einem Baume eingeklemmt war. Neben ihm hingen an einem Aste das Wehrge- henke und die Scheide, welche, obgleich aus schlechtem, unscheinlichem Stoffe gearbeitet, mit so hellem Glanze strahlte, daß sie den Wanderer schon in weiter Ferne anlockte. Kaum hatte er sich aber genähert, und den Griff des Säbels berührt: so fuhr die breite, vergoldete Klinge leicht aus der Klemme, und in den Zweigen des Baumes ertönten so schmeichelnde, sanfte Harmonien, daß Takeddin bald im Schatten desselben ent- schlief. Er hatte nun ein wunderbares, aber liebliches Traumgesicht von einem kristallenen Thurme, worin unverhüllte Mädchen tanzten und eine verhüllte Jung- frau trauerte: ein Traumbild, wovon wir vorläufig nichts verrathen wollen, weil es in der Wirklichkeit sich vielleicht noch ein- mal zeigen wird; obgleich Takeddin eben jetzt daran zurückdenkt.
einem Baume eingeklemmt war. Neben ihm hingen an einem Aſte das Wehrge- henke und die Scheide, welche, obgleich aus ſchlechtem, unſcheinlichem Stoffe gearbeitet, mit ſo hellem Glanze ſtrahlte, daß ſie den Wanderer ſchon in weiter Ferne anlockte. Kaum hatte er ſich aber genaͤhert, und den Griff des Saͤbels beruͤhrt: ſo fuhr die breite, vergoldete Klinge leicht aus der Klemme, und in den Zweigen des Baumes ertoͤnten ſo ſchmeichelnde, ſanfte Harmonien, daß Takeddin bald im Schatten deſſelben ent- ſchlief. Er hatte nun ein wunderbares, aber liebliches Traumgeſicht von einem kriſtallenen Thurme, worin unverhuͤllte Maͤdchen tanzten und eine verhuͤllte Jung- frau trauerte: ein Traumbild, wovon wir vorlaͤufig nichts verrathen wollen, weil es in der Wirklichkeit ſich vielleicht noch ein- mal zeigen wird; obgleich Takeddin eben jetzt daran zuruͤckdenkt.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0146"n="142"/>
einem Baume eingeklemmt war. Neben<lb/>
ihm hingen an einem Aſte das Wehrge-<lb/>
henke und die Scheide, welche, obgleich aus<lb/>ſchlechtem, unſcheinlichem Stoffe gearbeitet,<lb/>
mit ſo hellem Glanze ſtrahlte, daß ſie den<lb/>
Wanderer ſchon in weiter Ferne anlockte.<lb/>
Kaum hatte er ſich aber genaͤhert, und den<lb/>
Griff des Saͤbels beruͤhrt: ſo fuhr die breite,<lb/>
vergoldete Klinge leicht aus der Klemme,<lb/>
und in den Zweigen des Baumes ertoͤnten<lb/>ſo ſchmeichelnde, ſanfte Harmonien, daß<lb/>
Takeddin bald im Schatten deſſelben ent-<lb/>ſchlief. Er hatte nun ein wunderbares,<lb/>
aber liebliches Traumgeſicht von einem<lb/>
kriſtallenen Thurme, worin unverhuͤllte<lb/>
Maͤdchen tanzten und eine verhuͤllte Jung-<lb/>
frau trauerte: ein Traumbild, wovon wir<lb/>
vorlaͤufig nichts verrathen wollen, weil es<lb/>
in der Wirklichkeit ſich vielleicht noch ein-<lb/>
mal zeigen wird; obgleich Takeddin eben<lb/>
jetzt daran zuruͤckdenkt.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[142/0146]
einem Baume eingeklemmt war. Neben
ihm hingen an einem Aſte das Wehrge-
henke und die Scheide, welche, obgleich aus
ſchlechtem, unſcheinlichem Stoffe gearbeitet,
mit ſo hellem Glanze ſtrahlte, daß ſie den
Wanderer ſchon in weiter Ferne anlockte.
Kaum hatte er ſich aber genaͤhert, und den
Griff des Saͤbels beruͤhrt: ſo fuhr die breite,
vergoldete Klinge leicht aus der Klemme,
und in den Zweigen des Baumes ertoͤnten
ſo ſchmeichelnde, ſanfte Harmonien, daß
Takeddin bald im Schatten deſſelben ent-
ſchlief. Er hatte nun ein wunderbares,
aber liebliches Traumgeſicht von einem
kriſtallenen Thurme, worin unverhuͤllte
Maͤdchen tanzten und eine verhuͤllte Jung-
frau trauerte: ein Traumbild, wovon wir
vorlaͤufig nichts verrathen wollen, weil es
in der Wirklichkeit ſich vielleicht noch ein-
mal zeigen wird; obgleich Takeddin eben
jetzt daran zuruͤckdenkt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Fischer, Caroline Auguste]: Mährchen, In: Journal der Romane. St. 10. Berlin, 1802, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_maehrchen_1802/146>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.