abweichend von dem sonst Ueblichen gestaltet, und mit einem ganz neuen Lebensinhalt ist eine neue Art von Volkspoesie, mit dieser Poesie aber eine neue Art von Volksfesten geschaffen worden. Das Soldatische hat sich zum poetischen Inhalt unseres Volkslebens ausgebildet. Wir feiern Dennewitz und Groß- beeren, und wenn wir an malerischem Effekt und an gutem Humor hinter den Volksfesten des Rheins und der Donau zurück bleiben mögen, so haben wir vielleicht einen bestimmteren Inhalt, einen geistigeren Mittelpunkt vor ihnen voraus. Es ist ein Unterschied, ob man in hundert lang bespannten Wagen auf die Theresien- wiese fährt, um den König Gambrinus und vor allem sich selber leben zu lassen, oder ob man ernst und schmucklos sich auf den Kunersdorfer Höhen lagert, um den Jahrestag einer unglücklichen Schlacht zu begehen und die Stelle aufzusuchen, wo Prittwitz den schon verlorenen König in die Mitte seiner Husaren nahm. Wir verachten den König Gambrinus und seine Feier nicht, aber man soll auch unsere Art und Weise gelten lassen.
Wir verließen nun das Denkmal, beschrieben auf dem Rück- wege zunächst einen Bogen, um vom Kurfürstenberge aus noch- mals einen Ueberblick über das Schlachtfeld zu haben, und begaben uns dann nach Dorf Hakenberg, wo unser historischer Forscher- eifer den Geistlichen, von dessen Freundlichkeit wir allerhand Auf- schlüsse und Anekdoten erwarteten, bei Tische unterbrach. Er ließ uns diese Störung nicht entgelten und war sogar freundlich genug, das, was er an historischen "Kosthäppchen" uns beim besten Willen nicht bieten konnte, durch eine freundliche Einladung zum Mittag- essen ausgleichen zu wollen. Wir lehnten ab und machten statt dessen einen Spaziergang über den reizend gelegenen Hügelkirchhof, auf dessen höchster Spitze sich der Backsteinbau einer alten gothi- schen Kirche mit halb eingestürztem Dach erhebt. Diese Kirche, wie wir später vernahmen, geht einem gründlichen Umbau entgegen, der mit besonderer Rücksichtnahme auf den Fehrbelliner Schlachttag geleitet werden soll. Der Thurm wird wesentlich erhöht und nach Art alter Castellthürme mit vier Seitenthürmchen geschmückt wer-
abweichend von dem ſonſt Ueblichen geſtaltet, und mit einem ganz neuen Lebensinhalt iſt eine neue Art von Volkspoeſie, mit dieſer Poeſie aber eine neue Art von Volksfeſten geſchaffen worden. Das Soldatiſche hat ſich zum poetiſchen Inhalt unſeres Volkslebens ausgebildet. Wir feiern Dennewitz und Groß- beeren, und wenn wir an maleriſchem Effekt und an gutem Humor hinter den Volksfeſten des Rheins und der Donau zurück bleiben mögen, ſo haben wir vielleicht einen beſtimmteren Inhalt, einen geiſtigeren Mittelpunkt vor ihnen voraus. Es iſt ein Unterſchied, ob man in hundert lang beſpannten Wagen auf die Thereſien- wieſe fährt, um den König Gambrinus und vor allem ſich ſelber leben zu laſſen, oder ob man ernſt und ſchmucklos ſich auf den Kunersdorfer Höhen lagert, um den Jahrestag einer unglücklichen Schlacht zu begehen und die Stelle aufzuſuchen, wo Prittwitz den ſchon verlorenen König in die Mitte ſeiner Huſaren nahm. Wir verachten den König Gambrinus und ſeine Feier nicht, aber man ſoll auch unſere Art und Weiſe gelten laſſen.
