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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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1802 ist zu weit. Nach dem Jahre 1802 scheint er sein Harfen-
spiel an die Wand gehängt zu haben; nur aus dem Jahre 1815
begegnen wir noch schließlich einem schmalen Büchelchen, das den
Titel "Neueste Gedichte" führt und in zwei Sonettenkränzen
(eine Form, in der er sich auch früher schon versuchte) den Tod
seiner ersten Gattin Henriette und das frühe Hinscheiden seines Lieb-
lingssohnes Ulrich beklagt. Ich erwähnte dieser Lieder schon weiter oben.

Sehen wir von dem Jahrgang des Erscheinens ab und be-
trachten wir den Inhalt so vieler Bände zunächst als ein Gan-
zes, das wir nicht äußerlich nach Namen und Datum, sondern
nach seinem inneren Gehalt zu theilen haben, so ergeben sich drei
Hauptgruppen: 1) Sonette, 2) Balladen und 3) Naturbeschrei-
bungen, vom kurzen Lied an bis zum ausgeführten Idyll.

Ueber die erste und zweite Gruppe (Sonette und Balladen)
gehen wir so schnell wie möglich hinweg. Er hatte weder von dem
Einen, noch von dem Andern auch nur eine Ahnung, und wäh-
rend ihm, dem Sonett gegenüber, trotz seiner großen Gewandtheit
in Handhabung des Reims, die Grazie, die leichte Sicherheit in
Form und Gedanken fehlte, suchte er, die schwächeren und schwäch-
sten Sachen Bürger's zum Vorbild nehmend, das Wesen der Bal-
lade im Mordhaft-schauerlichen, in einem Gespenster-Apparate, der
Niemand in Schrecken setzen konnte, weil er selber keinen Augen-
blick an das wirkliche Lebendigsein seiner Figuren glaubte. So
kam es, daß er in dieser Dichtungsart beständig den bekannten
einen Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen that und Karri-
katuren statt Gestalten auf die poetische Bühne führte. Um wenig-
stens eine Belagsstelle für dies mein Urtheil zu citiren, laß ich
hier die erste Strophe der Spuk-Ballade "Graf Königsmark und
sein Verwalter" folgen:

Graf Königsmark hatt' irgendwo
In Sachsen an der Saale
Ein Gut, wohin er gern entfloh
Der höfischen Kabale.
Die Wirthschaft dort besorgt ein treuer
Verständiger und frommer Meier.

19*

1802 iſt zu weit. Nach dem Jahre 1802 ſcheint er ſein Harfen-
ſpiel an die Wand gehängt zu haben; nur aus dem Jahre 1815
begegnen wir noch ſchließlich einem ſchmalen Büchelchen, das den
Titel „Neueſte Gedichte“ führt und in zwei Sonettenkränzen
(eine Form, in der er ſich auch früher ſchon verſuchte) den Tod
ſeiner erſten Gattin Henriette und das frühe Hinſcheiden ſeines Lieb-
lingsſohnes Ulrich beklagt. Ich erwähnte dieſer Lieder ſchon weiter oben.

Sehen wir von dem Jahrgang des Erſcheinens ab und be-
trachten wir den Inhalt ſo vieler Bände zunächſt als ein Gan-
zes, das wir nicht äußerlich nach Namen und Datum, ſondern
nach ſeinem inneren Gehalt zu theilen haben, ſo ergeben ſich drei
Hauptgruppen: 1) Sonette, 2) Balladen und 3) Naturbeſchrei-
bungen, vom kurzen Lied an bis zum ausgeführten Idyll.

Ueber die erſte und zweite Gruppe (Sonette und Balladen)
gehen wir ſo ſchnell wie möglich hinweg. Er hatte weder von dem
Einen, noch von dem Andern auch nur eine Ahnung, und wäh-
rend ihm, dem Sonett gegenüber, trotz ſeiner großen Gewandtheit
in Handhabung des Reims, die Grazie, die leichte Sicherheit in
Form und Gedanken fehlte, ſuchte er, die ſchwächeren und ſchwäch-
ſten Sachen Bürger’s zum Vorbild nehmend, das Weſen der Bal-
lade im Mordhaft-ſchauerlichen, in einem Geſpenſter-Apparate, der
Niemand in Schrecken ſetzen konnte, weil er ſelber keinen Augen-
blick an das wirkliche Lebendigſein ſeiner Figuren glaubte. So
kam es, daß er in dieſer Dichtungsart beſtändig den bekannten
einen Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen that und Karri-
katuren ſtatt Geſtalten auf die poetiſche Bühne führte. Um wenig-
ſtens eine Belagsſtelle für dies mein Urtheil zu citiren, laß ich
hier die erſte Strophe der Spuk-Ballade „Graf Königsmark und
ſein Verwalter“ folgen:

Graf Königsmark hatt’ irgendwo
In Sachſen an der Saale
Ein Gut, wohin er gern entfloh
Der höfiſchen Kabale.
Die Wirthſchaft dort beſorgt ein treuer
Verſtändiger und frommer Meier.

19*
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[291/0309] 1802 iſt zu weit. Nach dem Jahre 1802 ſcheint er ſein Harfen- ſpiel an die Wand gehängt zu haben; nur aus dem Jahre 1815 begegnen wir noch ſchließlich einem ſchmalen Büchelchen, das den Titel „Neueſte Gedichte“ führt und in zwei Sonettenkränzen (eine Form, in der er ſich auch früher ſchon verſuchte) den Tod ſeiner erſten Gattin Henriette und das frühe Hinſcheiden ſeines Lieb- lingsſohnes Ulrich beklagt. Ich erwähnte dieſer Lieder ſchon weiter oben. Sehen wir von dem Jahrgang des Erſcheinens ab und be- trachten wir den Inhalt ſo vieler Bände zunächſt als ein Gan- zes, das wir nicht äußerlich nach Namen und Datum, ſondern nach ſeinem inneren Gehalt zu theilen haben, ſo ergeben ſich drei Hauptgruppen: 1) Sonette, 2) Balladen und 3) Naturbeſchrei- bungen, vom kurzen Lied an bis zum ausgeführten Idyll. Ueber die erſte und zweite Gruppe (Sonette und Balladen) gehen wir ſo ſchnell wie möglich hinweg. Er hatte weder von dem Einen, noch von dem Andern auch nur eine Ahnung, und wäh- rend ihm, dem Sonett gegenüber, trotz ſeiner großen Gewandtheit in Handhabung des Reims, die Grazie, die leichte Sicherheit in Form und Gedanken fehlte, ſuchte er, die ſchwächeren und ſchwäch- ſten Sachen Bürger’s zum Vorbild nehmend, das Weſen der Bal- lade im Mordhaft-ſchauerlichen, in einem Geſpenſter-Apparate, der Niemand in Schrecken ſetzen konnte, weil er ſelber keinen Augen- blick an das wirkliche Lebendigſein ſeiner Figuren glaubte. So kam es, daß er in dieſer Dichtungsart beſtändig den bekannten einen Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen that und Karri- katuren ſtatt Geſtalten auf die poetiſche Bühne führte. Um wenig- ſtens eine Belagsſtelle für dies mein Urtheil zu citiren, laß ich hier die erſte Strophe der Spuk-Ballade „Graf Königsmark und ſein Verwalter“ folgen: Graf Königsmark hatt’ irgendwo In Sachſen an der Saale Ein Gut, wohin er gern entfloh Der höfiſchen Kabale. Die Wirthſchaft dort beſorgt ein treuer Verſtändiger und frommer Meier. 19*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/309>, abgerufen am 17.06.2024.