Kirchthürme zu Seefeld und Löhme, die sich im Lohme-See spie- geln; der Mutter, einer hübschen blonden Frau, die ihr Embon- point wie ihr Schicksal trägt, rollen die Schweißtropfen wie Freudenthränen von der Stirn, und ihr Ehegemahl zur Rechten hat jenes wohlbekannte, aus Würde und Sonnenbrand zusammen- gesetzte Gesicht, das alle Beamte auf dem Lande zu haben pflegen, denen der Dienst in der Amts- und Gerichtsstube die Zeit zu Enten- und Schnepfenjagd nur unwesentlich verkürzt. Nach diesen Andeu- tungen fehlt nur noch die namentliche Vorstellung; es ist der Amts-Actuarius Bernhard aus Löhme, nebst Frau und Familie, die sich gleich nach Tisch auf den Weg gemacht haben, um dem befreundeten Pfarrhause in Werneuchen (wo heute Geburtstag ist) einen Besuch zu machen.
Die beiden Braunen traben tüchtig weiter (man merkt, daß es Amtspferde sind), der kleine Streit zwischen dem Ehepaar, ob Pathe Ulrich heute 8 oder 9 Jahr geworden sei, ist endlich selbst- verständlich zu Gunsten der Frauenansicht entschieden, und der Kutscher, der seit einer Viertelstunde seine Peitsche "Gewehr bei Fuß" neben sich hatte, nimmt sie jetzt wieder in die Hand, um, angethan mit allen Abzeichen seiner Würde, in Werneuchen einzu- fahren. Schon holpert und stolpert der Wagen auf dem tiefaus- gefahrenen Steinpflaster, der Kutscher knallt oder streicht mit be- merkenswerther Eleganz die Stechfliegen von dem Hals der Pferde, das rothe Dach des Regenschirms wird eingezogen; nur einmal noch fährt die Schirmkrücke mit einem energischen "Sitz gerade," in den Rücken des linken Jungen, und in demselben Augenblick, wo der Getroffene zusammenfährt, hält der Wagen vor dem Wer- neuchener Pfarrhaus.
Aus unserm Wagenversteck hervor haben wir Zeit, das Haus zu mustern, während die beiden Jungen herunterklettern. Es ist ein einfaches Fachwerkhaus mit gelbem Anstrich und kleinen Fenstern, sein einziger Schmuck der geräumige Vordergiebel, der über der Hausthür aufragt, und neben der Thür ein paar alte Kastanien- bäume, deren hohe Kronen das ganze Haus in Schutz zu nehmen
Kirchthürme zu Seefeld und Löhme, die ſich im Lohme-See ſpie- geln; der Mutter, einer hübſchen blonden Frau, die ihr Embon- point wie ihr Schickſal trägt, rollen die Schweißtropfen wie Freudenthränen von der Stirn, und ihr Ehegemahl zur Rechten hat jenes wohlbekannte, aus Würde und Sonnenbrand zuſammen- geſetzte Geſicht, das alle Beamte auf dem Lande zu haben pflegen, denen der Dienſt in der Amts- und Gerichtsſtube die Zeit zu Enten- und Schnepfenjagd nur unweſentlich verkürzt. Nach dieſen Andeu- tungen fehlt nur noch die namentliche Vorſtellung; es iſt der Amts-Actuarius Bernhard aus Löhme, nebſt Frau und Familie, die ſich gleich nach Tiſch auf den Weg gemacht haben, um dem befreundeten Pfarrhauſe in Werneuchen (wo heute Geburtstag iſt) einen Beſuch zu machen.
