und der sogenannte "Wall" schließen sie ein. Nach dem großen Feuer, von dem sie fast ganz verzehrt ward (wie wenn man von einem runden Brot die beiden Kanten übrig läßt) wurde sie in einer Art Residenzstil wieder aufgebaut. Lange, breite Straßen durchschneiden die Stadt, nur unterbrochen durch stattliche Plätze, auf deren Areal unsere Vorvordern selbst wieder kleine Städte er- richtet hätten. Für eine reiche Residenz voller Paläste und hoher Häuser, voll Leben und Verkehr, mag solche Anlage die empfeh- lenswertheste sein; für eine kleine Provinzialstadt aber ist sie bedenk- lich. Sie gleicht einem auf Auswuchs gemachten Staatsrock, in den sich der Betreffende nie hineinwachsen kann. Dadurch entsteht eine Oede und Leere, die zuletzt zu dem Gefühl einer versteinerten Langeweile führt.
Die Billigkeit erheischt hinzuzufügen, daß wir es unglücklich trafen: das Gymnasium hatte Ferien und die Garnison -- Mobil- machung. So fehlten denn die rothen Kragen und Aufschläge, die, etwa wie die zinnoberfarbenen Jacken auf allen Cuypschen Bildern, in unserm farblosen Norden dazu berufen scheinen, der etwas monotonen Landschaft Leben und Frische zu geben. Alles war still und leer; auf dem Schulplatz wurden Betten gesonnt -- es sah aus, als wollten sie die ganze Stadt auffordern, sich schlafen zu legen.
Aber nicht die Oede und Stille der Stadt sollen uns beschäf- tigen, sondern ihre Sehenswürdigkeiten, klein und groß. Treten wir unsre Wanderung an. Vor dem malerisch im Schatten hoher Linden gelegenen Rathhaus, in dessen Erdgeschoß sich auch die Hauptwache befindet, ruht, auf leichter Lafette, eine jüngste Kriegs- trophäe, ein Feldgeschütz, das die Ruppiner Bataillone (die "Vier- undzwanziger") den Dresdner Insurgenten im Kampfe abnahmen, während, weiter abwärts, in Front des stattlichen Gymnasial- Gebäudes (mit seinem Laternenthurm und seiner Inschrift: "Civi- bus aevi futuri") das Bronzebildniß König Friedrich Wilhelm's II. aufragt, das die Stadt ihrem Wohlthäter und Wiedererbauer er- richtete. Es heißt, es sei dies die einzige Statue des Königs im
und der ſogenannte „Wall“ ſchließen ſie ein. Nach dem großen Feuer, von dem ſie faſt ganz verzehrt ward (wie wenn man von einem runden Brot die beiden Kanten übrig läßt) wurde ſie in einer Art Reſidenzſtil wieder aufgebaut. Lange, breite Straßen durchſchneiden die Stadt, nur unterbrochen durch ſtattliche Plätze, auf deren Areal unſere Vorvordern ſelbſt wieder kleine Städte er- richtet hätten. Für eine reiche Reſidenz voller Paläſte und hoher Häuſer, voll Leben und Verkehr, mag ſolche Anlage die empfeh- lenswertheſte ſein; für eine kleine Provinzialſtadt aber iſt ſie bedenk- lich. Sie gleicht einem auf Auswuchs gemachten Staatsrock, in den ſich der Betreffende nie hineinwachſen kann. Dadurch entſteht eine Oede und Leere, die zuletzt zu dem Gefühl einer verſteinerten Langeweile führt.
Die Billigkeit erheiſcht hinzuzufügen, daß wir es unglücklich trafen: das Gymnaſium hatte Ferien und die Garniſon — Mobil- machung. So fehlten denn die rothen Kragen und Aufſchläge, die, etwa wie die zinnoberfarbenen Jacken auf allen Cuypſchen Bildern, in unſerm farbloſen Norden dazu berufen ſcheinen, der etwas monotonen Landſchaft Leben und Friſche zu geben. Alles war ſtill und leer; auf dem Schulplatz wurden Betten geſonnt — es ſah aus, als wollten ſie die ganze Stadt auffordern, ſich ſchlafen zu legen.
