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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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Wir haben inzwischen die Ahorn- und Ulmenallee durch-
schritten und stehen nunmehr rechts einbiegend unmittelbar vor dem
alten Schloß. Die räumlichen Verhältnisse sind so unbedeutend
und die hellgelben Wände, zumal an der Frontseite, von solcher
Schmucklosigkeit, daß man dem Volksmunde Recht geben muß, der
sich weigert von "Schloß Tegel" zu sprechen und diesen Dimi-
nutivbau "das Schlößchen" zu nennen pflegt. Man erkennt deut-
lich noch die bescheidenen Umrisse des alten Jagdschlosses, dessen
einzig charakteristischer Zug, neben einem größeren Seitenthurm,
in zwei erkerartig vorspringenden Thürmchen oder Ausbuchtungen
bestand. Diese Erkerthürmchen sind dem Neubau, der 1822 unter
Schinkels Leitung begonnen wurde, verblieben, während der große
Seitenthurm das hübsche Motiv zur Restaurirung des Ganzen ab-
gegeben hat. An den vier Ecken des alten Hauses erheben sich
jetzt vier Thürme von mäßiger Höhe, die derart eingefügt und
unter einander verbunden sind, daß sie im Innern nach allen
Seiten hin die Zimmerreihen erweitern, während sie nach außen
hin dem Ganzen zu einer Stattlichkeit verhelfen, die es bis dahin
nicht besaß.

Wir treten nun ein und befinden uns auf dem niedrigen,
aber ziemlich geräumigen Hausflur, der ganz im Charakter eines
Atriums gehalten ist. Kurze dorische Säulen tragen Decke und
Gebälke, eine einfach gemusterte Steinmosaik füllt den Fußboden
und Basreliefs aller Art und Größe schmücken zu beiden Seiten
die Wand. Ziemlich in der Mitte des Atriums befindet sich, auf
einem Sockel oder Fußgestell, die eigentliche Sehenswürdigkeit des-
selben: eine antike, mit bacchischen Reliefs verzierte Brunnen-
mündung, die sich vormals in der Kirche St. Calisto in Traste-
vere zu Rom befand. Der Sage nach soll der heilige Calixtus in
dieser marmornen Brunnenmündung ertränkt worden sein, weßhalb
das Wasser, das aus derselben geschöpft wurde, lange Zeit für
wunderthätig galt. Wilhelm von Humboldt, während seines lang-
jährigen Aufenthalts in Rom, brachte dieses interessante Curiosum
käuflich an sich und schmückte dasselbe mit folgender lateinischer

Wir haben inzwiſchen die Ahorn- und Ulmenallee durch-
ſchritten und ſtehen nunmehr rechts einbiegend unmittelbar vor dem
alten Schloß. Die räumlichen Verhältniſſe ſind ſo unbedeutend
und die hellgelben Wände, zumal an der Frontſeite, von ſolcher
Schmuckloſigkeit, daß man dem Volksmunde Recht geben muß, der
ſich weigert von „Schloß Tegel“ zu ſprechen und dieſen Dimi-
nutivbau „das Schlößchen“ zu nennen pflegt. Man erkennt deut-
lich noch die beſcheidenen Umriſſe des alten Jagdſchloſſes, deſſen
einzig charakteriſtiſcher Zug, neben einem größeren Seitenthurm,
in zwei erkerartig vorſpringenden Thürmchen oder Ausbuchtungen
beſtand. Dieſe Erkerthürmchen ſind dem Neubau, der 1822 unter
Schinkels Leitung begonnen wurde, verblieben, während der große
Seitenthurm das hübſche Motiv zur Reſtaurirung des Ganzen ab-
gegeben hat. An den vier Ecken des alten Hauſes erheben ſich
jetzt vier Thürme von mäßiger Höhe, die derart eingefügt und
unter einander verbunden ſind, daß ſie im Innern nach allen
Seiten hin die Zimmerreihen erweitern, während ſie nach außen
hin dem Ganzen zu einer Stattlichkeit verhelfen, die es bis dahin
nicht beſaß.

