Inschrift: "Puteal, sacra bacchica exhibens, idem illud, in quo, ad martyrium patiendum, circa A. C. C. XXIII, S. Calistus immersus traditur, ex ejusdem S. Calisti aede Romana Transtiberina emptionis jure huc devectum. (Also etwa: Diese Brunnenmündung, einen Bacchuszug auf ihrer Außen- seite darstellend, ist dieselbe, in welcher, einer Sage nach, der hei- lige Calixtus ertränkt wurde und das Martyrium erduldete, etwa 223 nach Christus. In der Kirche des heiligen Calixtus zu Tra- stevere bei Rom käuflich erstanden, wurde sie (die Brunnenmün- dung) hierher gebracht.)
Zu beiden Seiten des Atriums befinden sich verschiedene Räumlichkeiten, die alle ohne Bedeutung sind, mit Ausnahme des nach rechts hin gelegenen Studirzimmers Wilhelms von Humboldt. Vieles darin erinnert noch an seinen ehemaligen Bewohner, der hier die reifsten seiner Arbeiten überdachte und niederschrieb. Hier entstanden, seiner Familie selbst ein Geheimniß und nach seinem Tode erst aufgefunden, jene Sonette, die Alexander von Humboldt gewiß mit Recht "die Selbstbiographie, die Charakteristik des theuren Bruders" genannt hat. Hier traten, in mitternächtiger Stunde, jene stillen Klagen und Bekenntnisse an's Licht, zu deren sorglicher Concipirung und Gestaltung ihm die Arbeit des Tages keine Muße gegönnt hatte; hier schrieb er in Dankbarkeit gegen die Stille und Verschwiegenheit der Nacht:
Das Leben ist an Möglichkeit gebunden, Und ihre Grenzen sind oft eng gezogen; Der Freude Maaß wird spärlich zugewogen, Des Leidens Knäuel langsam abgewunden.
Allein der Mitternacht geheime Stunden Sind günstiger dem Sterblichen gewogen; Wer um des Tages Glück sich fühlt betrogen, Der heilt im süßen Traum des Wachens Wunden;
stille, durch poetische Innigkeit ausgezeichnete Bekenntnisse, an denen sich glücklicherweise die bescheidene Hoffnung des Dichters:
13*
Inſchrift: „Puteal, sacra bacchica exhibens, idem illud, in quo, ad martyrium patiendum, circa A. C. C. XXIII, S. Calistus immersus traditur, ex ejusdem S. Calisti aede Romana Transtiberina emptionis jure huc devectum. (Alſo etwa: Dieſe Brunnenmündung, einen Bacchuszug auf ihrer Außen- ſeite darſtellend, iſt dieſelbe, in welcher, einer Sage nach, der hei- lige Calixtus ertränkt wurde und das Martyrium erduldete, etwa 223 nach Chriſtus. In der Kirche des heiligen Calixtus zu Tra- ſtevere bei Rom käuflich erſtanden, wurde ſie (die Brunnenmün- dung) hierher gebracht.)
Zu beiden Seiten des Atriums befinden ſich verſchiedene Räumlichkeiten, die alle ohne Bedeutung ſind, mit Ausnahme des nach rechts hin gelegenen Studirzimmers Wilhelms von Humboldt. Vieles darin erinnert noch an ſeinen ehemaligen Bewohner, der hier die reifſten ſeiner Arbeiten überdachte und niederſchrieb. Hier entſtanden, ſeiner Familie ſelbſt ein Geheimniß und nach ſeinem Tode erſt aufgefunden, jene Sonette, die Alexander von Humboldt gewiß mit Recht „die Selbſtbiographie, die Charakteriſtik des theuren Bruders“ genannt hat. Hier traten, in mitternächtiger Stunde, jene ſtillen Klagen und Bekenntniſſe an’s Licht, zu deren ſorglicher Concipirung und Geſtaltung ihm die Arbeit des Tages keine Muße gegönnt hatte; hier ſchrieb er in Dankbarkeit gegen die Stille und Verſchwiegenheit der Nacht:
Das Leben iſt an Möglichkeit gebunden, Und ihre Grenzen ſind oft eng gezogen; Der Freude Maaß wird ſpärlich zugewogen, Des Leidens Knäuel langſam abgewunden.
