Wir sind mit voller Gunst des Windes eine Stunde gefah- ren und die letzten Werder- und Inselgruppen liegen hinter uns. Mit halb eingezogenen Segeln biegen wir eben um eine vorsprin- gende Waldecke herum in die volle Stromesbreite hinein, als wir in der Entfernung einer guten Viertelmeile einer Landzunge an- sichtig werden, die von der linken Uferseite her weit in den Fluß hinein ragt und die Hälfte seines Bettes dämmt und absperrt. Die Landzunge ist nicht flach, sondern ein hoher Sanddamm, ein Molo, der auf seinem Rücken niedrige Tannenbäume, an seiner vordersten Spitze aber ein grauschwarzes, wunderliches Bildwerk trägt, das halb an Telegraphenpfosten, halb an Fabrikschornsteine mahnt und doch durch allerhand Schnörkel und Ornamente keinen Zweifel darüber läßt, daß es keines von beiden sei.
Wir haben uns inzwischen der Landzunge mehr und mehr genähert und die Formen nehmen bestimmtere Gestalt an. Wir erkennen deutlich eine Säule, die in der Mitte ihres Schaftes einen Schild und auf der Höhe des Ganzen ein Kreuz trägt. Unser Boot legt an und wir erklimmen den Damm, der nach vorn hin ziemlich abschüssig in den Fluß fällt. Dieser Vorsprung, die hohe Sandklippe, auf der wir uns nunmehr befinden, ist das Ziel unserer Reise, "das Schildhorn." Der Vorgang, der ihm diesen Namen gab, ist der folgende.
Brennibor (Brandenburg) war endlich nach langer Belage- rung von Albrecht dem Bären erstürmt und das Wendenthum, seit lange von der Elbe zurückgedrängt, schien auch das Havelland nicht länger halten zu können. Aber Jaczko, der Wendenfürst, war wenigstens gewillt, die alten Sitze seiner Väter nicht ohne Schwert- streich aufzugeben, und noch einmal sammelte er die Seinen zum Kampf. Bei Spandau kam es zu einer letzten Schlacht. Jaczko unterlag, und hinfliehend am rechten Havelufer, von den sieges- trunkenen Deutschen verfolgt, sah er kein anderes Heil mehr, als den Fluß und das jenseitige Ufer. Gegenüber dem jetzigen Schild- horn, wo die weit vorspringende Landzunge die Breite der Havel fast halbirt, gab er seinem Pferd die Sporen und setzte in den
Wir ſind mit voller Gunſt des Windes eine Stunde gefah- ren und die letzten Werder- und Inſelgruppen liegen hinter uns. Mit halb eingezogenen Segeln biegen wir eben um eine vorſprin- gende Waldecke herum in die volle Stromesbreite hinein, als wir in der Entfernung einer guten Viertelmeile einer Landzunge an- ſichtig werden, die von der linken Uferſeite her weit in den Fluß hinein ragt und die Hälfte ſeines Bettes dämmt und abſperrt. Die Landzunge iſt nicht flach, ſondern ein hoher Sanddamm, ein Molo, der auf ſeinem Rücken niedrige Tannenbäume, an ſeiner vorderſten Spitze aber ein grauſchwarzes, wunderliches Bildwerk trägt, das halb an Telegraphenpfoſten, halb an Fabrikſchornſteine mahnt und doch durch allerhand Schnörkel und Ornamente keinen Zweifel darüber läßt, daß es keines von beiden ſei.
Wir haben uns inzwiſchen der Landzunge mehr und mehr genähert und die Formen nehmen beſtimmtere Geſtalt an. Wir erkennen deutlich eine Säule, die in der Mitte ihres Schaftes einen Schild und auf der Höhe des Ganzen ein Kreuz trägt. Unſer Boot legt an und wir erklimmen den Damm, der nach vorn hin ziemlich abſchüſſig in den Fluß fällt. Dieſer Vorſprung, die hohe Sandklippe, auf der wir uns nunmehr befinden, iſt das Ziel unſerer Reiſe, „das Schildhorn.“ Der Vorgang, der ihm dieſen Namen gab, iſt der folgende.
