Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

Berliner Geistliche von der strengeren Richtung, wie Held und
Hennefuß. Er theilte die Ansichten dieser Herren nicht und hatte
dessen kein Hehl, war aber in der Art, wie er ernste Gespräche
führte, von so feinen und anziehenden Formen, daß die Besuche
weit öfter wiederholt wurden, als man hätte erwarten sollen. Alle
diese Besuche von Freunden und Geistlichen erfreuten ihn lebhaft,
denn sie boten ihm geistige Nahrung und Anregung; aber höchst
unbequem waren ihm die affectirten Leute aus der großen Stadt,
die sich aus Neugier oder aus Sentimentalität bei ihm blicken
ließen, um hinterher von den "hohen Vorzügen des Landlebens"
schwärmen zu können, und eines seiner Gedichte, nachdem er diese
Zudringlichen zuvor beschrieben, schließt mit dem Anruf an
Fortuna:

Send', o Göttin, naht ein solcher Schwall,
Uns zum Schutze Regen her in Bächen!
Thürm' ein Wetter auf mit Blitz und Knall,
Oder -- laß ein Wagenrad zerbrechen.

Dies erinnert an ähnliche Niedlichkeiten Mörike's, dessen
Humor freilich um vieles mächtiger ist.

Unter den classischen Dichtern war ihm, neben Homer, Virgil
der liebste; seine Bukolika standen ihm außerordentlich hoch und
mögen sein eigenes Dichten beeinflußt haben. Als der größte Dich-
ter aller Zeiten aber erschien ihm Shakespeare, den er mit
Passion las und dessen kühne und erhabene Bilder ihn immer
wieder begeisterten.

Die Angriffe, die sein eigenes Dichten erfuhr, machten gar
keinen Eindruck auf ihn, ergötzten ihn vielmehr. Es lag wohl
darin, daß er eine durch und durch bescheidene Natur und niemals
von dem eitlen Vermessen erfüllt war, neben den Heroen jener
Epoche ebenbürtig dastehen zu wollen. Er wollte wenig sein, aber
daß er dies Wenige auch wirklich war, davon war er
fest durchdrungen
; er hielt den Beweis davon in Händen,
und diese Ueberzeugung (die nebenher wissen mochte, daß ein

Berliner Geiſtliche von der ſtrengeren Richtung, wie Held und
Hennefuß. Er theilte die Anſichten dieſer Herren nicht und hatte
deſſen kein Hehl, war aber in der Art, wie er ernſte Geſpräche
führte, von ſo feinen und anziehenden Formen, daß die Beſuche
weit öfter wiederholt wurden, als man hätte erwarten ſollen. Alle
dieſe Beſuche von Freunden und Geiſtlichen erfreuten ihn lebhaft,
denn ſie boten ihm geiſtige Nahrung und Anregung; aber höchſt
unbequem waren ihm die affectirten Leute aus der großen Stadt,
die ſich aus Neugier oder aus Sentimentalität bei ihm blicken
ließen, um hinterher von den „hohen Vorzügen des Landlebens“
ſchwärmen zu können, und eines ſeiner Gedichte, nachdem er dieſe
Zudringlichen zuvor beſchrieben, ſchließt mit dem Anruf an
Fortuna:

Send’, o Göttin, naht ein ſolcher Schwall,
Uns zum Schutze Regen her in Bächen!
Thürm’ ein Wetter auf mit Blitz und Knall,
Oder — laß ein Wagenrad zerbrechen.

Dies erinnert an ähnliche Niedlichkeiten Mörike’s, deſſen
Humor freilich um vieles mächtiger iſt.

Unter den claſſiſchen Dichtern war ihm, neben Homer, Virgil
der liebſte; ſeine Bukolika ſtanden ihm außerordentlich hoch und
mögen ſein eigenes Dichten beeinflußt haben. Als der größte Dich-
ter aller Zeiten aber erſchien ihm Shakeſpeare, den er mit
Paſſion las und deſſen kühne und erhabene Bilder ihn immer
wieder begeiſterten.