Allein der Mitternacht geheime Stunden Sind günſtiger dem Sterblichen gewogen; Wer um des Tages Glück ſich fühlt betrogen, Der heilt im ſüßen Traum des Wachens Wunden;
ſtille, durch poetiſche Innigkeit ausgezeichnete Bekenntniſſe, an denen ſich glücklicherweiſe die beſcheidene Hoffnung des Dichters:
13*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0213"n="195"/>
Inſchrift: <hirendition="#aq">„Puteal, sacra bacchica exhibens, idem illud, in<lb/>
quo, ad martyrium patiendum, circa A. C. C. XXIII, S.<lb/>
Calistus immersus traditur, ex ejusdem S. Calisti aede<lb/>
Romana Transtiberina emptionis jure huc devectum.</hi> (Alſo<lb/>
etwa: Dieſe Brunnenmündung, einen Bacchuszug auf ihrer Außen-<lb/>ſeite darſtellend, iſt dieſelbe, in welcher, einer Sage nach, der hei-<lb/>
lige Calixtus ertränkt wurde und das Martyrium erduldete, etwa<lb/>
223 nach Chriſtus. In der Kirche des heiligen Calixtus zu Tra-<lb/>ſtevere bei Rom käuflich erſtanden, wurde ſie (die Brunnenmün-<lb/>
dung) hierher gebracht.)</p><lb/><p>Zu beiden Seiten des Atriums befinden ſich verſchiedene<lb/>
Räumlichkeiten, die alle ohne Bedeutung ſind, mit Ausnahme des<lb/>
nach rechts hin gelegenen Studirzimmers Wilhelms von Humboldt.<lb/>
Vieles darin erinnert noch an ſeinen ehemaligen Bewohner, der<lb/>
hier die reifſten ſeiner Arbeiten überdachte und niederſchrieb. Hier<lb/>
entſtanden, ſeiner Familie ſelbſt ein Geheimniß und nach ſeinem<lb/>
Tode erſt aufgefunden, jene Sonette, die Alexander von Humboldt<lb/>
gewiß mit Recht „die Selbſtbiographie, die Charakteriſtik des theuren<lb/>
Bruders“ genannt hat. Hier traten, in mitternächtiger Stunde,<lb/>
jene ſtillen Klagen und Bekenntniſſe an’s Licht, zu deren ſorglicher<lb/>
Concipirung und Geſtaltung ihm die Arbeit des Tages keine<lb/>
Muße gegönnt hatte; hier ſchrieb er in Dankbarkeit gegen die<lb/>
Stille und Verſchwiegenheit der Nacht:</p><lb/><lgtype="poem"><lgn="1"><l>Das Leben iſt an Möglichkeit gebunden,</l><lb/><l>Und ihre Grenzen ſind oft eng gezogen;</l><lb/><l>Der Freude Maaß wird ſpärlich zugewogen,</l><lb/><l>Des Leidens Knäuel langſam abgewunden.</l></lg><lb/><lgn="2"><l>Allein der Mitternacht geheime Stunden</l><lb/><l>Sind günſtiger dem Sterblichen gewogen;</l><lb/><l>Wer um des Tages Glück ſich fühlt betrogen,</l><lb/><l>Der heilt im ſüßen Traum des Wachens Wunden;</l></lg></lg><lb/><p>ſtille, durch poetiſche Innigkeit ausgezeichnete Bekenntniſſe, an denen<lb/>ſich glücklicherweiſe die beſcheidene Hoffnung des Dichters:</p><lb/><fwtype="sig"place="bottom">13*</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[195/0213]
Inſchrift: „Puteal, sacra bacchica exhibens, idem illud, in
quo, ad martyrium patiendum, circa A. C. C. XXIII, S.
Calistus immersus traditur, ex ejusdem S. Calisti aede
Romana Transtiberina emptionis jure huc devectum. (Alſo
etwa: Dieſe Brunnenmündung, einen Bacchuszug auf ihrer Außen-
ſeite darſtellend, iſt dieſelbe, in welcher, einer Sage nach, der hei-
lige Calixtus ertränkt wurde und das Martyrium erduldete, etwa
223 nach Chriſtus. In der Kirche des heiligen Calixtus zu Tra-
ſtevere bei Rom käuflich erſtanden, wurde ſie (die Brunnenmün-
dung) hierher gebracht.)
Zu beiden Seiten des Atriums befinden ſich verſchiedene
Räumlichkeiten, die alle ohne Bedeutung ſind, mit Ausnahme des
nach rechts hin gelegenen Studirzimmers Wilhelms von Humboldt.
Vieles darin erinnert noch an ſeinen ehemaligen Bewohner, der
hier die reifſten ſeiner Arbeiten überdachte und niederſchrieb. Hier
entſtanden, ſeiner Familie ſelbſt ein Geheimniß und nach ſeinem
Tode erſt aufgefunden, jene Sonette, die Alexander von Humboldt
gewiß mit Recht „die Selbſtbiographie, die Charakteriſtik des theuren
Bruders“ genannt hat. Hier traten, in mitternächtiger Stunde,
jene ſtillen Klagen und Bekenntniſſe an’s Licht, zu deren ſorglicher
Concipirung und Geſtaltung ihm die Arbeit des Tages keine
Muße gegönnt hatte; hier ſchrieb er in Dankbarkeit gegen die
Stille und Verſchwiegenheit der Nacht:
Das Leben iſt an Möglichkeit gebunden,
Und ihre Grenzen ſind oft eng gezogen;
Der Freude Maaß wird ſpärlich zugewogen,
Des Leidens Knäuel langſam abgewunden.
Allein der Mitternacht geheime Stunden
Sind günſtiger dem Sterblichen gewogen;
Wer um des Tages Glück ſich fühlt betrogen,
Der heilt im ſüßen Traum des Wachens Wunden;
ſtille, durch poetiſche Innigkeit ausgezeichnete Bekenntniſſe, an denen
ſich glücklicherweiſe die beſcheidene Hoffnung des Dichters:
13*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/213>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.