Brennibor (Brandenburg) war endlich nach langer Belage- rung von Albrecht dem Bären erſtürmt und das Wendenthum, ſeit lange von der Elbe zurückgedrängt, ſchien auch das Havelland nicht länger halten zu können. Aber Jaczko, der Wendenfürſt, war wenigſtens gewillt, die alten Sitze ſeiner Väter nicht ohne Schwert- ſtreich aufzugeben, und noch einmal ſammelte er die Seinen zum Kampf. Bei Spandau kam es zu einer letzten Schlacht. Jaczko unterlag, und hinfliehend am rechten Havelufer, von den ſieges- trunkenen Deutſchen verfolgt, ſah er kein anderes Heil mehr, als den Fluß und das jenſeitige Ufer. Gegenüber dem jetzigen Schild- horn, wo die weit vorſpringende Landzunge die Breite der Havel faſt halbirt, gab er ſeinem Pferd die Sporen und ſetzte in den
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Wir ſind mit voller Gunſt des Windes eine Stunde gefah-
ren und die letzten Werder- und Inſelgruppen liegen hinter uns.
Mit halb eingezogenen Segeln biegen wir eben um eine vorſprin-
gende Waldecke herum in die volle Stromesbreite hinein, als wir
in der Entfernung einer guten Viertelmeile einer Landzunge an-
ſichtig werden, die von der linken Uferſeite her weit in den Fluß
hinein ragt und die Hälfte ſeines Bettes dämmt und abſperrt.
Die Landzunge iſt nicht flach, ſondern ein hoher Sanddamm, ein
Molo, der auf ſeinem Rücken niedrige Tannenbäume, an ſeiner
vorderſten Spitze aber ein grauſchwarzes, wunderliches Bildwerk
trägt, das halb an Telegraphenpfoſten, halb an Fabrikſchornſteine
mahnt und doch durch allerhand Schnörkel und Ornamente keinen
Zweifel darüber läßt, daß es keines von beiden ſei.
Wir haben uns inzwiſchen der Landzunge mehr und mehr
genähert und die Formen nehmen beſtimmtere Geſtalt an. Wir
erkennen deutlich eine Säule, die in der Mitte ihres Schaftes
einen Schild und auf der Höhe des Ganzen ein Kreuz trägt.
Unſer Boot legt an und wir erklimmen den Damm, der nach
vorn hin ziemlich abſchüſſig in den Fluß fällt. Dieſer Vorſprung,
die hohe Sandklippe, auf der wir uns nunmehr befinden, iſt das
Ziel unſerer Reiſe, „das Schildhorn.“ Der Vorgang, der ihm
dieſen Namen gab, iſt der folgende.
Brennibor (Brandenburg) war endlich nach langer Belage-
rung von Albrecht dem Bären erſtürmt und das Wendenthum,
ſeit lange von der Elbe zurückgedrängt, ſchien auch das Havelland
nicht länger halten zu können. Aber Jaczko, der Wendenfürſt, war
wenigſtens gewillt, die alten Sitze ſeiner Väter nicht ohne Schwert-
ſtreich aufzugeben, und noch einmal ſammelte er die Seinen zum
Kampf. Bei Spandau kam es zu einer letzten Schlacht. Jaczko
unterlag, und hinfliehend am rechten Havelufer, von den ſieges-
trunkenen Deutſchen verfolgt, ſah er kein anderes Heil mehr, als
den Fluß und das jenſeitige Ufer. Gegenüber dem jetzigen Schild-
horn, wo die weit vorſpringende Landzunge die Breite der Havel
faſt halbirt, gab er ſeinem Pferd die Sporen und ſetzte in den
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/398>, abgerufen am 23.11.2024.
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