immer nur wieder ein Verhältniß von Wahrnehmung und Vorstellung zu Wahrnehmung und Vorstellung; darüber hinaus werden wir niemals gelangen können. Wir sind also in Betreff der gesammten sinnlichen Wirklichkeit auf das angewiesen, was wir als sogenannten psychischen Be¬ sitz in unserem wahrnehmenden beziehentlich vorstellenden Bewußtsein finden. Wir können nun nicht annehmen, daß dieser psychische Besitz nur so in der Luft schwebe und als etwas Immaterielles uns zu theil werde. Sowenig irgend eine Wahrnehmung oder Vorstellung auf anderen als sinn¬ lichen Wegen in unser Bewußtsein gelangen kann, ebenso¬ wenig kann sie in anderer Form in unserem Bewußtsein existiren, als in der Form eines sinnlichen Vorganges. Bedenken wir, daß das gesammte Wahrnehmungs- und Vorstellungsleben in keiner anderen Weise vorhanden sein kann, als in Vorgängen, denen unser sinnlicher Organis¬ mus unterworfen ist, so werden wir leicht begreifen, daß unsere Vorstellungen nicht als etwas fertig Vorhandenes, in unser Bewußtsein Eintretendes und aus ihm wieder Verschwindendes angesehen werden können, sondern als etwas Werdendes, Entstehendes und Vergehendes. Wir hören nun auf, das Vorhandensein der Vorstellungen so auf Treu und Glauben hinzunehmen; wir sehen ein, daß unser ganzer Vorstellungs- und somit Wirklichkeitsbesitz sich nicht weiter erstreckt als über die Vorgänge, die im einzelnen Augenblick in uns, an uns stattfinden können; daß in jedem Augenblick die ganze Welt, die wir unser nennen können, vergeht und in jedem Augenblick wiederum
immer nur wieder ein Verhältniß von Wahrnehmung und Vorſtellung zu Wahrnehmung und Vorſtellung; darüber hinaus werden wir niemals gelangen können. Wir ſind alſo in Betreff der geſammten ſinnlichen Wirklichkeit auf das angewieſen, was wir als ſogenannten pſychiſchen Be¬ ſitz in unſerem wahrnehmenden beziehentlich vorſtellenden Bewußtſein finden. Wir können nun nicht annehmen, daß dieſer pſychiſche Beſitz nur ſo in der Luft ſchwebe und als etwas Immaterielles uns zu theil werde. Sowenig irgend eine Wahrnehmung oder Vorſtellung auf anderen als ſinn¬ lichen Wegen in unſer Bewußtſein gelangen kann, ebenſo¬ wenig kann ſie in anderer Form in unſerem Bewußtſein exiſtiren, als in der Form eines ſinnlichen Vorganges. Bedenken wir, daß das geſammte Wahrnehmungs- und Vorſtellungsleben in keiner anderen Weiſe vorhanden ſein kann, als in Vorgängen, denen unſer ſinnlicher Organis¬ mus unterworfen iſt, ſo werden wir leicht begreifen, daß unſere Vorſtellungen nicht als etwas fertig Vorhandenes, in unſer Bewußtſein Eintretendes und aus ihm wieder Verſchwindendes angeſehen werden können, ſondern als etwas Werdendes, Entſtehendes und Vergehendes. Wir hören nun auf, das Vorhandenſein der Vorſtellungen ſo auf Treu und Glauben hinzunehmen; wir ſehen ein, daß unſer ganzer Vorſtellungs- und ſomit Wirklichkeitsbeſitz ſich nicht weiter erſtreckt als über die Vorgänge, die im einzelnen Augenblick in uns, an uns ſtattfinden können; daß in jedem Augenblick die ganze Welt, die wir unſer nennen können, vergeht und in jedem Augenblick wiederum
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immer nur wieder ein Verhältniß von Wahrnehmung und
Vorſtellung zu Wahrnehmung und Vorſtellung; darüber
hinaus werden wir niemals gelangen können. Wir ſind
alſo in Betreff der geſammten ſinnlichen Wirklichkeit auf
das angewieſen, was wir als ſogenannten pſychiſchen Be¬
ſitz in unſerem wahrnehmenden beziehentlich vorſtellenden
Bewußtſein finden. Wir können nun nicht annehmen, daß
dieſer pſychiſche Beſitz nur ſo in der Luft ſchwebe und als
etwas Immaterielles uns zu theil werde. Sowenig irgend
eine Wahrnehmung oder Vorſtellung auf anderen als ſinn¬
lichen Wegen in unſer Bewußtſein gelangen kann, ebenſo¬
wenig kann ſie in anderer Form in unſerem Bewußtſein
exiſtiren, als in der Form eines ſinnlichen Vorganges.
Bedenken wir, daß das geſammte Wahrnehmungs- und
Vorſtellungsleben in keiner anderen Weiſe vorhanden ſein
kann, als in Vorgängen, denen unſer ſinnlicher Organis¬
mus unterworfen iſt, ſo werden wir leicht begreifen, daß
unſere Vorſtellungen nicht als etwas fertig Vorhandenes,
in unſer Bewußtſein Eintretendes und aus ihm wieder
Verſchwindendes angeſehen werden können, ſondern als
etwas Werdendes, Entſtehendes und Vergehendes. Wir
hören nun auf, das Vorhandenſein der Vorſtellungen ſo
auf Treu und Glauben hinzunehmen; wir ſehen ein, daß
unſer ganzer Vorſtellungs- und ſomit Wirklichkeitsbeſitz
ſich nicht weiter erſtreckt als über die Vorgänge, die im
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/55>, abgerufen am 16.02.2025.
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