Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.der Festung Küstrin war ihre militärische Ehre geblieben, sie war Die denkwürdigste, die am meisten historisch gewordene Zeit *) Das Ende fast aller der Generale und Commandirenden, denen,
gleichviel mit Recht oder Unrecht, die Schuld für die Katastrophe von 1806 beigemessen wird, war ein sehr trauriges. Massenbachs Schicksal ist bekannt; Fürst Hohenlohe, der, bei Jena geschlagen, bei Prenzlau die un- selige Capitulation geschlossen hatte, verbrachte seine letzten Lebensjahre in völliger Einsamkeit (in Oberschlesien). Als Generallieutenant von Pirch, der früher Adjutant des Fürsten gewesen war, ihn nach Beendigung der Kriege von 1813 bis 1815 besuchte, fand er ihn in einem alten Ueber- rocke. Pirch blieb zu Tisch und der Fürst entschuldigte sich, daß er seinem Gaste nichts als eine Wassersuppe vorsetzen könne. Er war völlig mittel- los, glücklicherweise auch bedürfnißlos. Uebrigens war er ein tapferer und hochherziger Mann, der neben den "Ingerslebens" jener Epoche kaum ge- nannt, sicherlich nicht mit ihnen verwechselt werden darf. der Feſtung Küſtrin war ihre militäriſche Ehre geblieben, ſie war Die denkwürdigſte, die am meiſten hiſtoriſch gewordene Zeit *) Das Ende faſt aller der Generale und Commandirenden, denen,
gleichviel mit Recht oder Unrecht, die Schuld für die Kataſtrophe von 1806 beigemeſſen wird, war ein ſehr trauriges. Maſſenbachs Schickſal iſt bekannt; Fürſt Hohenlohe, der, bei Jena geſchlagen, bei Prenzlau die un- ſelige Capitulation geſchloſſen hatte, verbrachte ſeine letzten Lebensjahre in völliger Einſamkeit (in Oberſchleſien). Als Generallieutenant von Pirch, der früher Adjutant des Fürſten geweſen war, ihn nach Beendigung der Kriege von 1813 bis 1815 beſuchte, fand er ihn in einem alten Ueber- rocke. Pirch blieb zu Tiſch und der Fürſt entſchuldigte ſich, daß er ſeinem Gaſte nichts als eine Waſſerſuppe vorſetzen könne. Er war völlig mittel- los, glücklicherweiſe auch bedürfnißlos. Uebrigens war er ein tapferer und hochherziger Mann, der neben den „Ingerslebens“ jener Epoche kaum ge- nannt, ſicherlich nicht mit ihnen verwechſelt werden darf. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0349" n="331"/> der <hi rendition="#g">Feſtung</hi> Küſtrin war ihre militäriſche Ehre geblieben, ſie war<lb/> nicht übergeben worden. Fünfzig Jahre ſpäter ſollte auch dieſe<lb/> verloren gehen. Oberſt von Ingersleben hatte am 24. Oktober<lb/> 1806 dem König verſichert: „<hi rendition="#g">die Feſtung halten zu wollen,<lb/> bis ihm das Schnupftuch in der Taſche brenne</hi>;“ am<lb/> 31. Oktober übergab er die faſt uneinnehmbare Feſtung (Napoleon<lb/> nannte ſie <hi rendition="#aq">une forteresse formidable</hi>) an 250 Franzoſen.<lb/> Frau von Ingersleben, eine geborne von Maſſow, ſpie vor<lb/> ihrem Gemahl aus und trennte ſich auf immer von ihm. Nach<lb/> einer andern Lesart warf ſie ihm, als er, bei den Vorbereitungen zur<lb/> Flucht, von ihr ein Sitzkiſſen forderte, ſtatt des Kiſſens eine Schlaf-<lb/> mütze hin. Ingersleben ſelbſt, als er in franzöſiſche Dienſte treten<lb/> wollte, erhielt den Beſcheid: „der Kaiſer könne keinen Soldaten<lb/> brauchen, der ſeinen Kriegsherrn verrathen habe.