Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

Gartens ragen wie schwarze Schatten vor dem letzten Streifen der
Abendröthe auf, und die stillen Luftwellen ziehen langsam über
die Levkoyen-Beete hin und tragen den Duft bis zur Gartentreppe
hinauf. "Wie schön es bei Ihnen ist" -- ruft der König mit
einem Gefühl von Glück und Behagen, als bade er sich in der
duftigen Stille dieses Abends.

Aber die Frische wird allmählich zur Kühle, ein leises Frö-
steln durchrieselt das Blut, und der hell erleuchtete Gartensaal
nimmt die hohen Gäste auf. "Was lesen wir heut?" so ergeht die
Frage des Königs, der, ohne die Antwort abzuwarten, mit geho-
bener Stimme fortfährt: "Wir sitzen hier unterm gastlichen Dach
eines uralten märkischen Hauses; alte Geschlechter haben ihre Ge-
schichte; Ehre, dem Ehre gebührt; hören wir ein Capitel aus der
Geschichte der Goertzke's."

Der Vorleser verbeugt sich und rückt an den Tisch, während
der König Papier und Bleistift ergreift, wie er immer zu thun
pflegt, wenn das Vorlesen beginnt. Beschämt und gehoben zugleich
sitzen die Goertzke's umher und horchen auf jedes Wort. Sie
kennen Alles, aber das Bekannteste selbst klingt heute neu und
anders in ihrem Ohr, wo der König dem Berichte lauscht.

Von ihrem Elternvater wird gelesen, vom Joachim Ernst
v. Goertzke
, vom "alten Goertzke" par excellence. Nichts wird
vergessen: wie er als Page Marie Eleonoren's (der brandenburgi-
schen Prinzessin, die sich dem Gustav Adolf vermählte) in schwedi-
sche Dienste kam; wie er unter dem Schwedenkönig bei Leipzig
focht; wie ihn die Kaiserlichen bei Lützen zum Hinkefuß und Krüp-
pel schossen; wie ihm das alte märkische Herz endlich wieder leben-
dig wurde und er zurücktrat in kurbrandenburgischen Dienst. Und
weiter dann: wie er ein großer Feldoberst wurde an Oder und
Weichsel, am Rhein und Rhin; wie er bei Rathenow und Fehr-
bellin dem alten Feldmarschall Wrangel, dem "Gustav Wrangel"
zeigte, daß aus dem Schüler ein Meister geworden sei; wie er
trotz Krücke und Hinkefuß doch fest genug stand, um die Schweden
über das Eis des kurischen Haffs zu jagen, und wie der Kurfürst,

27*

Gartens ragen wie ſchwarze Schatten vor dem letzten Streifen der
Abendröthe auf, und die ſtillen Luftwellen ziehen langſam über
die Levkoyen-Beete hin und tragen den Duft bis zur Gartentreppe
hinauf. „Wie ſchön es bei Ihnen iſt“ — ruft der König mit
einem Gefühl von Glück und Behagen, als bade er ſich in der
duftigen Stille dieſes Abends.

Aber die Friſche wird allmählich zur Kühle, ein leiſes Frö-
ſteln durchrieſelt das Blut, und der hell erleuchtete Gartenſaal
nimmt die hohen Gäſte auf. „Was leſen wir heut?“ ſo ergeht die
Frage des Königs, der, ohne die Antwort abzuwarten, mit geho-
bener Stimme fortfährt: „Wir ſitzen hier unterm gaſtlichen Dach
eines uralten märkiſchen Hauſes; alte Geſchlechter haben ihre Ge-
ſchichte; Ehre, dem Ehre gebührt; hören wir ein Capitel aus der
Geſchichte der Goertzke’s.“

Der Vorleſer verbeugt ſich und rückt an den Tiſch, während
der König Papier und Bleiſtift ergreift, wie er immer zu thun
pflegt, wenn das Vorleſen beginnt. Beſchämt und gehoben zugleich
ſitzen die Goertzke’s umher und horchen auf jedes Wort. Sie
kennen Alles, aber das Bekannteſte ſelbſt klingt heute neu und
anders in ihrem Ohr, wo der König dem Berichte lauſcht.