Wir verließen nun das Denkmal, beſchrieben auf dem Rück- wege zunächſt einen Bogen, um vom Kurfürſtenberge aus noch- mals einen Ueberblick über das Schlachtfeld zu haben, und begaben uns dann nach Dorf Hakenberg, wo unſer hiſtoriſcher Forſcher- eifer den Geiſtlichen, von deſſen Freundlichkeit wir allerhand Auf- ſchlüſſe und Anekdoten erwarteten, bei Tiſche unterbrach. Er ließ uns dieſe Störung nicht entgelten und war ſogar freundlich genug, das, was er an hiſtoriſchen „Koſthäppchen“ uns beim beſten Willen nicht bieten konnte, durch eine freundliche Einladung zum Mittag- eſſen ausgleichen zu wollen. Wir lehnten ab und machten ſtatt deſſen einen Spaziergang über den reizend gelegenen Hügelkirchhof, auf deſſen höchſter Spitze ſich der Backſteinbau einer alten gothi- ſchen Kirche mit halb eingeſtürztem Dach erhebt. Dieſe Kirche, wie wir ſpäter vernahmen, geht einem gründlichen Umbau entgegen, der mit beſonderer Rückſichtnahme auf den Fehrbelliner Schlachttag geleitet werden ſoll. Der Thurm wird weſentlich erhöht und nach Art alter Caſtellthürme mit vier Seitenthürmchen geſchmückt wer-
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abweichend von dem ſonſt Ueblichen geſtaltet, und mit einem ganz
neuen Lebensinhalt iſt eine neue Art von Volkspoeſie, mit dieſer
Poeſie aber eine neue Art von Volksfeſten geſchaffen worden.
Das Soldatiſche hat ſich zum poetiſchen Inhalt unſeres
Volkslebens ausgebildet. Wir feiern Dennewitz und Groß-
beeren, und wenn wir an maleriſchem Effekt und an gutem Humor
hinter den Volksfeſten des Rheins und der Donau zurück bleiben
mögen, ſo haben wir vielleicht einen beſtimmteren Inhalt, einen
geiſtigeren Mittelpunkt vor ihnen voraus. Es iſt ein Unterſchied,
ob man in hundert lang beſpannten Wagen auf die Thereſien-
wieſe fährt, um den König Gambrinus und vor allem ſich ſelber
leben zu laſſen, oder ob man ernſt und ſchmucklos ſich auf den
Kunersdorfer Höhen lagert, um den Jahrestag einer unglücklichen
Schlacht zu begehen und die Stelle aufzuſuchen, wo Prittwitz den
ſchon verlorenen König in die Mitte ſeiner Huſaren nahm. Wir
verachten den König Gambrinus und ſeine Feier nicht, aber man
ſoll auch unſere Art und Weiſe gelten laſſen.
Wir verließen nun das Denkmal, beſchrieben auf dem Rück-
wege zunächſt einen Bogen, um vom Kurfürſtenberge aus noch-
mals einen Ueberblick über das Schlachtfeld zu haben, und begaben
uns dann nach Dorf Hakenberg, wo unſer hiſtoriſcher Forſcher-
eifer den Geiſtlichen, von deſſen Freundlichkeit wir allerhand Auf-
ſchlüſſe und Anekdoten erwarteten, bei Tiſche unterbrach. Er ließ
uns dieſe Störung nicht entgelten und war ſogar freundlich genug,
das, was er an hiſtoriſchen „Koſthäppchen“ uns beim beſten Willen
nicht bieten konnte, durch eine freundliche Einladung zum Mittag-
eſſen ausgleichen zu wollen. Wir lehnten ab und machten ſtatt
deſſen einen Spaziergang über den reizend gelegenen Hügelkirchhof,
auf deſſen höchſter Spitze ſich der Backſteinbau einer alten gothi-
ſchen Kirche mit halb eingeſtürztem Dach erhebt. Dieſe Kirche, wie
wir ſpäter vernahmen, geht einem gründlichen Umbau entgegen,
der mit beſonderer Rückſichtnahme auf den Fehrbelliner Schlachttag
geleitet werden ſoll. Der Thurm wird weſentlich erhöht und nach
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/186>, abgerufen am 29.11.2024.
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