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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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ist ein moderner Bau aus den letzten Jahren des vorigen Jahr-
hunderts. Nach der Gartenseite hin hat es einen halbkreisförmigen,
von hohen ionischen Säulen getragenen Vorbau, der dem Ganzen
etwas Stattliches leiht. Die Auffahrt auf den sehr geräumigen
Hof erfolgt durch ein altes Sandsteinportal, das nach außen hin
einen Medusenkopf und auf diesem eine Minerva zeigt. Die Leute
im Dorf betrachten den Medusenkopf als das Portrait eines hart-
herzigen Vorbesitzers, der schließlich von den Schlangen verzehrt
worden sei. *)

Das alte Schloß, in unmittelbarer Nähe des jetzigen

*) Nichts scheint die Phantasie des Volks so anzuregen und in ge-
wissem Sinne so schöpferisch zu stimmen als der Anblick von Kunstwerken,
die es nicht versteht. Es ruht nicht eher, als bis es eine Deutung ge-
funden hat, wobei es zugleich eine Neigung und ein Geschick zeigt, schon
vorhandene Sagen dem gegebenen, räthselhaften Etwas anzupassen. Der
Kopf am Panzer des großen Kurfürsten hat zu der schönen Sage vom
geretteten Dorfkind Veranlassung gegeben, die ich am Schluß des Kapitels
"Fehrbellin" (S. 170) erzählt habe; -- ähnliches gilt von der "Adonis-
Statue mit dem Eberkopf" im Schloßpark zu Coepenick. Die Sage, die
sich daran knüpft, ist folgende: Einem Jäger Joachims II. träumt, er werde
am andren Tage von einem Eber getödtet werden. Er erzählt seinen
Traum am andren Morgen und man läßt ihn im Schloß zurück. Die
andren kehren mit reicher Jagdbeute heim, darunter ein todter Eber. Der
zurückgebliebene Jäger packt jetzt den todten Eber, um ihn in die Küche
zu ziehn, fällt dabei und reißt sich an einem der Hauer den Schenkel auf.
Daran stirbt er andren Tags. Diese Geschichte mag sich einmal ereignet
haben, irgendwo vielleicht, aber schwerlich in Coepenick, und sie würde
über das alte Sprec-Schloß immer hinweggezogen sein, wenn nicht beim
Neubau des Schlosses die Errichtung der Adonis-Statue (mit dem Eber-
kopf) die Sage plötzlich fixirt und ihr Anlehnung und eine neue Heimath
geboten hätte. So kommt es, daß man an den verschiedensten Orten den-
selben Geschichten begegnet; die meisten dieser Orte sind gleichsam nur
Filiale und der Mutter-Sagenort ist oft schwer zu bestimmen. -- Der
Medusenkopf am Portal alter Schlösser hat gewiß schon oft als schlangen-
umwundnes Porträt hartherziger Schloßherrn gelten müssen und der alte
Herr von Hake hat, zweifellos, Kameraden in allen Ländern. Der Satz,
den ich aufstellen möchte, ist der: das Volk hat eine Neigung Allge-
meines zu lokalisiren
, sobald gewisse Bedingungen erfüllt, gewisse
äußerliche Anhaltepunkte für diese Lokalisirung gegeben sind.
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iſt ein moderner Bau aus den letzten Jahren des vorigen Jahr-
hunderts. Nach der Gartenſeite hin hat es einen halbkreisförmigen,
von hohen ioniſchen Säulen getragenen Vorbau, der dem Ganzen
etwas Stattliches leiht. Die Auffahrt auf den ſehr geräumigen
Hof erfolgt durch ein altes Sandſteinportal, das nach außen hin
einen Meduſenkopf und auf dieſem eine Minerva zeigt. Die Leute
im Dorf betrachten den Meduſenkopf als das Portrait eines hart-
herzigen Vorbeſitzers, der ſchließlich von den Schlangen verzehrt
worden ſei. *)