Von ihrem Elternvater wird geleſen, vom Joachim Ernſt
v. Goertzke
, vom „alten Goertzke“ par excellence. Nichts wird
vergeſſen: wie er als Page Marie Eleonoren’s (der brandenburgi-
ſchen Prinzeſſin, die ſich dem Guſtav Adolf vermählte) in ſchwedi-
ſche Dienſte kam; wie er unter dem Schwedenkönig bei Leipzig
focht; wie ihn die Kaiſerlichen bei Lützen zum Hinkefuß und Krüp-
pel ſchoſſen; wie ihm das alte märkiſche Herz endlich wieder leben-
dig wurde und er zurücktrat in kurbrandenburgiſchen Dienſt. Und
weiter dann: wie er ein großer Feldoberſt wurde an Oder und
Weichſel, am Rhein und Rhin; wie er bei Rathenow und Fehr-
bellin dem alten Feldmarſchall Wrangel, dem „Guſtav Wrangel“
zeigte, daß aus dem Schüler ein Meiſter geworden ſei; wie er
trotz Krücke und Hinkefuß doch feſt genug ſtand, um die Schweden
über das Eis des kuriſchen Haffs zu jagen, und wie der Kurfürſt,

27*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0437" n="419"/>
Gartens ragen wie &#x017F;chwarze Schatten vor dem letzten Streifen der<lb/>
Abendröthe auf, und die &#x017F;tillen Luftwellen ziehen lang&#x017F;am über<lb/>
die Levkoyen-Beete hin und tragen den Duft bis zur Gartentreppe<lb/>
hinauf. &#x201E;Wie &#x017F;chön es bei Ihnen i&#x017F;t&#x201C; &#x2014; ruft der <hi rendition="#g">König</hi> mit<lb/>
einem Gefühl von Glück und Behagen, als bade er &#x017F;ich in der<lb/>
duftigen Stille die&#x017F;es Abends.</p><lb/>
          <p>Aber die Fri&#x017F;che wird allmählich zur Kühle, ein lei&#x017F;es Frö-<lb/>
&#x017F;teln durchrie&#x017F;elt das Blut, und der hell erleuchtete Garten&#x017F;aal<lb/>
nimmt die hohen Gä&#x017F;te auf. &#x201E;Was le&#x017F;en wir heut?&#x201C; &#x017F;o ergeht die<lb/>
Frage des Königs, der, ohne die Antwort abzuwarten, mit geho-<lb/>
bener Stimme fortfährt: &#x201E;Wir &#x017F;itzen hier unterm ga&#x017F;tlichen Dach<lb/>
eines uralten märki&#x017F;chen Hau&#x017F;es; alte Ge&#x017F;chlechter haben ihre Ge-<lb/>
&#x017F;chichte; Ehre, dem Ehre gebührt; hören wir ein Capitel aus der<lb/>
Ge&#x017F;chichte der <hi rendition="#g">Goertzke</hi>&#x2019;s.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der Vorle&#x017F;er verbeugt &#x017F;ich und rückt an den Ti&#x017F;ch, während<lb/>
der König Papier und Blei&#x017F;tift ergreift, wie er immer zu thun<lb/>
pflegt, wenn das Vorle&#x017F;en beginnt. Be&#x017F;chämt und gehoben zugleich<lb/>
&#x017F;itzen die <hi rendition="#g">Goertzke</hi>&#x2019;s umher und horchen auf jedes Wort. Sie<lb/>
kennen Alles, aber das Bekannte&#x017F;te &#x017F;elb&#x017F;t klingt heute neu und<lb/>
anders in ihrem Ohr, wo der <hi rendition="#g">König</hi> dem Berichte lau&#x017F;cht.</p><lb/>
          <p>Von ihrem Elternvater wird gele&#x017F;en, vom <hi rendition="#g">Joachim Ern&#x017F;t<lb/>
v. Goertzke</hi>, vom &#x201E;alten Goertzke&#x201C; <hi rendition="#aq">par excellence.</hi> Nichts wird<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;en: wie er als Page Marie Eleonoren&#x2019;s (der brandenburgi-<lb/>
&#x017F;chen Prinze&#x017F;&#x017F;in, die &#x017F;ich dem Gu&#x017F;tav Adolf vermählte) in &#x017F;chwedi-<lb/>