Aber nicht die Oede und Stille der Stadt ſollen uns beſchäf- tigen, ſondern ihre Sehenswürdigkeiten, klein und groß. Treten wir unſre Wanderung an. Vor dem maleriſch im Schatten hoher Linden gelegenen Rathhaus, in deſſen Erdgeſchoß ſich auch die Hauptwache befindet, ruht, auf leichter Lafette, eine jüngſte Kriegs- trophäe, ein Feldgeſchütz, das die Ruppiner Bataillone (die „Vier- undzwanziger“) den Dresdner Inſurgenten im Kampfe abnahmen, während, weiter abwärts, in Front des ſtattlichen Gymnaſial- Gebäudes (mit ſeinem Laternenthurm und ſeiner Inſchrift: »Civi- bus aevi futuri«) das Bronzebildniß König Friedrich Wilhelm’s II. aufragt, das die Stadt ihrem Wohlthäter und Wiedererbauer er- richtete. Es heißt, es ſei dies die einzige Statue des Königs im
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und der ſogenannte „Wall“ ſchließen ſie ein. Nach dem großen
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einem runden Brot die beiden Kanten übrig läßt) wurde ſie in
einer Art Reſidenzſtil wieder aufgebaut. Lange, breite Straßen
durchſchneiden die Stadt, nur unterbrochen durch ſtattliche Plätze,
auf deren Areal unſere Vorvordern ſelbſt wieder kleine Städte er-
richtet hätten. Für eine reiche Reſidenz voller Paläſte und hoher
Häuſer, voll Leben und Verkehr, mag ſolche Anlage die empfeh-
lenswertheſte ſein; für eine kleine Provinzialſtadt aber iſt ſie bedenk-
lich. Sie gleicht einem auf Auswuchs gemachten Staatsrock, in
den ſich der Betreffende nie hineinwachſen kann. Dadurch entſteht
eine Oede und Leere, die zuletzt zu dem Gefühl einer verſteinerten
Langeweile führt.
Die Billigkeit erheiſcht hinzuzufügen, daß wir es unglücklich
trafen: das Gymnaſium hatte Ferien und die Garniſon — Mobil-
machung. So fehlten denn die rothen Kragen und Aufſchläge,
die, etwa wie die zinnoberfarbenen Jacken auf allen Cuypſchen
Bildern, in unſerm farbloſen Norden dazu berufen ſcheinen, der
etwas monotonen Landſchaft Leben und Friſche zu geben. Alles
war ſtill und leer; auf dem Schulplatz wurden Betten geſonnt
— es ſah aus, als wollten ſie die ganze Stadt auffordern, ſich
ſchlafen zu legen.
Aber nicht die Oede und Stille der Stadt ſollen uns beſchäf-
tigen, ſondern ihre Sehenswürdigkeiten, klein und groß. Treten
wir unſre Wanderung an. Vor dem maleriſch im Schatten hoher
Linden gelegenen Rathhaus, in deſſen Erdgeſchoß ſich auch die
Hauptwache befindet, ruht, auf leichter Lafette, eine jüngſte Kriegs-
trophäe, ein Feldgeſchütz, das die Ruppiner Bataillone (die „Vier-
undzwanziger“) den Dresdner Inſurgenten im Kampfe abnahmen,
während, weiter abwärts, in Front des ſtattlichen Gymnaſial-
Gebäudes (mit ſeinem Laternenthurm und ſeiner Inſchrift: »Civi-
bus aevi futuri«) das Bronzebildniß König Friedrich Wilhelm’s II.
aufragt, das die Stadt ihrem Wohlthäter und Wiedererbauer er-
richtete. Es heißt, es ſei dies die einzige Statue des Königs im
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/46>, abgerufen am 21.11.2024.
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