Die Angriffe, die ſein eigenes Dichten erfuhr, machten gar
keinen Eindruck auf ihn, ergötzten ihn vielmehr. Es lag wohl
darin, daß er eine durch und durch beſcheidene Natur und niemals
von dem eitlen Vermeſſen erfüllt war, neben den Heroen jener
Epoche ebenbürtig daſtehen zu wollen. Er wollte wenig ſein, aber
daß er dies Wenige auch wirklich war, davon war er
feſt durchdrungen
; er hielt den Beweis davon in Händen,
und dieſe Ueberzeugung (die nebenher wiſſen mochte, daß ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0306" n="288"/>
Berliner Gei&#x017F;tliche von der &#x017F;trengeren Richtung, wie Held und<lb/>
Hennefuß. Er theilte die An&#x017F;ichten die&#x017F;er Herren nicht und hatte<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en kein Hehl, war aber in der Art, wie er ern&#x017F;te Ge&#x017F;präche<lb/>
führte, von &#x017F;o feinen und anziehenden Formen, daß die Be&#x017F;uche<lb/>
weit öfter wiederholt wurden, als man hätte erwarten &#x017F;ollen. Alle<lb/>
die&#x017F;e Be&#x017F;uche von Freunden und Gei&#x017F;tlichen erfreuten ihn lebhaft,<lb/>
denn &#x017F;ie boten ihm gei&#x017F;tige Nahrung und Anregung; aber höch&#x017F;t<lb/>
unbequem waren ihm die affectirten Leute aus der großen Stadt,<lb/>
die &#x017F;ich aus Neugier oder aus Sentimentalität bei ihm blicken<lb/>
ließen, um hinterher von den &#x201E;hohen Vorzügen des Landlebens&#x201C;<lb/>
&#x017F;chwärmen zu können, und eines &#x017F;einer Gedichte, nachdem er die&#x017F;e<lb/>
Zudringlichen zuvor be&#x017F;chrieben, &#x017F;chließt mit dem Anruf an<lb/>
Fortuna:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Send&#x2019;, o Göttin, naht ein &#x017F;olcher Schwall,</l><lb/>
            <l>Uns zum Schutze Regen her in Bächen!</l><lb/>
            <l>Thürm&#x2019; ein Wetter auf mit Blitz und Knall,</l><lb/>
            <l>Oder &#x2014; laß ein Wagenrad zerbrechen.</l>
          </lg><lb/>
          <p>Dies erinnert an ähnliche Niedlichkeiten Mörike&#x2019;s, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Humor freilich um vieles mächtiger i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Unter den cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Dichtern war ihm, neben Homer, Virgil<lb/>
der lieb&#x017F;te; &#x017F;eine Bukolika &#x017F;tanden ihm außerordentlich hoch und<lb/>
mögen &#x017F;ein eigenes Dichten beeinflußt haben. Als der größte Dich-<lb/>
ter aller Zeiten aber er&#x017F;chien ihm <hi rendition="#g">Shake&#x017F;peare</hi>, den er mit<lb/>
Pa&#x017F;&#x017F;ion las und de&#x017F;&#x017F;en kühne und erhabene Bilder ihn immer<lb/>
wieder begei&#x017F;terten.</p><lb/>
          <p>Die Angriffe, die &#x017F;ein eigenes Dichten erfuhr, machten gar<lb/>
keinen Eindruck auf ihn, ergötzten ihn vielmehr. Es lag wohl<lb/>
darin, daß er eine durch und durch be&#x017F;cheidene Natur und niemals<lb/>
von dem eitlen Verme&#x017F;&#x017F;en erfüllt war, neben den Heroen jener<lb/>
Epoche ebenbürtig da&#x017F;tehen zu wollen. Er wollte wenig &#x017F;ein, aber<lb/><hi rendition="#g">daß er dies Wenige auch wirklich war, davon war er<lb/>
fe&#x017F;t durchdrungen</hi>; er hielt den Beweis davon in Händen,<lb/>
und die&#x017F;e Ueberzeugung (die nebenher wi&#x017F;&#x017F;en mochte, daß ein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0306] Berliner Geiſtliche von der ſtrengeren Richtung, wie Held und Hennefuß. Er theilte die Anſichten dieſer Herren nicht und hatte deſſen kein Hehl, war aber in der Art, wie er ernſte Geſpräche führte, von ſo feinen und anziehenden Formen, daß die Beſuche weit öfter wiederholt wurden, als man hätte erwarten ſollen. Alle dieſe Beſuche von Freunden und Geiſtlichen erfreuten ihn lebhaft, denn ſie boten ihm geiſtige Nahrung und Anregung; aber höchſt unbequem waren ihm die affectirten Leute aus der großen Stadt, die ſich aus Neugier oder aus Sentimentalität bei ihm blicken ließen, um hinterher von den „hohen Vorzügen des Landlebens“ ſchwärmen zu können, und eines ſeiner Gedichte, nachdem er dieſe Zudringlichen zuvor beſchrieben, ſchließt mit dem Anruf an Fortuna: Send’, o Göttin, naht ein ſolcher Schwall, Uns zum Schutze Regen her in Bächen! Thürm’ ein Wetter auf mit Blitz und Knall, Oder — laß ein Wagenrad zerbrechen. Dies erinnert an ähnliche Niedlichkeiten Mörike’s, deſſen Humor freilich um vieles mächtiger iſt. Unter den claſſiſchen Dichtern war ihm, neben Homer, Virgil der liebſte; ſeine Bukolika ſtanden ihm außerordentlich hoch und mögen ſein eigenes Dichten beeinflußt haben. Als der größte Dich- ter aller Zeiten aber erſchien ihm Shakeſpeare, den er mit Paſſion las und deſſen kühne und erhabene Bilder ihn immer wieder begeiſterten. Die Angriffe, die ſein eigenes Dichten erfuhr, machten gar keinen Eindruck auf ihn, ergötzten ihn vielmehr. Es lag wohl darin, daß er eine durch und durch beſcheidene Natur und niemals von dem eitlen Vermeſſen erfüllt war, neben den Heroen jener Epoche ebenbürtig daſtehen zu wollen. Er wollte wenig ſein, aber daß er dies Wenige auch wirklich war, davon war er feſt durchdrungen; er hielt den Beweis davon in Händen, und dieſe Ueberzeugung (die nebenher wiſſen mochte, daß ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/306
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/306>, abgerufen am 17.06.2024.