kleines Blättchen vom Lorbeerkranz ihm früher oder später noth- wendig zufallen müsse) nahm seinem Auftreten jede Empfindlichkeit. Das bekannte gegen ihn gerichtete Goethe'sche Spottgedicht:
O wie freut es mich, mein Liebchen, Daß du so natürlich bist, Unsre Mädchen, unsre Bübchen Spielen künftig auf dem Mist,
las er seinen Kindern vor und scherzte darüber mit ihnen. Seine Hochschätzung Goethe's wurde durch diesen Angriff in nichts ge- mindert, und seine Kinder mußten um dieselbe Zeit, als jenes Spottgedicht erschienen war, Goethe'sche Lieder und Balladen aus- wendig lernen.
Bis hierher hat uns der Mensch beschäftigt, wir wenden uns nun dem Dichter zu. War er ein solcher überhaupt? Gewiß, und trotz einer starken prosaischen Beimischung weit mehr, als ge- meinhin geglaubt wird. Die Anerkennung, die ihm seiner Zeit ge- zollt wurde, pflegte in ihrem Tone der Art und Weise zu gleichen, in der wohl, in Vor-Claus-Grothschen Tagen, von unseren platt- deutschen Dichtern, zumal von unserem Altmärkischen Landsmann Bornemann gesprochen wurde. In den Dichtungen des Einen wie des Anderen vermißte man Idealität (die dem Volksgeist nicht mit Unrecht als das entscheidende Merkmal für "ob Dichter oder nicht" erscheint), und ließ beide Poeten als bloße Dichter-Abarten gelten, als heitere, derbe, humoristische Erzählertalente, die zufällig in Reim statt in Prosa erzählten.
Es liegt in dieser ganzen Auffassung, auch namentlich in dem Zusammenwerfen Schmidt's von Werneuchen mit den plattdeutschen Dichtern der alten Schule, viel Wahres und Richtiges; viel Wahres, in das sich nur insoweit eine gewisse Unbilligkeit gegen unseren Werneuchener Poeten mit einmischt, als er anderer Klänge, als der zumeist bekannt gewordenen, sehr wohl fähig war. Die unbestreitbare Popularität der Zeilen:
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kleines Blättchen vom Lorbeerkranz ihm früher oder ſpäter noth- wendig zufallen müſſe) nahm ſeinem Auftreten jede Empfindlichkeit. Das bekannte gegen ihn gerichtete Goethe’ſche Spottgedicht:
O wie freut es mich, mein Liebchen, Daß du ſo natürlich biſt, Unſre Mädchen, unſre Bübchen Spielen künftig auf dem Miſt,
las er ſeinen Kindern vor und ſcherzte darüber mit ihnen. Seine Hochſchätzung Goethe’s wurde durch dieſen Angriff in nichts ge- mindert, und ſeine Kinder mußten um dieſelbe Zeit, als jenes Spottgedicht erſchienen war, Goethe’ſche Lieder und Balladen aus- wendig lernen.
Bis hierher hat uns der Menſch beſchäftigt, wir wenden uns nun dem Dichter zu. War er ein ſolcher überhaupt? Gewiß, und trotz einer ſtarken proſaiſchen Beimiſchung weit mehr, als ge- meinhin geglaubt wird. Die Anerkennung, die ihm ſeiner Zeit ge- zollt wurde, pflegte in ihrem Tone der Art und Weiſe zu gleichen, in der wohl, in Vor-Claus-Grothſchen Tagen, von unſeren platt- deutſchen Dichtern, zumal von unſerem Altmärkiſchen Landsmann Bornemann geſprochen wurde. In den Dichtungen des Einen wie des Anderen vermißte man Idealität (die dem Volksgeiſt nicht mit Unrecht als das entſcheidende Merkmal für „ob Dichter oder nicht“ erſcheint), und ließ beide Poeten als bloße Dichter-Abarten gelten, als heitere, derbe, humoriſtiſche Erzählertalente, die zufällig in Reim ſtatt in Proſa erzählten.
Es liegt in dieſer ganzen Auffaſſung, auch namentlich in dem Zuſammenwerfen Schmidt’s von Werneuchen mit den plattdeutſchen Dichtern der alten Schule, viel Wahres und Richtiges; viel Wahres, in das ſich nur inſoweit eine gewiſſe Unbilligkeit gegen unſeren Werneuchener Poeten mit einmiſcht, als er anderer Klänge, als der zumeiſt bekannt gewordenen, ſehr wohl fähig war. Die unbeſtreitbare Popularität der Zeilen:
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kleines Blättchen vom Lorbeerkranz ihm früher oder ſpäter noth-
wendig zufallen müſſe) nahm ſeinem Auftreten jede Empfindlichkeit.
Das bekannte gegen ihn gerichtete Goethe’ſche Spottgedicht:
O wie freut es mich, mein Liebchen,
Daß du ſo natürlich biſt,
Unſre Mädchen, unſre Bübchen
Spielen künftig auf dem Miſt,
las er ſeinen Kindern vor und ſcherzte darüber mit ihnen. Seine
Hochſchätzung Goethe’s wurde durch dieſen Angriff in nichts ge-
mindert, und ſeine Kinder mußten um dieſelbe Zeit, als jenes
Spottgedicht erſchienen war, Goethe’ſche Lieder und Balladen aus-
wendig lernen.
Bis hierher hat uns der Menſch beſchäftigt, wir wenden uns
nun dem Dichter zu. War er ein ſolcher überhaupt? Gewiß,
und trotz einer ſtarken proſaiſchen Beimiſchung weit mehr, als ge-
meinhin geglaubt wird. Die Anerkennung, die ihm ſeiner Zeit ge-
zollt wurde, pflegte in ihrem Tone der Art und Weiſe zu gleichen,
in der wohl, in Vor-Claus-Grothſchen Tagen, von unſeren platt-
deutſchen Dichtern, zumal von unſerem Altmärkiſchen Landsmann
Bornemann geſprochen wurde. In den Dichtungen des Einen wie
des Anderen vermißte man Idealität (die dem Volksgeiſt nicht
mit Unrecht als das entſcheidende Merkmal für „ob Dichter oder
nicht“ erſcheint), und ließ beide Poeten als bloße Dichter-Abarten
gelten, als heitere, derbe, humoriſtiſche Erzählertalente, die zufällig
in Reim ſtatt in Proſa erzählten.
Es liegt in dieſer ganzen Auffaſſung, auch namentlich in dem
Zuſammenwerfen Schmidt’s von Werneuchen mit den plattdeutſchen
Dichtern der alten Schule, viel Wahres und Richtiges; viel
Wahres, in das ſich nur inſoweit eine gewiſſe Unbilligkeit gegen
unſeren Werneuchener Poeten mit einmiſcht, als er anderer Klänge,
als der zumeiſt bekannt gewordenen, ſehr wohl fähig war.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/307>, abgerufen am 23.11.2024.
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