Die beiden Braunen traben tüchtig weiter (man merkt, daß es Amtspferde ſind), der kleine Streit zwiſchen dem Ehepaar, ob Pathe Ulrich heute 8 oder 9 Jahr geworden ſei, iſt endlich ſelbſt- verſtändlich zu Gunſten der Frauenanſicht entſchieden, und der Kutſcher, der ſeit einer Viertelſtunde ſeine Peitſche „Gewehr bei Fuß“ neben ſich hatte, nimmt ſie jetzt wieder in die Hand, um, angethan mit allen Abzeichen ſeiner Würde, in Werneuchen einzu- fahren. Schon holpert und ſtolpert der Wagen auf dem tiefaus- gefahrenen Steinpflaſter, der Kutſcher knallt oder ſtreicht mit be- merkenswerther Eleganz die Stechfliegen von dem Hals der Pferde, das rothe Dach des Regenſchirms wird eingezogen; nur einmal noch fährt die Schirmkrücke mit einem energiſchen „Sitz gerade,“ in den Rücken des linken Jungen, und in demſelben Augenblick, wo der Getroffene zuſammenfährt, hält der Wagen vor dem Wer- neuchener Pfarrhaus.
Aus unſerm Wagenverſteck hervor haben wir Zeit, das Haus zu muſtern, während die beiden Jungen herunterklettern. Es iſt ein einfaches Fachwerkhaus mit gelbem Anſtrich und kleinen Fenſtern, ſein einziger Schmuck der geräumige Vordergiebel, der über der Hausthür aufragt, und neben der Thür ein paar alte Kaſtanien- bäume, deren hohe Kronen das ganze Haus in Schutz zu nehmen
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Kirchthürme zu Seefeld und Löhme, die ſich im Lohme-See ſpie-
geln; der Mutter, einer hübſchen blonden Frau, die ihr Embon-
point wie ihr Schickſal trägt, rollen die Schweißtropfen wie
Freudenthränen von der Stirn, und ihr Ehegemahl zur Rechten
hat jenes wohlbekannte, aus Würde und Sonnenbrand zuſammen-
geſetzte Geſicht, das alle Beamte auf dem Lande zu haben pflegen,
denen der Dienſt in der Amts- und Gerichtsſtube die Zeit zu Enten-
und Schnepfenjagd nur unweſentlich verkürzt. Nach dieſen Andeu-
tungen fehlt nur noch die namentliche Vorſtellung; es iſt der
Amts-Actuarius Bernhard aus Löhme, nebſt Frau und Familie,
die ſich gleich nach Tiſch auf den Weg gemacht haben, um dem
befreundeten Pfarrhauſe in Werneuchen (wo heute Geburtstag iſt)
einen Beſuch zu machen.
Die beiden Braunen traben tüchtig weiter (man merkt, daß
es Amtspferde ſind), der kleine Streit zwiſchen dem Ehepaar, ob
Pathe Ulrich heute 8 oder 9 Jahr geworden ſei, iſt endlich ſelbſt-
verſtändlich zu Gunſten der Frauenanſicht entſchieden, und der
Kutſcher, der ſeit einer Viertelſtunde ſeine Peitſche „Gewehr bei
Fuß“ neben ſich hatte, nimmt ſie jetzt wieder in die Hand, um,
angethan mit allen Abzeichen ſeiner Würde, in Werneuchen einzu-
fahren. Schon holpert und ſtolpert der Wagen auf dem tiefaus-
gefahrenen Steinpflaſter, der Kutſcher knallt oder ſtreicht mit be-
merkenswerther Eleganz die Stechfliegen von dem Hals der Pferde,
das rothe Dach des Regenſchirms wird eingezogen; nur einmal
noch fährt die Schirmkrücke mit einem energiſchen „Sitz gerade,“
in den Rücken des linken Jungen, und in demſelben Augenblick,
wo der Getroffene zuſammenfährt, hält der Wagen vor dem Wer-
neuchener Pfarrhaus.
Aus unſerm Wagenverſteck hervor haben wir Zeit, das Haus
zu muſtern, während die beiden Jungen herunterklettern. Es iſt ein
einfaches Fachwerkhaus mit gelbem Anſtrich und kleinen Fenſtern,
ſein einziger Schmuck der geräumige Vordergiebel, der über der
Hausthür aufragt, und neben der Thür ein paar alte Kaſtanien-
bäume, deren hohe Kronen das ganze Haus in Schutz zu nehmen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/296>, abgerufen am 23.11.2024.
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