classe, aber nichts ist in Ordnung." "So", -- brummelt der Alte -- hebt den Augenschirm halb in die Höh', mustert den jungen Aspiranten der Gipsklasse und sagt dann: "J det is ja Herrmann von nebenan." Der Angeredete verbeugt sich zustimmend: "Höre, Herrmann, sage man Muttern, der letzte Käsekuchen war jut; aber vergiß et nich." Die Professoren, längst an Intermezzos dieser und ähnlicher Art gewöhnt, lächeln behaglich, wie wenn sie sagen woll- ten: "Ganz im Stil des Alten." Nur Stabbfuß beißt sich auf die Lippen; denn er erkennt sofort, daß seinem Ansehen eine neue Niederlage bevorsteht. "Na" -- fährt der Alte fort, nachdem er sich inzwischen in seinem riesigen Taschentuche geschnäuzt hat -- "na, Herrmann, Du wist in de Gipsklasse?" "Ja, Herr Director." "Haste denn ooch Lust?" "Ja, Herr Director." "Haste ooch schon gezeechnet?" "Ja, Herr Director." Na, denn zeechne mal 'n Ohr, aber aus'n Kopp. Stabbfuß, jeben Se mal Papier her un'n Bleistift." Stabbfuß gehorcht mit süßsaurem Gesicht. "So, na nu setz' de Dir hier an'n Disch, und zeechenst." Unser Lindenolt setzt sich, zeichnet ein Ohr und überreicht es dem nebenstehenden Stabb- fuß. Dieser, begreiflicherweise in höchst kritischer Laune, beginnt zu mäkeln. "Geben Se mal her", unterbricht ihn der Alte, klappt den grünen Schirm in die Höh, befühlt und bekuckt das Papier von allen vier Seiten und sagt dann: "Stabbfuß, bedenken Se -- aus'n Kopp; det Ohr is jut; schreiben Se ihn man in." So kam Lindenolt in die Gipsklasse.
Und so war der alte Schadow, -- setzen wir hinzu. Ein Zwiespalt ging durch sein Leben und seine Erscheinung; Griechen- thum und Märkerthum hielten sich die Waage oder verbanden sich zu einem wunderbar humoristischen Gemisch. Wenn er in den Saal tapste oder das Taschentuch zog (was viel öfter geschah, als schön war), war er ganz der Sohn seines Vaters Hans Schadow; wenn er den Stift in die Hand nahm, war er das Kind der Grazien. Saalow und Athen erschienen abwechselnd als seine Heimath. Sein Körper und seine Seele lebten mit einander wie Venus und Vulkan. Diese Zwiespältigkeit wurde zuletzt sein Stolz, und er
claſſe, aber nichts iſt in Ordnung.“ „So“, — brummelt der Alte — hebt den Augenſchirm halb in die Höh’, muſtert den jungen Aspiranten der Gipsklaſſe und ſagt dann: „J det is ja Herrmann von nebenan.“ Der Angeredete verbeugt ſich zuſtimmend: „Höre, Herrmann, ſage man Muttern, der letzte Käſekuchen war jut; aber vergiß et nich.“ Die Profeſſoren, längſt an Intermezzos dieſer und ähnlicher Art gewöhnt, lächeln behaglich, wie wenn ſie ſagen woll- ten: „Ganz im Stil des Alten.“ Nur Stabbfuß beißt ſich auf die Lippen; denn er erkennt ſofort, daß ſeinem Anſehen eine neue Niederlage bevorſteht. „Na“ — fährt der Alte fort, nachdem er ſich inzwiſchen in ſeinem rieſigen Taſchentuche geſchnäuzt hat — „na, Herrmann, Du wiſt in de Gipsklaſſe?“ „Ja, Herr Director.“ „Haſte denn ooch Luſt?“ „Ja, Herr Director.“ „Haſte ooch ſchon gezeechnet?“ „Ja, Herr Director.“ Na, denn zeechne mal ’n Ohr, aber aus’n Kopp. Stabbfuß, jeben Se mal Papier her un’n Bleiſtift.“ Stabbfuß gehorcht mit ſüßſaurem Geſicht. „So, na nu ſetz’ de Dir hier an’n Diſch, und zeechenſt.“ Unſer Lindenolt ſetzt ſich, zeichnet ein Ohr und überreicht es dem nebenſtehenden Stabb- fuß. Dieſer, begreiflicherweiſe in höchſt kritiſcher Laune, beginnt zu mäkeln. „Geben Se mal her“, unterbricht ihn der Alte, klappt den grünen Schirm in die Höh, befühlt und bekuckt das Papier von allen vier Seiten und ſagt dann: „Stabbfuß, bedenken Se — aus’n Kopp; det Ohr is jut; ſchreiben Se ihn man in.“ So kam Lindenolt in die Gipsklaſſe.