“ Der beklagens-<lb/> werthe Mann ſtarb erſt viele Jahre ſpäter, elend und vergeſſen,<lb/> auf einem Dorf in der Nähe von Wittenberg. <note place="foot" n="*)">Das Ende faſt aller der Generale und Commandirenden, denen,<lb/> gleichviel mit Recht oder Unrecht, die Schuld für die Kataſtrophe von<lb/> 1806 beigemeſſen wird, war ein ſehr trauriges. Maſſenbachs Schickſal iſt<lb/> bekannt; Fürſt Hohenlohe, der, bei Jena geſchlagen, bei Prenzlau die un-<lb/> ſelige Capitulation geſchloſſen hatte, verbrachte ſeine letzten Lebensjahre<lb/> in völliger Einſamkeit (in Oberſchleſien). Als Generallieutenant von Pirch,<lb/> der früher Adjutant des Fürſten geweſen war, ihn nach Beendigung der<lb/> Kriege von 1813 bis 1815 beſuchte, fand er ihn in einem alten Ueber-<lb/> rocke. Pirch blieb zu Tiſch und der Fürſt entſchuldigte ſich, daß er ſeinem<lb/> Gaſte nichts als eine Waſſerſuppe vorſetzen könne. Er war völlig mittel-<lb/> los, glücklicherweiſe auch bedürfnißlos. Uebrigens war er ein tapferer und<lb/> hochherziger Mann, der neben den „Ingerslebens“ jener Epoche kaum ge-<lb/> nannt, ſicherlich nicht mit ihnen <hi rendition="#g">verwechſelt</hi> werden darf.</note></p><lb/> <p>Die denkwürdigſte, die am meiſten hiſtoriſch gewordene Zeit<lb/> Küſtrins iſt unbeſtritten das Jahr 1730 bis 1731, die Zeit des<lb/> Kronprinzen Fritz. Ehe wir zu einer Beſprechung derſelben über-<lb/> gehen, iſt es nöthig noch einmal auf den 15. Auguſt 1758 zurück-<lb/> zukommen. Das Bombardement durch die Ruſſen nämlich und die<lb/> Einäſcherung der Stadt in Folge deſſelben, iſt Schuld daran, daß<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [331/0349]
der Feſtung Küſtrin war ihre militäriſche Ehre geblieben, ſie war
nicht übergeben worden. Fünfzig Jahre ſpäter ſollte auch dieſe
verloren gehen. Oberſt von Ingersleben hatte am 24. Oktober
1806 dem König verſichert: „die Feſtung halten zu wollen,
bis ihm das Schnupftuch in der Taſche brenne;“ am
31. Oktober übergab er die faſt uneinnehmbare Feſtung (Napoleon
nannte ſie une forteresse formidable) an 250 Franzoſen.
Frau von Ingersleben, eine geborne von Maſſow, ſpie vor
ihrem Gemahl aus und trennte ſich auf immer von ihm. Nach
einer andern Lesart warf ſie ihm, als er, bei den Vorbereitungen zur
Flucht, von ihr ein Sitzkiſſen forderte, ſtatt des Kiſſens eine Schlaf-
mütze hin. Ingersleben ſelbſt, als er in franzöſiſche Dienſte treten
wollte, erhielt den Beſcheid: „der Kaiſer könne keinen Soldaten
brauchen, der ſeinen Kriegsherrn verrathen habe.“ Der beklagens-
werthe Mann ſtarb erſt viele Jahre ſpäter, elend und vergeſſen,
auf einem Dorf in der Nähe von Wittenberg. *)
Die denkwürdigſte, die am meiſten hiſtoriſch gewordene Zeit
Küſtrins iſt unbeſtritten das Jahr 1730 bis 1731, die Zeit des
Kronprinzen Fritz. Ehe wir zu einer Beſprechung derſelben über-
gehen, iſt es nöthig noch einmal auf den 15. Auguſt 1758 zurück-
zukommen. Das Bombardement durch die Ruſſen nämlich und die
Einäſcherung der Stadt in Folge deſſelben, iſt Schuld daran, daß
*) Das Ende faſt aller der Generale und Commandirenden, denen,
gleichviel mit Recht oder Unrecht, die Schuld für die Kataſtrophe von
1806 beigemeſſen wird, war ein ſehr trauriges. Maſſenbachs Schickſal iſt
bekannt; Fürſt Hohenlohe, der, bei Jena geſchlagen, bei Prenzlau die un-
ſelige Capitulation geſchloſſen hatte, verbrachte ſeine letzten Lebensjahre
in völliger Einſamkeit (in Oberſchleſien). Als Generallieutenant von Pirch,
der früher Adjutant des Fürſten geweſen war, ihn nach Beendigung der
Kriege von 1813 bis 1815 beſuchte, fand er ihn in einem alten Ueber-
rocke. Pirch blieb zu Tiſch und der Fürſt entſchuldigte ſich, daß er ſeinem
Gaſte nichts als eine Waſſerſuppe vorſetzen könne. Er war völlig mittel-
los, glücklicherweiſe auch bedürfnißlos. Uebrigens war er ein tapferer und
hochherziger Mann, der neben den „Ingerslebens“ jener Epoche kaum ge-
nannt, ſicherlich nicht mit ihnen verwechſelt werden darf.
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/349>, abgerufen am 26.06.2024. |