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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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und hinwegspülten. Es ist Aufgabe späterer Zeiten, solche in Trieb-
sand begrabenen Denksteine neu aufzurichten. Dazu sollten diese
Zeilen ein Versuch sein.

Günther's eigentlichste Bedeutung scheint übrigens, nach dem
übereinstimmenden Urtheil seiner Zeitgenossen, vor allem in seiner
Persönlichkeit gelegen zu haben. Boyen preist ihn auf jeder
Seite, und da junge Adjutanten gewöhnlich diejenigen sind, die
ihrem alten General (oft mit gutem Grund) am allerwenigsten voll
Bewunderung entgegentreten, so sind wir wohl zu dem Schluß
berechtigt, daß in diesem Falle eine siegende Gewalt vorlag, die
alles Bekritteln todt machte. Das Mysteriöse, das um und an
ihm war, steigerte allerdings die Macht seiner Persönlichkeit nicht
wenig. Es hieß von ihm, daß er wie ein Ordensbruder die drei
Gelübde der Keuschheit, der Armuth und des Gehorsams abgelegt
habe. Daß dies von jedem geglaubt wurde, zeigt am ehsten, wie
sein Leben war. Es galt dafür, daß er nie ein Weib berührt
habe, drum sei er so gewaltig von Körper. *) Das Gelübde der
Armuth hielt er nicht minder treu. Von seinem reichen Gehalt
nahm er für seine Person nur 300 [ - 1 Zeichen fehlt]; was von dem Uebrigen
nicht für die Offiziertafel und für Lohn und Bedienung darauf
ging, wurde den Armen gegeben. Die Tafel war reichlich besetzt,
aber er selbst aß regelmäßig nur eine Soldatensuppe und ein ein-
faches Stück Fleisch. Als er einen jungen Offizier zum Nachbar
flüstern hörte, daß der Alte sich seine frugale Kost sehr gut schmecken

*) Boyen hat auch in Bezug hierauf eine etwas prosaischere Version.
Er schreibt: Günther zog sich früh aus dem Treiben der Welt und der
Gesellschaft zurück. Was ihn zu dieser Zurückgezogenheit bestimmte, ob es
schmerzlich zerrissene Lebensverbindungen waren (also unglück-
liche Liebe
, aber nichts von einem Keuschheitsgelübde), mag dahin ge-
stellt bleiben. Auch der "Gewaltigkeit seines Körpers" erwähnt Boyen
nicht, gegentheils spricht er viel von der Kränklichkeit des Generals,
die nur in dessen moralischer Kraft ihr Gegengewicht gefunden habe.
Er war auch hierin ganz dem alten Zieten verwandt, der bekanntlich
immer leidend und zu Zeiten völlig hinfällig war.

und hinwegſpülten. Es iſt Aufgabe ſpäterer Zeiten, ſolche in Trieb-
ſand begrabenen Denkſteine neu aufzurichten. Dazu ſollten dieſe
Zeilen ein Verſuch ſein.

Günther’s eigentlichſte Bedeutung ſcheint übrigens, nach dem
übereinſtimmenden Urtheil ſeiner Zeitgenoſſen, vor allem in ſeiner
Perſönlichkeit gelegen zu haben. Boyen preiſt ihn auf jeder
Seite, und da junge Adjutanten gewöhnlich diejenigen ſind, die
ihrem alten General (oft mit gutem Grund) am allerwenigſten voll
Bewunderung entgegentreten, ſo ſind wir wohl zu dem Schluß
berechtigt, daß in dieſem Falle eine ſiegende Gewalt vorlag, die
alles Bekritteln todt machte. Das Myſteriöſe, das um und an
ihm war, ſteigerte allerdings die Macht ſeiner Perſönlichkeit nicht
wenig. Es hieß von ihm, daß er wie ein Ordensbruder die drei
Gelübde der Keuſchheit, der Armuth und des Gehorſams abgelegt
habe. Daß dies von jedem geglaubt wurde, zeigt am ehſten, wie
ſein Leben war. Es galt dafür, daß er nie ein Weib berührt
habe, drum ſei er ſo gewaltig von Körper. *) Das Gelübde der
Armuth hielt er nicht minder treu. Von ſeinem reichen Gehalt
nahm er für ſeine Perſon nur 300 [ – 1 Zeichen fehlt]; was von dem Uebrigen
nicht für die Offiziertafel und für Lohn und Bedienung darauf
ging, wurde den Armen gegeben. Die Tafel war reichlich beſetzt,
aber er ſelbſt aß regelmäßig nur eine Soldatenſuppe und ein ein-
faches Stück Fleiſch. Als er einen jungen Offizier zum Nachbar
flüſtern hörte, daß der Alte ſich ſeine frugale Koſt ſehr gut ſchmecken