Das alte Schloß, in unmittelbarer Nähe des jetzigen

*) Nichts ſcheint die Phantaſie des Volks ſo anzuregen und in ge-
wiſſem Sinne ſo ſchöpferiſch zu ſtimmen als der Anblick von Kunſtwerken,
die es nicht verſteht. Es ruht nicht eher, als bis es eine Deutung ge-
funden hat, wobei es zugleich eine Neigung und ein Geſchick zeigt, ſchon
vorhandene Sagen dem gegebenen, räthſelhaften Etwas anzupaſſen. Der
Kopf am Panzer des großen Kurfürſten hat zu der ſchönen Sage vom
geretteten Dorfkind Veranlaſſung gegeben, die ich am Schluß des Kapitels
„Fehrbellin“ (S. 170) erzählt habe; — ähnliches gilt von der „Adonis-
Statue mit dem Eberkopf“ im Schloßpark zu Coepenick. Die Sage, die
ſich daran knüpft, iſt folgende: Einem Jäger Joachims II. träumt, er werde
am andren Tage von einem Eber getödtet werden. Er erzählt ſeinen
Traum am andren Morgen und man läßt ihn im Schloß zurück. Die
andren kehren mit reicher Jagdbeute heim, darunter ein todter Eber. Der
zurückgebliebene Jäger packt jetzt den todten Eber, um ihn in die Küche
zu ziehn, fällt dabei und reißt ſich an einem der Hauer den Schenkel auf.
Daran ſtirbt er andren Tags. Dieſe Geſchichte mag ſich einmal ereignet
haben, irgendwo vielleicht, aber ſchwerlich in Coepenick, und ſie würde
über das alte Sprec-Schloß immer hinweggezogen ſein, wenn nicht beim
Neubau des Schloſſes die Errichtung der Adonis-Statue (mit dem Eber-
kopf) die Sage plötzlich fixirt und ihr Anlehnung und eine neue Heimath
geboten hätte. So kommt es, daß man an den verſchiedenſten Orten den-
ſelben Geſchichten begegnet; die meiſten dieſer Orte ſind gleichſam nur
Filiale und der Mutter-Sagenort iſt oft ſchwer zu beſtimmen. — Der
Meduſenkopf am Portal alter Schlöſſer hat gewiß ſchon oft als ſchlangen-
umwundnes Porträt hartherziger Schloßherrn gelten müſſen und der alte
Herr von Hake hat, zweifellos, Kameraden in allen Ländern. Der Satz,
den ich aufſtellen möchte, iſt der: das Volk hat eine Neigung Allge-
meines zu lokaliſiren
, ſobald gewiſſe Bedingungen erfüllt, gewiſſe
äußerliche Anhaltepunkte für dieſe Lokaliſirung gegeben ſind.
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[387/0405] iſt ein moderner Bau aus den letzten Jahren des vorigen Jahr- hunderts. Nach der Gartenſeite hin hat es einen halbkreisförmigen, von hohen ioniſchen Säulen getragenen Vorbau, der dem Ganzen etwas Stattliches leiht. Die Auffahrt auf den ſehr geräumigen Hof erfolgt durch ein altes Sandſteinportal, das nach außen hin einen Meduſenkopf und auf dieſem eine Minerva zeigt. Die Leute im Dorf betrachten den Meduſenkopf als das Portrait eines hart- herzigen Vorbeſitzers, der ſchließlich von den Schlangen verzehrt worden ſei. *) Das alte Schloß, in unmittelbarer Nähe des jetzigen *) Nichts ſcheint die Phantaſie des Volks ſo anzuregen und in ge- wiſſem Sinne ſo ſchöpferiſch zu ſtimmen als der Anblick von Kunſtwerken, die es nicht verſteht. Es ruht nicht eher, als bis es eine Deutung ge- funden hat, wobei es zugleich eine Neigung und ein Geſchick zeigt, ſchon vorhandene Sagen dem gegebenen, räthſelhaften Etwas anzupaſſen. Der Kopf am Panzer des großen Kurfürſten hat zu der ſchönen Sage vom geretteten Dorfkind Veranlaſſung gegeben, die ich am Schluß des Kapitels „Fehrbellin“ (S. 170) erzählt habe; — ähnliches gilt von der „Adonis- Statue mit dem Eberkopf“ im Schloßpark zu Coepenick. Die Sage, die ſich daran knüpft, iſt folgende: Einem Jäger Joachims II. träumt, er werde am andren Tage von einem Eber getödtet werden. Er erzählt ſeinen Traum am andren Morgen und man läßt ihn im Schloß zurück. Die andren kehren mit reicher Jagdbeute heim, darunter ein todter Eber. Der zurückgebliebene Jäger packt jetzt den todten Eber, um ihn in die Küche zu ziehn, fällt dabei und reißt ſich an einem der Hauer den Schenkel auf. Daran ſtirbt er andren Tags. Dieſe Geſchichte mag ſich einmal ereignet haben, irgendwo vielleicht, aber ſchwerlich in Coepenick, und ſie würde über das alte Sprec-Schloß immer hinweggezogen ſein, wenn nicht beim Neubau des Schloſſes die Errichtung der Adonis-Statue (mit dem Eber- kopf) die Sage plötzlich fixirt und ihr Anlehnung und eine neue Heimath geboten hätte. So kommt es, daß man an den verſchiedenſten Orten den- ſelben Geſchichten begegnet; die meiſten dieſer Orte ſind gleichſam nur Filiale und der Mutter-Sagenort iſt oft ſchwer zu beſtimmen. — Der Meduſenkopf am Portal alter Schlöſſer hat gewiß ſchon oft als ſchlangen- umwundnes Porträt hartherziger Schloßherrn gelten müſſen und der alte Herr von Hake hat, zweifellos, Kameraden in allen Ländern. Der Satz, den ich aufſtellen möchte, iſt der: das Volk hat eine Neigung Allge- meines zu lokaliſiren, ſobald gewiſſe Bedingungen erfüllt, gewiſſe äußerliche Anhaltepunkte für dieſe Lokaliſirung gegeben ſind. 25*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/405>, abgerufen am 23.11.2024.