&#x017F;che Dien&#x017F;te kam; wie er unter dem Schwedenkönig bei Leipzig<lb/>
focht; wie ihn die Kai&#x017F;erlichen bei Lützen zum Hinkefuß und Krüp-<lb/>
pel &#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en; wie ihm das alte märki&#x017F;che Herz endlich wieder leben-<lb/>
dig wurde und er zurücktrat in kurbrandenburgi&#x017F;chen Dien&#x017F;t. Und<lb/>
weiter dann: wie er ein großer Feldober&#x017F;t wurde an Oder und<lb/>
Weich&#x017F;el, am Rhein und Rhin; wie er bei Rathenow und Fehr-<lb/>
bellin dem alten Feldmar&#x017F;chall Wrangel, dem &#x201E;Gu&#x017F;tav Wrangel&#x201C;<lb/>
zeigte, daß aus dem Schüler ein Mei&#x017F;ter geworden &#x017F;ei; wie er<lb/>
trotz Krücke und Hinkefuß doch fe&#x017F;t genug &#x017F;tand, um die Schweden<lb/>
über das Eis des kuri&#x017F;chen Haffs zu jagen, und wie der Kurfür&#x017F;t,<lb/>
<fw type="sig" place="bottom">27*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[419/0437] Gartens ragen wie ſchwarze Schatten vor dem letzten Streifen der Abendröthe auf, und die ſtillen Luftwellen ziehen langſam über die Levkoyen-Beete hin und tragen den Duft bis zur Gartentreppe hinauf. „Wie ſchön es bei Ihnen iſt“ — ruft der König mit einem Gefühl von Glück und Behagen, als bade er ſich in der duftigen Stille dieſes Abends. Aber die Friſche wird allmählich zur Kühle, ein leiſes Frö- ſteln durchrieſelt das Blut, und der hell erleuchtete Gartenſaal nimmt die hohen Gäſte auf. „Was leſen wir heut?“ ſo ergeht die Frage des Königs, der, ohne die Antwort abzuwarten, mit geho- bener Stimme fortfährt: „Wir ſitzen hier unterm gaſtlichen Dach eines uralten märkiſchen Hauſes; alte Geſchlechter haben ihre Ge- ſchichte; Ehre, dem Ehre gebührt; hören wir ein Capitel aus der Geſchichte der Goertzke’s.“ Der Vorleſer verbeugt ſich und rückt an den Tiſch, während der König Papier und Bleiſtift ergreift, wie er immer zu thun pflegt, wenn das Vorleſen beginnt. Beſchämt und gehoben zugleich ſitzen die Goertzke’s umher und horchen auf jedes Wort. Sie kennen Alles, aber das Bekannteſte ſelbſt klingt heute neu und anders in ihrem Ohr, wo der König dem Berichte lauſcht. Von ihrem Elternvater wird geleſen, vom Joachim Ernſt v. Goertzke, vom „alten Goertzke“ par excellence. Nichts wird vergeſſen: wie er als Page Marie Eleonoren’s (der brandenburgi- ſchen Prinzeſſin, die ſich dem Guſtav Adolf vermählte) in ſchwedi- ſche Dienſte kam; wie er unter dem Schwedenkönig bei Leipzig focht; wie ihn die Kaiſerlichen bei Lützen zum Hinkefuß und Krüp- pel ſchoſſen; wie ihm das alte märkiſche Herz endlich wieder leben- dig wurde und er zurücktrat in kurbrandenburgiſchen Dienſt. Und weiter dann: wie er ein großer Feldoberſt wurde an Oder und Weichſel, am Rhein und Rhin; wie er bei Rathenow und Fehr- bellin dem alten Feldmarſchall Wrangel, dem „Guſtav Wrangel“ zeigte, daß aus dem Schüler ein Meiſter geworden ſei; wie er trotz Krücke und Hinkefuß doch feſt genug ſtand, um die Schweden über das Eis des kuriſchen Haffs zu jagen, und wie der Kurfürſt, 27*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/437
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/437>, abgerufen am 23.11.2024.