ſich nun

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[137/0149] die die Natur über dasſelbe ausübt, indem ſie den Men¬ ſchen mit mehr oder weniger geſtaltender Begabung aus¬ ſtattet. Wir können den Künſtler auf die Höhe einer Jahr¬ hunderte, Jahrtauſende langen Entwickelung ſtellen, er wird dadurch nicht den geringſten Zuwachs an jener Kraft er¬ halten, durch die allein irgend eine künſtleriſche Aufgabe gelöſt werden kann. Mit dieſer Kraft ſteht der Künſtler, welchem Volke, welcher Zeit er angehören mag, der Natur doch immer wieder unmittelbar gegenüber, und hat ſich zu bethätigen, als ob er der Erſte und auch der Letzte wäre, der der Natur das Geheimniß ihrer ſichtbaren Er¬ ſcheinung abverlangte. Und damit hängt es endlich auch zuſammen, daß die künſtleriſche Arbeit immer eine fragmentariſche bleiben muß. Sie ſtellt ſich dar als ein immer und überall ſich wiederholender, zu den verſchiedenſten Graden des Ge¬ lingens führender Verſuch, in das Gebiet des ſichtbaren Seins vorzudringen und es in geſtalteter Form dem Be¬ wußtſein anzueignen. Es kann aber nur zu Mißverſtänd¬ niſſen führen, wenn man in ihr eine fortſchreitende Be¬ wegung nach einem Ziele ſucht, zu deſſen Erreichung alle künſtleriſchen Leiſtungen nur als Vorſtufen zu betrachten ſeien. Die Aufgabe der Kunſt, wenn man von einer ſolchen reden will, bleibt immer dieſelbe, im Ganzen un¬ gelöſte und unlösbare, und muß immer dieſelbe bleiben, ſo lange es Menſchen giebt. Aus der Bedeutung, die der künſtleriſchen Thätigkeit den obigen Ausführungen nach zukommt, ergeben ſich nun

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Zitationshilfe: Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/149>, abgerufen am 16.05.2024.