Wir treten nun ein und befinden uns auf dem niedrigen,
aber ziemlich geräumigen Hausflur, der ganz im Charakter eines
Atriums gehalten iſt. Kurze doriſche Säulen tragen Decke und
Gebälke, eine einfach gemuſterte Steinmoſaik füllt den Fußboden
und Basreliefs aller Art und Größe ſchmücken zu beiden Seiten
die Wand. Ziemlich in der Mitte des Atriums befindet ſich, auf
einem Sockel oder Fußgeſtell, die eigentliche Sehenswürdigkeit deſ-
ſelben: eine antike, mit bacchiſchen Reliefs verzierte Brunnen-
mündung, die ſich vormals in der Kirche St. Caliſto in Traſte-
vere zu Rom befand. Der Sage nach ſoll der heilige Calixtus in
dieſer marmornen Brunnenmündung ertränkt worden ſein, weßhalb
das Waſſer, das aus derſelben geſchöpft wurde, lange Zeit für
wunderthätig galt. Wilhelm von Humboldt, während ſeines lang-
jährigen Aufenthalts in Rom, brachte dieſes intereſſante Curioſum
käuflich an ſich und ſchmückte daſſelbe mit folgender lateiniſcher

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[194/0212] Wir haben inzwiſchen die Ahorn- und Ulmenallee durch- ſchritten und ſtehen nunmehr rechts einbiegend unmittelbar vor dem alten Schloß. Die räumlichen Verhältniſſe ſind ſo unbedeutend und die hellgelben Wände, zumal an der Frontſeite, von ſolcher Schmuckloſigkeit, daß man dem Volksmunde Recht geben muß, der ſich weigert von „Schloß Tegel“ zu ſprechen und dieſen Dimi- nutivbau „das Schlößchen“ zu nennen pflegt. Man erkennt deut- lich noch die beſcheidenen Umriſſe des alten Jagdſchloſſes, deſſen einzig charakteriſtiſcher Zug, neben einem größeren Seitenthurm, in zwei erkerartig vorſpringenden Thürmchen oder Ausbuchtungen beſtand. Dieſe Erkerthürmchen ſind dem Neubau, der 1822 unter Schinkels Leitung begonnen wurde, verblieben, während der große Seitenthurm das hübſche Motiv zur Reſtaurirung des Ganzen ab- gegeben hat. An den vier Ecken des alten Hauſes erheben ſich jetzt vier Thürme von mäßiger Höhe, die derart eingefügt und unter einander verbunden ſind, daß ſie im Innern nach allen Seiten hin die Zimmerreihen erweitern, während ſie nach außen hin dem Ganzen zu einer Stattlichkeit verhelfen, die es bis dahin nicht beſaß. Wir treten nun ein und befinden uns auf dem niedrigen, aber ziemlich geräumigen Hausflur, der ganz im Charakter eines Atriums gehalten iſt. Kurze doriſche Säulen tragen Decke und Gebälke, eine einfach gemuſterte Steinmoſaik füllt den Fußboden und Basreliefs aller Art und Größe ſchmücken zu beiden Seiten die Wand. Ziemlich in der Mitte des Atriums befindet ſich, auf einem Sockel oder Fußgeſtell, die eigentliche Sehenswürdigkeit deſ- ſelben: eine antike, mit bacchiſchen Reliefs verzierte Brunnen- mündung, die ſich vormals in der Kirche St. Caliſto in Traſte- vere zu Rom befand. Der Sage nach ſoll der heilige Calixtus in dieſer marmornen Brunnenmündung ertränkt worden ſein, weßhalb das Waſſer, das aus derſelben geſchöpft wurde, lange Zeit für wunderthätig galt. Wilhelm von Humboldt, während ſeines lang- jährigen Aufenthalts in Rom, brachte dieſes intereſſante Curioſum käuflich an ſich und ſchmückte daſſelbe mit folgender lateiniſcher

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/212>, abgerufen am 27.11.2024.