rückführen von dem, was nur gesehen werden kann, auf etwas, was nicht gesehen werden kann, weniger leicht mög¬ lich. Auch hier freilich meinen wir, auf einem ganz sicheren Boden zu stehen, indem wir das Urtheil über die Richtig¬ keit oder Unrichtigkeit der subjectiven Sinneswahrnehmung in ein objectives Vorhandensein dessen zu verlegen pflegen, was wahrgenommen werden soll. Aber es kann doch wenigstens darüber kein Zweifel obwalten, daß es nur ein Sichtbares sein kann, an dem wir die Richtigkeit des Sehens prüfen, und da dieses Sichtbare keine andere Existenz besitzt, als sein Gesehen- und als gesehen Vorge¬ stellt-werden, so läuft jene Prüfung auf die Untersuchung der Uebereinstimmung oder Nichtübereinstimmung -- nicht zwischen Wahrnehmung und Vorstellung einerseits, einem objectiv Vorhandenen andererseits, -- sondern zwischen den Wahrnehmungen und Vorstellungen der verschiedenen Indi¬ viduen hinaus. Wieweit eine solche Feststellung der Ueber¬ einstimmung oder Nichtübereinstimmung möglich ist, ge¬ hört nicht hierher.
Wenn wir einer Täuschung unterliegen, indem wir für die Vollständigkeit und Richtigkeit unserer Gesichts¬ wahrnehmungen oder Vorstellungen als solcher einen Ma߬ stab an etwas zu haben meinen, was sich als gar nicht durch den Gesichtssinn wahrnehmbar oder vorstellbar er¬ weist, so verfallen wir in eine ähnliche Täuschung, indem wir Gesichtswahrnehmungen oder Vorstellungen für das Gesammtleben unseres Bewußtseins in einer Form reali¬ siren, die aus ganz anderem Stoffe besteht, als dem durch
rückführen von dem, was nur geſehen werden kann, auf etwas, was nicht geſehen werden kann, weniger leicht mög¬ lich. Auch hier freilich meinen wir, auf einem ganz ſicheren Boden zu ſtehen, indem wir das Urtheil über die Richtig¬ keit oder Unrichtigkeit der ſubjectiven Sinneswahrnehmung in ein objectives Vorhandenſein deſſen zu verlegen pflegen, was wahrgenommen werden ſoll. Aber es kann doch wenigſtens darüber kein Zweifel obwalten, daß es nur ein Sichtbares ſein kann, an dem wir die Richtigkeit des Sehens prüfen, und da dieſes Sichtbare keine andere Exiſtenz beſitzt, als ſein Geſehen- und als geſehen Vorge¬ ſtellt-werden, ſo läuft jene Prüfung auf die Unterſuchung der Uebereinſtimmung oder Nichtübereinſtimmung — nicht zwiſchen Wahrnehmung und Vorſtellung einerſeits, einem objectiv Vorhandenen andererſeits, — ſondern zwiſchen den Wahrnehmungen und Vorſtellungen der verſchiedenen Indi¬ viduen hinaus. Wieweit eine ſolche Feſtſtellung der Ueber¬ einſtimmung oder Nichtübereinſtimmung möglich iſt, ge¬ hört nicht hierher.