*) Boyen hat auch in Bezug hierauf eine etwas proſaiſchere Verſion.
Er ſchreibt: Günther zog ſich früh aus dem Treiben der Welt und der
Geſellſchaft zurück. Was ihn zu dieſer Zurückgezogenheit beſtimmte, ob es
ſchmerzlich zerriſſene Lebensverbindungen waren (alſo unglück-
liche Liebe
, aber nichts von einem Keuſchheitsgelübde), mag dahin ge-
ſtellt bleiben. Auch der „Gewaltigkeit ſeines Körpers“ erwähnt Boyen
nicht, gegentheils ſpricht er viel von der Kränklichkeit des Generals,
die nur in deſſen moraliſcher Kraft ihr Gegengewicht gefunden habe.
Er war auch hierin ganz dem alten Zieten verwandt, der bekanntlich
immer leidend und zu Zeiten völlig hinfällig war.
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[60/0078] und hinwegſpülten. Es iſt Aufgabe ſpäterer Zeiten, ſolche in Trieb- ſand begrabenen Denkſteine neu aufzurichten. Dazu ſollten dieſe Zeilen ein Verſuch ſein. Günther’s eigentlichſte Bedeutung ſcheint übrigens, nach dem übereinſtimmenden Urtheil ſeiner Zeitgenoſſen, vor allem in ſeiner Perſönlichkeit gelegen zu haben. Boyen preiſt ihn auf jeder Seite, und da junge Adjutanten gewöhnlich diejenigen ſind, die ihrem alten General (oft mit gutem Grund) am allerwenigſten voll Bewunderung entgegentreten, ſo ſind wir wohl zu dem Schluß berechtigt, daß in dieſem Falle eine ſiegende Gewalt vorlag, die alles Bekritteln todt machte. Das Myſteriöſe, das um und an ihm war, ſteigerte allerdings die Macht ſeiner Perſönlichkeit nicht wenig. Es hieß von ihm, daß er wie ein Ordensbruder die drei Gelübde der Keuſchheit, der Armuth und des Gehorſams abgelegt habe. Daß dies von jedem geglaubt wurde, zeigt am ehſten, wie ſein Leben war. Es galt dafür, daß er nie ein Weib berührt habe, drum ſei er ſo gewaltig von Körper. *) Das Gelübde der Armuth hielt er nicht minder treu. Von ſeinem reichen Gehalt nahm er für ſeine Perſon nur 300 _; was von dem Uebrigen nicht für die Offiziertafel und für Lohn und Bedienung darauf ging, wurde den Armen gegeben. Die Tafel war reichlich beſetzt, aber er ſelbſt aß regelmäßig nur eine Soldatenſuppe und ein ein- faches Stück Fleiſch. Als er einen jungen Offizier zum Nachbar flüſtern hörte, daß der Alte ſich ſeine frugale Koſt ſehr gut ſchmecken *) Boyen hat auch in Bezug hierauf eine etwas proſaiſchere Verſion. Er ſchreibt: Günther zog ſich früh aus dem Treiben der Welt und der Geſellſchaft zurück. Was ihn zu dieſer Zurückgezogenheit beſtimmte, ob es ſchmerzlich zerriſſene Lebensverbindungen waren (alſo unglück- liche Liebe, aber nichts von einem Keuſchheitsgelübde), mag dahin ge- ſtellt bleiben. Auch der „Gewaltigkeit ſeines Körpers“ erwähnt Boyen nicht, gegentheils ſpricht er viel von der Kränklichkeit des Generals, die nur in deſſen moraliſcher Kraft ihr Gegengewicht gefunden habe. Er war auch hierin ganz dem alten Zieten verwandt, der bekanntlich immer leidend und zu Zeiten völlig hinfällig war.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/78>, abgerufen am 24.11.2024.