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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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uns endlich in den Park hinaus, auf deſſen ſonnigem Raſenplatz
die Schatten der leiſe bewegten Zweige hin und her tanzen. Wir
nehmen Platz unter einer breitblättrigen Platane, wo Tiſch und
Bank zum Plaudern einladen, und während (ich habe ſolche Wahl
getroffen) Milch und Blaubeeren auf den Tiſch geſtellt werden,
geſellt ſich eine Anverwandte des Hauſes zu uns, eine ſchlanke
Dame von nah an vierzig, mit dunklen Augen und feingeformtem
Mund. Die junge Frau, die bis dahin die Koſten der Unterhal-
tung mühſam beſtritten hat, iſt augenſcheinlich froh über den ein-
treffenden Succurs, und mit einem „Tante Helene weiß alles“
den Rückzug antretend, eilt ſie in’s Haus, um nach dem Rechten
zu ſehn. Da ſtehen wir denn nun, „Tante Helene, die alles weiß“
und ich, der ich wenigſtens etwas wiſſen möchte, und begrüßen
uns lächelnd und nehmen Platz. Es iſt ein feines Geſicht mir
gegenüber, mit jenem leiſen Zug des Leidens, der ſo zum Herzen
ſpricht. Sie nimmt den breiten Sommerhut ab, vielleicht, weil
wir im Schatten ſitzen, vielleicht auch, um die Fülle ihres
ſchönen ſchwarzen Haares zu zeigen, und während ſie mit dem
rothen Band des Hutes ſpielt, beginnen meine Fragen. Aber
wir verirren uns immer wieder im Geſpräch, bald ſind wir
in Wuſtrau bei den Zietens, bald in Trieplatz bei den Rohrs,
und endlich reicht ſie mir die Hand über den Tiſch und ſagt mit
gewinnender Freundlichkeit: „plaudern wir weiter heut’, wie Zufall
und Zunge es wollen; ich ſchreib’ Ihnen, — ſeien Sie unbeſorgt,
ich halte Wort.“

Und ſie hielt Wort; nach Ablauf einer Woche erhielt ich fol-
genden Brief: „Ich habe ſie gut gekannt, die Frau von Jürgaß,
beſſer vielleicht als irgend wer. Sie nahm mich zu ſich, als ich
eine Waiſe geworden war; ſo kam ich aus dem Pfarrhaus, darin
ich geboren war, in’s Herrenhaus hinüber. Meine Mutter habe
ich nie gekannt; ſie ſtarb bei meiner Geburt, aber hätte ich ſie
auch gekannt, ich hätte ihre Liebe nicht vermiſſen können, ſo gut
wie die gnädige Frau war! Sie war ſehr klein und ſehr häßlich
(denn ſie war eine Zieten und die Zietens ſind immer häßlich

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/176>, abgerufen am 20.02.2025.