Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

kleines Blättchen vom Lorbeerkranz ihm früher oder später noth-
wendig
zufallen müsse) nahm seinem Auftreten jede Empfindlichkeit.
Das bekannte gegen ihn gerichtete Goethe'sche Spottgedicht:

O wie freut es mich, mein Liebchen,
Daß du so natürlich bist,
Unsre Mädchen, unsre Bübchen
Spielen künftig auf dem Mist,

las er seinen Kindern vor und scherzte darüber mit ihnen. Seine
Hochschätzung Goethe's wurde durch diesen Angriff in nichts ge-
mindert, und seine Kinder mußten um dieselbe Zeit, als jenes
Spottgedicht erschienen war, Goethe'sche Lieder und Balladen aus-
wendig lernen.



Bis hierher hat uns der Mensch beschäftigt, wir wenden uns
nun dem Dichter zu. War er ein solcher überhaupt? Gewiß,
und trotz einer starken prosaischen Beimischung weit mehr, als ge-
meinhin geglaubt wird. Die Anerkennung, die ihm seiner Zeit ge-
zollt wurde, pflegte in ihrem Tone der Art und Weise zu gleichen,
in der wohl, in Vor-Claus-Grothschen Tagen, von unseren platt-
deutschen Dichtern, zumal von unserem Altmärkischen Landsmann
Bornemann gesprochen wurde. In den Dichtungen des Einen wie
des Anderen vermißte man Idealität (die dem Volksgeist nicht
mit Unrecht als das entscheidende Merkmal für "ob Dichter oder
nicht" erscheint), und ließ beide Poeten als bloße Dichter-Abarten
gelten, als heitere, derbe, humoristische Erzählertalente, die zufällig
in Reim statt in Prosa erzählten.

Es liegt in dieser ganzen Auffassung, auch namentlich in dem
Zusammenwerfen Schmidt's von Werneuchen mit den plattdeutschen
Dichtern der alten Schule, viel Wahres und Richtiges; viel
Wahres, in das sich nur insoweit eine gewisse Unbilligkeit gegen
unseren Werneuchener Poeten mit einmischt, als er anderer Klänge,
als der zumeist bekannt gewordenen, sehr wohl fähig war.
Die unbestreitbare Popularität der Zeilen:


19

kleines Blättchen vom Lorbeerkranz ihm früher oder ſpäter noth-
wendig
zufallen müſſe) nahm ſeinem Auftreten jede Empfindlichkeit.
Das bekannte gegen ihn gerichtete Goethe’ſche Spottgedicht:

O wie freut es mich, mein Liebchen,
Daß du ſo natürlich biſt,
Unſre Mädchen, unſre Bübchen
Spielen künftig auf dem Miſt,

las er ſeinen Kindern vor und ſcherzte darüber mit ihnen. Seine
Hochſchätzung Goethe’s wurde durch dieſen Angriff in nichts ge-
mindert, und ſeine Kinder mußten um dieſelbe Zeit, als jenes
Spottgedicht erſchienen war, Goethe’ſche Lieder und Balladen aus-
wendig lernen.



Bis hierher hat uns der Menſch beſchäftigt, wir wenden uns
nun dem Dichter zu. War er ein ſolcher überhaupt? Gewiß,
und trotz einer ſtarken proſaiſchen Beimiſchung weit mehr, als ge-
meinhin geglaubt wird. Die Anerkennung, die ihm ſeiner Zeit ge-
zollt wurde, pflegte in ihrem Tone der Art und Weiſe zu gleichen,
in der wohl, in Vor-Claus-Grothſchen Tagen, von unſeren platt-
deutſchen Dichtern, zumal von unſerem Altmärkiſchen Landsmann
Bornemann geſprochen wurde. In den Dichtungen des Einen wie
des Anderen vermißte man Idealität (die dem Volksgeiſt nicht
mit Unrecht als das entſcheidende Merkmal für „ob Dichter oder
nicht“ erſcheint), und ließ beide Poeten als bloße Dichter-Abarten
gelten, als heitere, derbe, humoriſtiſche Erzählertalente, die zufällig
in Reim ſtatt in Proſa erzählten.

Es liegt in dieſer ganzen Auffaſſung, auch namentlich in dem
Zuſammenwerfen Schmidt’s von Werneuchen mit den plattdeutſchen
Dichtern der alten Schule, viel Wahres und Richtiges; viel
Wahres, in das ſich nur inſoweit eine gewiſſe Unbilligkeit gegen
unſeren Werneuchener Poeten mit einmiſcht, als er anderer Klänge,
als der zumeiſt bekannt gewordenen, ſehr wohl fähig war.
Die unbeſtreitbare Popularität der Zeilen:


19
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0307" n="289"/>
kleines Blättchen vom Lorbeerkranz ihm früher oder &#x017F;päter <hi rendition="#g">noth-<lb/>
wendig</hi> zufallen mü&#x017F;&#x017F;e) nahm &#x017F;einem Auftreten jede Empfindlichkeit.<lb/>
Das bekannte gegen ihn gerichtete Goethe&#x2019;&#x017F;che Spottgedicht:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>O wie freut es mich, mein Liebchen,</l><lb/>
            <l>Daß du &#x017F;o natürlich bi&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Un&#x017F;re Mädchen, un&#x017F;re Bübchen</l><lb/>
            <l>Spielen künftig auf dem Mi&#x017F;t,</l>
          </lg><lb/>
          <p>las er &#x017F;einen Kindern vor und &#x017F;cherzte darüber mit ihnen. Seine<lb/>
Hoch&#x017F;chätzung Goethe&#x2019;s wurde durch die&#x017F;en Angriff in nichts ge-<lb/>
mindert, und &#x017F;eine Kinder mußten um die&#x017F;elbe Zeit, als jenes<lb/>
Spottgedicht er&#x017F;chienen war, Goethe&#x2019;&#x017F;che Lieder und Balladen aus-<lb/>
wendig lernen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Bis hierher hat uns der Men&#x017F;ch be&#x017F;chäftigt, wir wenden uns<lb/>
nun dem <hi rendition="#g">Dichter</hi> zu. War er ein &#x017F;olcher überhaupt? Gewiß,<lb/>
und trotz einer &#x017F;tarken pro&#x017F;ai&#x017F;chen Beimi&#x017F;chung weit mehr, als ge-<lb/>
meinhin geglaubt wird. Die Anerkennung, die ihm &#x017F;einer Zeit ge-<lb/>
zollt wurde, pflegte in ihrem Tone der Art und Wei&#x017F;e zu gleichen,<lb/>
in der wohl, in Vor-Claus-Groth&#x017F;chen Tagen, von un&#x017F;eren platt-<lb/>
deut&#x017F;chen Dichtern, zumal von un&#x017F;erem Altmärki&#x017F;chen Landsmann<lb/>
Bornemann ge&#x017F;prochen wurde. In den Dichtungen des Einen wie<lb/>
des Anderen vermißte man <hi rendition="#g">Idealität</hi> (die dem Volksgei&#x017F;t nicht<lb/>
mit Unrecht als das ent&#x017F;cheidende Merkmal für &#x201E;ob Dichter oder<lb/>
nicht&#x201C; er&#x017F;cheint), und ließ beide Poeten als bloße Dichter-Abarten<lb/>
gelten, als heitere, derbe, humori&#x017F;ti&#x017F;che Erzählertalente, die zufällig<lb/>
in Reim &#x017F;tatt in Pro&#x017F;a erzählten.</p><lb/>
          <p>Es liegt in die&#x017F;er ganzen Auffa&#x017F;&#x017F;ung, auch namentlich in dem<lb/>
Zu&#x017F;ammenwerfen Schmidt&#x2019;s von Werneuchen mit den plattdeut&#x017F;chen<lb/>
Dichtern der alten Schule, viel Wahres und Richtiges; viel<lb/>
Wahres, in das &#x017F;ich nur in&#x017F;oweit eine gewi&#x017F;&#x017F;e Unbilligkeit gegen<lb/>
un&#x017F;eren Werneuchener Poeten mit einmi&#x017F;cht, als er anderer Klänge,<lb/>
als der <hi rendition="#g">zumei&#x017F;t bekannt gewordenen</hi>, &#x017F;ehr wohl fähig war.<lb/>
Die unbe&#x017F;treitbare Popularität der Zeilen:</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom">19</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[289/0307] kleines Blättchen vom Lorbeerkranz ihm früher oder ſpäter noth- wendig zufallen müſſe) nahm ſeinem Auftreten jede Empfindlichkeit. Das bekannte gegen ihn gerichtete Goethe’ſche Spottgedicht: O wie freut es mich, mein Liebchen, Daß du ſo natürlich biſt, Unſre Mädchen, unſre Bübchen Spielen künftig auf dem Miſt, las er ſeinen Kindern vor und ſcherzte darüber mit ihnen. Seine Hochſchätzung Goethe’s wurde durch dieſen Angriff in nichts ge- mindert, und ſeine Kinder mußten um dieſelbe Zeit, als jenes Spottgedicht erſchienen war, Goethe’ſche Lieder und Balladen aus- wendig lernen. Bis hierher hat uns der Menſch beſchäftigt, wir wenden uns nun dem Dichter zu. War er ein ſolcher überhaupt? Gewiß, und trotz einer ſtarken proſaiſchen Beimiſchung weit mehr, als ge- meinhin geglaubt wird. Die Anerkennung, die ihm ſeiner Zeit ge- zollt wurde, pflegte in ihrem Tone der Art und Weiſe zu gleichen, in der wohl, in Vor-Claus-Grothſchen Tagen, von unſeren platt- deutſchen Dichtern, zumal von unſerem Altmärkiſchen Landsmann Bornemann geſprochen wurde. In den Dichtungen des Einen wie des Anderen vermißte man Idealität (die dem Volksgeiſt nicht mit Unrecht als das entſcheidende Merkmal für „ob Dichter oder nicht“ erſcheint), und ließ beide Poeten als bloße Dichter-Abarten gelten, als heitere, derbe, humoriſtiſche Erzählertalente, die zufällig in Reim ſtatt in Proſa erzählten. Es liegt in dieſer ganzen Auffaſſung, auch namentlich in dem Zuſammenwerfen Schmidt’s von Werneuchen mit den plattdeutſchen Dichtern der alten Schule, viel Wahres und Richtiges; viel Wahres, in das ſich nur inſoweit eine gewiſſe Unbilligkeit gegen unſeren Werneuchener Poeten mit einmiſcht, als er anderer Klänge, als der zumeiſt bekannt gewordenen, ſehr wohl fähig war. Die unbeſtreitbare Popularität der Zeilen: 19

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/307
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/307>, abgerufen am 23.11.2024.