Und ſo war der alte Schadow, — ſetzen wir hinzu. Ein Zwieſpalt ging durch ſein Leben und ſeine Erſcheinung; Griechen- thum und Märkerthum hielten ſich die Waage oder verbanden ſich zu einem wunderbar humoriſtiſchen Gemiſch. Wenn er in den Saal tapſte oder das Taſchentuch zog (was viel öfter geſchah, als ſchön war), war er ganz der Sohn ſeines Vaters Hans Schadow; wenn er den Stift in die Hand nahm, war er das Kind der Grazien. Saalow und Athen erſchienen abwechſelnd als ſeine Heimath. Sein Körper und ſeine Seele lebten mit einander wie Venus und Vulkan. Dieſe Zwieſpältigkeit wurde zuletzt ſein Stolz, und er
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claſſe, aber nichts iſt in Ordnung.“ „So“, — brummelt der Alte
— hebt den Augenſchirm halb in die Höh’, muſtert den jungen
Aspiranten der Gipsklaſſe und ſagt dann: „J det is ja Herrmann
von nebenan.“ Der Angeredete verbeugt ſich zuſtimmend: „Höre,
Herrmann, ſage man Muttern, der letzte Käſekuchen war jut; aber
vergiß et nich.“ Die Profeſſoren, längſt an Intermezzos dieſer und
ähnlicher Art gewöhnt, lächeln behaglich, wie wenn ſie ſagen woll-
ten: „Ganz im Stil des Alten.“ Nur Stabbfuß beißt ſich auf
die Lippen; denn er erkennt ſofort, daß ſeinem Anſehen eine neue
Niederlage bevorſteht. „Na“ — fährt der Alte fort, nachdem er ſich
inzwiſchen in ſeinem rieſigen Taſchentuche geſchnäuzt hat — „na,
Herrmann, Du wiſt in de Gipsklaſſe?“ „Ja, Herr Director.“
„Haſte denn ooch Luſt?“ „Ja, Herr Director.“ „Haſte ooch ſchon
gezeechnet?“ „Ja, Herr Director.“ Na, denn zeechne mal ’n Ohr,
aber aus’n Kopp. Stabbfuß, jeben Se mal Papier her un’n
Bleiſtift.“ Stabbfuß gehorcht mit ſüßſaurem Geſicht. „So, na nu
ſetz’ de Dir hier an’n Diſch, und zeechenſt.“ Unſer Lindenolt ſetzt
ſich, zeichnet ein Ohr und überreicht es dem nebenſtehenden Stabb-
fuß. Dieſer, begreiflicherweiſe in höchſt kritiſcher Laune, beginnt zu
mäkeln. „Geben Se mal her“, unterbricht ihn der Alte, klappt den
grünen Schirm in die Höh, befühlt und bekuckt das Papier von
allen vier Seiten und ſagt dann: „Stabbfuß, bedenken Se —
aus’n Kopp; det Ohr is jut; ſchreiben Se ihn man in.“ So
kam Lindenolt in die Gipsklaſſe.
Und ſo war der alte Schadow, — ſetzen wir hinzu. Ein
Zwieſpalt ging durch ſein Leben und ſeine Erſcheinung; Griechen-
thum und Märkerthum hielten ſich die Waage oder verbanden ſich
zu einem wunderbar humoriſtiſchen Gemiſch. Wenn er in den Saal
tapſte oder das Taſchentuch zog (was viel öfter geſchah, als ſchön
war), war er ganz der Sohn ſeines Vaters Hans Schadow; wenn
er den Stift in die Hand nahm, war er das Kind der Grazien.
Saalow und Athen erſchienen abwechſelnd als ſeine Heimath.
Sein Körper und ſeine Seele lebten mit einander wie Venus und
Vulkan. Dieſe Zwieſpältigkeit wurde zuletzt ſein Stolz, und er
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/445>, abgerufen am 23.11.2024.
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