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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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selbst sind jung, und nur alle funfzig Schritte begegnen wir eini-
gen halberstorbenen Eichenbäumen, von denen es schwer zu sagen
ist, was sie vor der Axt des Holzschlägers gerettet haben mag, ihr
hohes Alter, ihre malerische Schönheit, oder eine abergläubisch-
pietätsvolle Rücksicht gegen das Geschlecht der Spechte, die darin
wohnen und auf den Kuppen der Müggelsberge in ähnlicher Weise
heimisch sind, wie die Raben und Dohlen auf den Kirchthürmen
alter Städte. Sie zimmern sich mit geschäftigem Schnabel ihre
soliden Nester in das harte Holz der Eichen hinein und machen,
vielleicht aus Geselligkeitstrieb, jeden einzelnen Stamm zu einer
Art Familienhaus. Oft fünfzig Nester in einem Baum. Ueberall
huscht es heraus und hinein, pickt und kreischt, und im Vorüber-
gehen grüßen wir ein paar alte Spechte, die aus den Löchern her-
vorlugen, neugierig, zu erfahren, ob Freund oder Feind im An-
zuge sei.

So erreichen wir nach kurzem Gange die Westkuppe, ein
kahles, kreisrundes Plateau, das wie eine Warte in's Land hinaus
sieht. In der Mitte liegen verkohlte Scheite von einem Feuer, das
erst gestern gebrannt zu haben scheint; sonst Alles Sand und
Kiennadeln und dicht am Abhange eine einzige Distel. Die Tannen
und Fichten, die eben noch als dichtes Gebüsch zu beiden Seiten
des Weges standen, den wir passirten, -- hier haben sie sich, an
den Abhang des Berges, nach unten zu zurückgezogen und ragen
nur mit ihren Gipfeln noch handhoch über das Plateau hinweg.
Wie ein Riesenkranz von dunklen Nadeln bewegt sich's um uns
her; nur eine einzige Fichte, ein schlanker, hellrother Stamm, der
stolz wie eine Pinie dasteht, ragt wie ein Flaggenstock hoch auf und
streckt seine grüne Krone wie ein Wahrzeichen weit in's Land
hinein.

Wir lehnen uns an den schlanken Stamm des schönen Bau-
mes und blicken, nach Westen zu, in die Bilder modernen Lebens
und lachender Gegenwart hinein. Die Sand- und Sumpfwüste
früherer Jahrhunderte wurde hier längst zu einem Park- und

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ſelbſt ſind jung, und nur alle funfzig Schritte begegnen wir eini-
gen halberſtorbenen Eichenbäumen, von denen es ſchwer zu ſagen
iſt, was ſie vor der Axt des Holzſchlägers gerettet haben mag, ihr
hohes Alter, ihre maleriſche Schönheit, oder eine abergläubiſch-
pietätsvolle Rückſicht gegen das Geſchlecht der Spechte, die darin
wohnen und auf den Kuppen der Müggelsberge in ähnlicher Weiſe
heimiſch ſind, wie die Raben und Dohlen auf den Kirchthürmen
alter Städte. Sie zimmern ſich mit geſchäftigem Schnabel ihre
ſoliden Neſter in das harte Holz der Eichen hinein und machen,
vielleicht aus Geſelligkeitstrieb, jeden einzelnen Stamm zu einer
Art Familienhaus. Oft fünfzig Neſter in einem Baum. Ueberall
huſcht es heraus und hinein, pickt und kreiſcht, und im Vorüber-
gehen grüßen wir ein paar alte Spechte, die aus den Löchern her-
vorlugen, neugierig, zu erfahren, ob Freund oder Feind im An-
zuge ſei.

So erreichen wir nach kurzem Gange die Weſtkuppe, ein
kahles, kreisrundes Plateau, das wie eine Warte in’s Land hinaus
ſieht. In der Mitte liegen verkohlte Scheite von einem Feuer, das
erſt geſtern gebrannt zu haben ſcheint; ſonſt Alles Sand und
Kiennadeln und dicht am Abhange eine einzige Diſtel. Die Tannen
und Fichten, die eben noch als dichtes Gebüſch zu beiden Seiten
des Weges ſtanden, den wir paſſirten, — hier haben ſie ſich, an
den Abhang des Berges, nach unten zu zurückgezogen und ragen
nur mit ihren Gipfeln noch handhoch über das Plateau hinweg.
Wie ein Rieſenkranz von dunklen Nadeln bewegt ſich’s um uns
her; nur eine einzige Fichte, ein ſchlanker, hellrother Stamm, der
ſtolz wie eine Pinie daſteht, ragt wie ein Flaggenſtock hoch auf und
ſtreckt ſeine grüne Krone wie ein Wahrzeichen weit in’s Land
hinein.

Wir lehnen uns an den ſchlanken Stamm des ſchönen Bau-
mes und blicken, nach Weſten zu, in die Bilder modernen Lebens
und lachender Gegenwart hinein. Die Sand- und Sumpfwüſte
früherer Jahrhunderte wurde hier längſt zu einem Park- und

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[369/0387] ſelbſt ſind jung, und nur alle funfzig Schritte begegnen wir eini- gen halberſtorbenen Eichenbäumen, von denen es ſchwer zu ſagen iſt, was ſie vor der Axt des Holzſchlägers gerettet haben mag, ihr hohes Alter, ihre maleriſche Schönheit, oder eine abergläubiſch- pietätsvolle Rückſicht gegen das Geſchlecht der Spechte, die darin wohnen und auf den Kuppen der Müggelsberge in ähnlicher Weiſe heimiſch ſind, wie die Raben und Dohlen auf den Kirchthürmen alter Städte. Sie zimmern ſich mit geſchäftigem Schnabel ihre ſoliden Neſter in das harte Holz der Eichen hinein und machen, vielleicht aus Geſelligkeitstrieb, jeden einzelnen Stamm zu einer Art Familienhaus. Oft fünfzig Neſter in einem Baum. Ueberall huſcht es heraus und hinein, pickt und kreiſcht, und im Vorüber- gehen grüßen wir ein paar alte Spechte, die aus den Löchern her- vorlugen, neugierig, zu erfahren, ob Freund oder Feind im An- zuge ſei. So erreichen wir nach kurzem Gange die Weſtkuppe, ein kahles, kreisrundes Plateau, das wie eine Warte in’s Land hinaus ſieht. In der Mitte liegen verkohlte Scheite von einem Feuer, das erſt geſtern gebrannt zu haben ſcheint; ſonſt Alles Sand und Kiennadeln und dicht am Abhange eine einzige Diſtel. Die Tannen und Fichten, die eben noch als dichtes Gebüſch zu beiden Seiten des Weges ſtanden, den wir paſſirten, — hier haben ſie ſich, an den Abhang des Berges, nach unten zu zurückgezogen und ragen nur mit ihren Gipfeln noch handhoch über das Plateau hinweg. Wie ein Rieſenkranz von dunklen Nadeln bewegt ſich’s um uns her; nur eine einzige Fichte, ein ſchlanker, hellrother Stamm, der ſtolz wie eine Pinie daſteht, ragt wie ein Flaggenſtock hoch auf und ſtreckt ſeine grüne Krone wie ein Wahrzeichen weit in’s Land hinein. Wir lehnen uns an den ſchlanken Stamm des ſchönen Bau- mes und blicken, nach Weſten zu, in die Bilder modernen Lebens und lachender Gegenwart hinein. Die Sand- und Sumpfwüſte früherer Jahrhunderte wurde hier längſt zu einem Park- und 24

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/387>, abgerufen am 17.06.2024.