Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

den Gesichtssinn gelieferten. Bekanntlich unterscheidet man
in dem Proceß, von dem man annimmt, daß er stattfinden
müsse, damit eine Wahrnehmung oder Vorstellung zu
Stande kommen könne, das Stadium der Perception und
das der Apperception. Der Eintritt des Bildes in den
weiteren Kreis des wahrnehmenden Bewußtseins schließt
eine gewisse Undeutlichkeit nicht aus; das Bild befindet
sich gleichzeitig mit anderen in diesem weiteren Umkreis;
dadurch aber, daß das Bild appercipirt, d. h. in den
Blickpunkt des Bewußtseins, in das eigentliche Centrum
der Aufmerksamkeit gehoben wird, erlangt es seine volle
Klarheit und Deutlichkeit. Damit erscheint der Proceß
des Wahrnehmens und Vorstellens abgeschlossen. Wir
besitzen nun zwar etwas; aber es erscheint uns als ein
todter, werthloser Besitz, wenn wir es nicht als Anregung
zu einem mannichfaltigen Gefühlsleben oder als Stoff
des Denkens und Erkennens in unserem seelischen und
geistigen Dasein verwenden. Diese letzteren Vorgänge, in
denen sich unser bewußtes Leben entwickelt, knüpfen sich
unzweifelhaft an die Wahrnehmungen beziehentlich Vor¬
stellungen an, ja wären ohne dieselben gar nicht möglich,
aber sie wären auch wiederum nicht möglich, wenn nicht
in ihnen ein Verlassen jener stattfände. Es ist die Enge
des Bewußtseins selbst, die es mit sich bringt, daß durch
diejenigen geistigen Operationen, die in das Bewußtsein
treten, um aus einer Wahrnehmung oder Vorstellung einen
bestimmten Werth für unser Gefühlsleben oder für unsere
Erkenntnißthätigkeit zu machen, die Wahrnehmung oder

den Geſichtsſinn gelieferten. Bekanntlich unterſcheidet man
in dem Proceß, von dem man annimmt, daß er ſtattfinden
müſſe, damit eine Wahrnehmung oder Vorſtellung zu
Stande kommen könne, das Stadium der Perception und
das der Apperception. Der Eintritt des Bildes in den
weiteren Kreis des wahrnehmenden Bewußtſeins ſchließt
eine gewiſſe Undeutlichkeit nicht aus; das Bild befindet
ſich gleichzeitig mit anderen in dieſem weiteren Umkreis;
dadurch aber, daß das Bild appercipirt, d. h. in den
Blickpunkt des Bewußtſeins, in das eigentliche Centrum
der Aufmerkſamkeit gehoben wird, erlangt es ſeine volle
Klarheit und Deutlichkeit. Damit erſcheint der Proceß
des Wahrnehmens und Vorſtellens abgeſchloſſen. Wir
beſitzen nun zwar etwas; aber es erſcheint uns als ein
todter, werthloſer Beſitz, wenn wir es nicht als Anregung
zu einem mannichfaltigen Gefühlsleben oder als Stoff
des Denkens und Erkennens in unſerem ſeeliſchen und
geiſtigen Daſein verwenden. Dieſe letzteren Vorgänge, in
denen ſich unſer bewußtes Leben entwickelt, knüpfen ſich
unzweifelhaft an die Wahrnehmungen beziehentlich Vor¬
ſtellungen an, ja wären ohne dieſelben gar nicht möglich,
aber ſie wären auch wiederum nicht möglich, wenn nicht
in ihnen ein Verlaſſen jener ſtattfände. Es iſt die Enge
des Bewußtſeins ſelbſt, die es mit ſich bringt, daß durch
diejenigen geiſtigen Operationen, die in das Bewußtſein
treten, um aus einer Wahrnehmung oder Vorſtellung einen
beſtimmten Werth für unſer Gefühlsleben oder für unſere
Erkenntnißthätigkeit zu machen, die Wahrnehmung oder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0076" n="64"/>
den Ge&#x017F;ichts&#x017F;inn gelieferten. Bekanntlich unter&#x017F;cheidet man<lb/>
in dem Proceß, von dem man annimmt, daß er &#x017F;tattfinden<lb/>&#x017F;&#x017F;e, damit eine Wahrnehmung oder Vor&#x017F;tellung zu<lb/>
Stande kommen könne, das Stadium der Perception und<lb/>
