Gartens ragen wie schwarze Schatten vor dem letzten Streifen der Abendröthe auf, und die stillen Luftwellen ziehen langsam über die Levkoyen-Beete hin und tragen den Duft bis zur Gartentreppe hinauf. "Wie schön es bei Ihnen ist" -- ruft der König mit einem Gefühl von Glück und Behagen, als bade er sich in der duftigen Stille dieses Abends.
Aber die Frische wird allmählich zur Kühle, ein leises Frö- steln durchrieselt das Blut, und der hell erleuchtete Gartensaal nimmt die hohen Gäste auf. "Was lesen wir heut?" so ergeht die Frage des Königs, der, ohne die Antwort abzuwarten, mit geho- bener Stimme fortfährt: "Wir sitzen hier unterm gastlichen Dach eines uralten märkischen Hauses; alte Geschlechter haben ihre Ge- schichte; Ehre, dem Ehre gebührt; hören wir ein Capitel aus der Geschichte der Goertzke's."
Der Vorleser verbeugt sich und rückt an den Tisch, während der König Papier und Bleistift ergreift, wie er immer zu thun pflegt, wenn das Vorlesen beginnt. Beschämt und gehoben zugleich sitzen die Goertzke's umher und horchen auf jedes Wort. Sie kennen Alles, aber das Bekannteste selbst klingt heute neu und anders in ihrem Ohr, wo der König dem Berichte lauscht.
Von ihrem Elternvater wird gelesen, vom Joachim Ernst v. Goertzke, vom "alten Goertzke" par excellence. Nichts wird vergessen: wie er als Page Marie Eleonoren's (der brandenburgi- schen Prinzessin, die sich dem Gustav Adolf vermählte) in schwedi- sche Dienste kam; wie er unter dem Schwedenkönig bei Leipzig focht; wie ihn die Kaiserlichen bei Lützen zum Hinkefuß und Krüp- pel schossen; wie ihm das alte märkische Herz endlich wieder leben- dig wurde und er zurücktrat in kurbrandenburgischen Dienst. Und weiter dann: wie er ein großer Feldoberst wurde an Oder und Weichsel, am Rhein und Rhin; wie er bei Rathenow und Fehr- bellin dem alten Feldmarschall Wrangel, dem "Gustav Wrangel" zeigte, daß aus dem Schüler ein Meister geworden sei; wie er trotz Krücke und Hinkefuß doch fest genug stand, um die Schweden über das Eis des kurischen Haffs zu jagen, und wie der Kurfürst,
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Gartens ragen wie ſchwarze Schatten vor dem letzten Streifen der Abendröthe auf, und die ſtillen Luftwellen ziehen langſam über die Levkoyen-Beete hin und tragen den Duft bis zur Gartentreppe hinauf. „Wie ſchön es bei Ihnen iſt“ — ruft der König mit einem Gefühl von Glück und Behagen, als bade er ſich in der duftigen Stille dieſes Abends.
Aber die Friſche wird allmählich zur Kühle, ein leiſes Frö- ſteln durchrieſelt das Blut, und der hell erleuchtete Gartenſaal nimmt die hohen Gäſte auf. „Was leſen wir heut?“ ſo ergeht die Frage des Königs, der, ohne die Antwort abzuwarten, mit geho- bener Stimme fortfährt: „Wir ſitzen hier unterm gaſtlichen Dach eines uralten märkiſchen Hauſes; alte Geſchlechter haben ihre Ge- ſchichte; Ehre, dem Ehre gebührt; hören wir ein Capitel aus der Geſchichte der Goertzke’s.“
Der Vorleſer verbeugt ſich und rückt an den Tiſch, während der König Papier und Bleiſtift ergreift, wie er immer zu thun pflegt, wenn das Vorleſen beginnt. Beſchämt und gehoben zugleich ſitzen die Goertzke’s umher und horchen auf jedes Wort. Sie kennen Alles, aber das Bekannteſte ſelbſt klingt heute neu und anders in ihrem Ohr, wo der König dem Berichte lauſcht.