Wenn wir einer Täuſchung unterliegen, indem wir für die Vollſtändigkeit und Richtigkeit unſerer Geſichts¬ wahrnehmungen oder Vorſtellungen als ſolcher einen Ma߬ ſtab an etwas zu haben meinen, was ſich als gar nicht durch den Geſichtsſinn wahrnehmbar oder vorſtellbar er¬ weiſt, ſo verfallen wir in eine ähnliche Täuſchung, indem wir Geſichtswahrnehmungen oder Vorſtellungen für das Geſammtleben unſeres Bewußtſeins in einer Form reali¬ ſiren, die aus ganz anderem Stoffe beſteht, als dem durch
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0075"n="63"/>
rückführen von dem, was nur geſehen werden kann, auf<lb/>
etwas, was nicht geſehen werden kann, weniger leicht mög¬<lb/>
lich. Auch hier freilich meinen wir, auf einem ganz ſicheren<lb/>
Boden zu ſtehen, indem wir das Urtheil über die Richtig¬<lb/>
keit oder Unrichtigkeit der ſubjectiven Sinneswahrnehmung<lb/>
in ein objectives Vorhandenſein deſſen zu verlegen pflegen,<lb/>
was wahrgenommen werden ſoll. Aber es kann doch<lb/>
wenigſtens darüber kein Zweifel obwalten, daß es nur ein<lb/>
Sichtbares ſein kann, an dem wir die Richtigkeit des<lb/>
Sehens prüfen, und da dieſes Sichtbare keine andere<lb/>
Exiſtenz beſitzt, als ſein Geſehen- und als geſehen Vorge¬<lb/>ſtellt-werden, ſo läuft jene Prüfung auf die Unterſuchung<lb/>
der Uebereinſtimmung oder Nichtübereinſtimmung — nicht<lb/>
zwiſchen Wahrnehmung und Vorſtellung einerſeits, einem<lb/>
objectiv Vorhandenen andererſeits, —ſondern zwiſchen den<lb/>
Wahrnehmungen und Vorſtellungen der verſchiedenen Indi¬<lb/>
viduen hinaus. Wieweit eine ſolche Feſtſtellung der Ueber¬<lb/>
einſtimmung oder Nichtübereinſtimmung möglich iſt, ge¬<lb/>
hört nicht hierher.</p><lb/><p>Wenn wir einer Täuſchung unterliegen, indem wir<lb/>
für die Vollſtändigkeit und Richtigkeit unſerer Geſichts¬<lb/>
wahrnehmungen oder Vorſtellungen als ſolcher einen Ma߬<lb/>ſtab an etwas zu haben meinen, was ſich als gar nicht<lb/>
durch den Geſichtsſinn wahrnehmbar oder vorſtellbar er¬<lb/>
weiſt, ſo verfallen wir in eine ähnliche Täuſchung, indem<lb/>
wir Geſichtswahrnehmungen oder Vorſtellungen für das<lb/>
Geſammtleben unſeres Bewußtſeins in einer Form reali¬<lb/>ſiren, die aus ganz anderem Stoffe beſteht, als dem durch<lb/></p></div></body></text></TEI>
[63/0075]
rückführen von dem, was nur geſehen werden kann, auf
etwas, was nicht geſehen werden kann, weniger leicht mög¬
lich. Auch hier freilich meinen wir, auf einem ganz ſicheren
Boden zu ſtehen, indem wir das Urtheil über die Richtig¬
keit oder Unrichtigkeit der ſubjectiven Sinneswahrnehmung
in ein objectives Vorhandenſein deſſen zu verlegen pflegen,
was wahrgenommen werden ſoll. Aber es kann doch
wenigſtens darüber kein Zweifel obwalten, daß es nur ein
Sichtbares ſein kann, an dem wir die Richtigkeit des
Sehens prüfen, und da dieſes Sichtbare keine andere
Exiſtenz beſitzt, als ſein Geſehen- und als geſehen Vorge¬
ſtellt-werden, ſo läuft jene Prüfung auf die Unterſuchung
der Uebereinſtimmung oder Nichtübereinſtimmung — nicht
zwiſchen Wahrnehmung und Vorſtellung einerſeits, einem
objectiv Vorhandenen andererſeits, — ſondern zwiſchen den
Wahrnehmungen und Vorſtellungen der verſchiedenen Indi¬
viduen hinaus. Wieweit eine ſolche Feſtſtellung der Ueber¬
einſtimmung oder Nichtübereinſtimmung möglich iſt, ge¬
hört nicht hierher.
Wenn wir einer Täuſchung unterliegen, indem wir
für die Vollſtändigkeit und Richtigkeit unſerer Geſichts¬
wahrnehmungen oder Vorſtellungen als ſolcher einen Ma߬
ſtab an etwas zu haben meinen, was ſich als gar nicht
durch den Geſichtsſinn wahrnehmbar oder vorſtellbar er¬
weiſt, ſo verfallen wir in eine ähnliche Täuſchung, indem
wir Geſichtswahrnehmungen oder Vorſtellungen für das
Geſammtleben unſeres Bewußtſeins in einer Form reali¬
ſiren, die aus ganz anderem Stoffe beſteht, als dem durch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/75>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.