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[Fischer, Caroline Auguste]: Mährchen, In: Journal der Romane. St. 10. Berlin, 1802.

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So lieb' ihr der Neffe war, so sehr sie
sich verpflichtet hielt seinem jähzornigen
Temperamente manches nachzusehen, mußte
dies Geständniß doch ihre Eitelkeit ein we-
nig kränken. Sie ward ernsthaft, faßte sich
und mit erhabener Stimme fiel sie ein:
"meine Geduld kennt gegen Dich zwar
keine Grenzen, aber Du gehst zu weit. Dich
von deinem Verderben zu retten, muß ich
gegen Dich strenger sein als ich -- "Bei
diesen Worten wollte Kanzedir noch lauter
seinen Unwillen äußern, allein Panagathe
winkte mit ihrem Zauberstabe, weg war
seine Sprache, sein Bewußtsein versiegte,
ein sanfter Schlummer bemeisterte sich seiner,
die angenehmsten Bilder füllten seine Träume.
Nach einigen Stunden erwachte er endlich.
Er fühlte sich leichter, die Ruhe hatte
seine Lebensgeister gestärkt, und dies schuf
in seinem flüchtigen Jdeengange einen sol-

Mährchen. P

So lieb' ihr der Neffe war, ſo ſehr ſie
ſich verpflichtet hielt ſeinem jaͤhzornigen
Temperamente manches nachzuſehen, mußte
dies Geſtaͤndniß doch ihre Eitelkeit ein we-
nig kraͤnken. Sie ward ernſthaft, faßte ſich
und mit erhabener Stimme fiel ſie ein:
»meine Geduld kennt gegen Dich zwar
keine Grenzen, aber Du gehſt zu weit. Dich
von deinem Verderben zu retten, muß ich
gegen Dich ſtrenger ſein als ich — »Bei
dieſen Worten wollte Kanzedir noch lauter
ſeinen Unwillen aͤußern, allein Panagathe
winkte mit ihrem Zauberſtabe, weg war
ſeine Sprache, ſein Bewußtſein verſiegte,
ein ſanfter Schlummer bemeiſterte ſich ſeiner,
die angenehmſten Bilder fuͤllten ſeine Traͤume.
Nach einigen Stunden erwachte er endlich.
Er fuͤhlte ſich leichter, die Ruhe hatte
ſeine Lebensgeiſter geſtaͤrkt, und dies ſchuf
in ſeinem fluͤchtigen Jdeengange einen ſol-

Maͤhrchen. P
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[225/0229] So lieb' ihr der Neffe war, ſo ſehr ſie ſich verpflichtet hielt ſeinem jaͤhzornigen Temperamente manches nachzuſehen, mußte dies Geſtaͤndniß doch ihre Eitelkeit ein we- nig kraͤnken. Sie ward ernſthaft, faßte ſich und mit erhabener Stimme fiel ſie ein: »meine Geduld kennt gegen Dich zwar keine Grenzen, aber Du gehſt zu weit. Dich von deinem Verderben zu retten, muß ich gegen Dich ſtrenger ſein als ich — »Bei dieſen Worten wollte Kanzedir noch lauter ſeinen Unwillen aͤußern, allein Panagathe winkte mit ihrem Zauberſtabe, weg war ſeine Sprache, ſein Bewußtſein verſiegte, ein ſanfter Schlummer bemeiſterte ſich ſeiner, die angenehmſten Bilder fuͤllten ſeine Traͤume. Nach einigen Stunden erwachte er endlich. Er fuͤhlte ſich leichter, die Ruhe hatte ſeine Lebensgeiſter geſtaͤrkt, und dies ſchuf in ſeinem fluͤchtigen Jdeengange einen ſol- Maͤhrchen. P

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Zitationshilfe: [Fischer, Caroline Auguste]: Mährchen, In: Journal der Romane. St. 10. Berlin, 1802, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_maehrchen_1802/229>, abgerufen am 21.11.2024.