das der Apperception. Der Eintritt des Bildes in den<lb/>
weiteren Kreis des wahrnehmenden Bewußt&#x017F;eins &#x017F;chließt<lb/>
eine gewi&#x017F;&#x017F;e Undeutlichkeit nicht aus; das Bild befindet<lb/>
&#x017F;ich gleichzeitig mit anderen in die&#x017F;em weiteren Umkreis;<lb/>
dadurch aber, daß das Bild appercipirt, d. h. in den<lb/>
Blickpunkt des Bewußt&#x017F;eins, in das eigentliche Centrum<lb/>
der Aufmerk&#x017F;amkeit gehoben wird, erlangt es &#x017F;eine volle<lb/>
Klarheit und Deutlichkeit. Damit er&#x017F;cheint der Proceß<lb/>
des Wahrnehmens und Vor&#x017F;tellens abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Wir<lb/>
be&#x017F;itzen nun zwar etwas; aber es er&#x017F;cheint uns als ein<lb/>
todter, werthlo&#x017F;er Be&#x017F;itz, wenn wir es nicht als Anregung<lb/>
zu einem mannichfaltigen Gefühlsleben oder als Stoff<lb/>
des Denkens und Erkennens in un&#x017F;erem &#x017F;eeli&#x017F;chen und<lb/>
gei&#x017F;tigen Da&#x017F;ein verwenden. Die&#x017F;e letzteren Vorgänge, in<lb/>
denen &#x017F;ich un&#x017F;er bewußtes Leben entwickelt, knüpfen &#x017F;ich<lb/>
unzweifelhaft an die Wahrnehmungen beziehentlich Vor¬<lb/>
&#x017F;tellungen an, ja wären ohne die&#x017F;elben gar nicht möglich,<lb/>
aber &#x017F;ie wären auch wiederum nicht möglich, wenn nicht<lb/>
in ihnen ein Verla&#x017F;&#x017F;en jener &#x017F;tattfände. Es i&#x017F;t die Enge<lb/>
des Bewußt&#x017F;eins &#x017F;elb&#x017F;t, die es mit &#x017F;ich bringt, daß durch<lb/>
diejenigen gei&#x017F;tigen Operationen, die in das Bewußt&#x017F;ein<lb/>
treten, um aus einer Wahrnehmung oder Vor&#x017F;tellung einen<lb/>
be&#x017F;timmten Werth für un&#x017F;er Gefühlsleben oder für un&#x017F;ere<lb/>
Erkenntnißthätigkeit zu machen, die Wahrnehmung oder<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0076] den Geſichtsſinn gelieferten. Bekanntlich unterſcheidet man in dem Proceß, von dem man annimmt, daß er ſtattfinden müſſe, damit eine Wahrnehmung oder Vorſtellung zu Stande kommen könne, das Stadium der Perception und das der Apperception. Der Eintritt des Bildes in den weiteren Kreis des wahrnehmenden Bewußtſeins ſchließt eine gewiſſe Undeutlichkeit nicht aus; das Bild befindet ſich gleichzeitig mit anderen in dieſem weiteren Umkreis; dadurch aber, daß das Bild appercipirt, d. h. in den Blickpunkt des Bewußtſeins, in das eigentliche Centrum der Aufmerkſamkeit gehoben wird, erlangt es ſeine volle Klarheit und Deutlichkeit. Damit erſcheint der Proceß des Wahrnehmens und Vorſtellens abgeſchloſſen. Wir beſitzen nun zwar etwas; aber es erſcheint uns als ein todter, werthloſer Beſitz, wenn wir es nicht als Anregung zu einem mannichfaltigen Gefühlsleben oder als Stoff des Denkens und Erkennens in unſerem ſeeliſchen und geiſtigen Daſein verwenden. Dieſe letzteren Vorgänge, in denen ſich unſer bewußtes Leben entwickelt, knüpfen ſich unzweifelhaft an die Wahrnehmungen beziehentlich Vor¬ ſtellungen an, ja wären ohne dieſelben gar nicht möglich, aber ſie wären auch wiederum nicht möglich, wenn nicht in ihnen ein Verlaſſen jener ſtattfände. Es iſt die Enge des Bewußtſeins ſelbſt, die es mit ſich bringt, daß durch diejenigen geiſtigen Operationen, die in das Bewußtſein treten, um aus einer Wahrnehmung oder Vorſtellung einen beſtimmten Werth für unſer Gefühlsleben oder für unſere Erkenntnißthätigkeit zu machen, die Wahrnehmung oder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/76
Zitationshilfe: Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/76>, abgerufen am 24.11.2024.