Von ihrem Elternvater wird geleſen, vom Joachim Ernſt v. Goertzke, vom „alten Goertzke“ par excellence. Nichts wird vergeſſen: wie er als Page Marie Eleonoren’s (der brandenburgi- ſchen Prinzeſſin, die ſich dem Guſtav Adolf vermählte) in ſchwedi- ſche Dienſte kam; wie er unter dem Schwedenkönig bei Leipzig focht; wie ihn die Kaiſerlichen bei Lützen zum Hinkefuß und Krüp- pel ſchoſſen; wie ihm das alte märkiſche Herz endlich wieder leben- dig wurde und er zurücktrat in kurbrandenburgiſchen Dienſt. Und weiter dann: wie er ein großer Feldoberſt wurde an Oder und Weichſel, am Rhein und Rhin; wie er bei Rathenow und Fehr- bellin dem alten Feldmarſchall Wrangel, dem „Guſtav Wrangel“ zeigte, daß aus dem Schüler ein Meiſter geworden ſei; wie er trotz Krücke und Hinkefuß doch feſt genug ſtand, um die Schweden über das Eis des kuriſchen Haffs zu jagen, und wie der Kurfürſt,
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Gartens ragen wie ſchwarze Schatten vor dem letzten Streifen der
Abendröthe auf, und die ſtillen Luftwellen ziehen langſam über
die Levkoyen-Beete hin und tragen den Duft bis zur Gartentreppe
hinauf. „Wie ſchön es bei Ihnen iſt“ — ruft der König mit
einem Gefühl von Glück und Behagen, als bade er ſich in der
duftigen Stille dieſes Abends.
Aber die Friſche wird allmählich zur Kühle, ein leiſes Frö-
ſteln durchrieſelt das Blut, und der hell erleuchtete Gartenſaal
nimmt die hohen Gäſte auf. „Was leſen wir heut?“ ſo ergeht die
Frage des Königs, der, ohne die Antwort abzuwarten, mit geho-
bener Stimme fortfährt: „Wir ſitzen hier unterm gaſtlichen Dach
eines uralten märkiſchen Hauſes; alte Geſchlechter haben ihre Ge-
ſchichte; Ehre, dem Ehre gebührt; hören wir ein Capitel aus der
Geſchichte der Goertzke’s.“
Der Vorleſer verbeugt ſich und rückt an den Tiſch, während
der König Papier und Bleiſtift ergreift, wie er immer zu thun
pflegt, wenn das Vorleſen beginnt. Beſchämt und gehoben zugleich
ſitzen die Goertzke’s umher und horchen auf jedes Wort. Sie
kennen Alles, aber das Bekannteſte ſelbſt klingt heute neu und
anders in ihrem Ohr, wo der König dem Berichte lauſcht.
Von ihrem Elternvater wird geleſen, vom Joachim Ernſt
v. Goertzke, vom „alten Goertzke“ par excellence. Nichts wird
vergeſſen: wie er als Page Marie Eleonoren’s (der brandenburgi-
ſchen Prinzeſſin, die ſich dem Guſtav Adolf vermählte) in ſchwedi-
ſche Dienſte kam; wie er unter dem Schwedenkönig bei Leipzig
focht; wie ihn die Kaiſerlichen bei Lützen zum Hinkefuß und Krüp-
pel ſchoſſen; wie ihm das alte märkiſche Herz endlich wieder leben-
dig wurde und er zurücktrat in kurbrandenburgiſchen Dienſt. Und
weiter dann: wie er ein großer Feldoberſt wurde an Oder und
Weichſel, am Rhein und Rhin; wie er bei Rathenow und Fehr-
bellin dem alten Feldmarſchall Wrangel, dem „Guſtav Wrangel“
zeigte, daß aus dem Schüler ein Meiſter geworden ſei; wie er
trotz Krücke und Hinkefuß doch feſt genug ſtand, um die Schweden
über das Eis des kuriſchen Haffs zu jagen, und wie der Kurfürſt,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/437>, abgerufen am 23.11.2024.
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