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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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daß man glaubt die Halme zählen zu können. Auf Meilen hin
eine reizlose Oede. Und doch hat der märkische Sand auch seinen
Zauber. Ich werde des Wellenterrains zwischen Biesenthal und
Prenden nicht leicht vergessen: in den Thaleinschnitten ein Wasser-
tümpel und Binsengestrüpp, auf der Höhe hüben und drüben eine
Fichte, ein Kieferbusch; der Boden gelb, der Himmel grau und
am Wege ein Stein, ein verwehter Tannenapfel; über dem allen
aber nichts Lautes und Lebendiges, als eine Krähe und die Schläge
der Biesenthaler Thurmuhr, die beide langsam über die Oede hin-
ziehen. Wer solchem Bilde begegnet, der hat die Poesie des mär-
kischen Sandes kennen gelernt.

Aber auf dem Sandwege, den wir heute passiren, empfinden
wir nichts davon, vielleicht weil die Oede nicht vollkommen ist
und das Sandfeld vielfach den Anlauf nimmt, ein Fruchtfeld zu
werden. Solche Anstrengungen haben immer etwas Tristes. Es
sind dies die Gegenden der Mark, die ihr den Namen der "Streu-
sandbüchse
des heiligen römischen Reiches" eingetragen haben,
ein Name, der muthmaßlich nie entstanden wäre, wenn die Rei-
senden "aus dem Reich" noch etwas anderes von der Mark ken-
nen gelernt hätten, als eben jenen breiten Sandgürtel, den sie
auf ihrem Wege von Dresden nach Berlin nothwendig passiren
mußten.

Der Weg war reizlos, aber er wurde mir durch eine Begeg-
nung werth, die ich unterwegs hatte. Etwa eine halbe Meile vor
Cossenblatt bemerkte ich einen Knaben, der auf einem Feldstein
am Wege saß und augenscheinlich sehr ermüdet war. Er mochte
zwölf Jahr alt sein. Ich ließ halten und es entspann sich folgen-
des Gespräch zwischen ihm und mir: "Willst du mit?" -- "Wo
wüllen Se denn hen?" -- "Nach Cossenblatt." -- "Da will ick
ooch hin."

Nun stieg er auf und setzte sich bescheiden auf den Rand des
Wagens. Mich beschäftigte der kleine Vorfall, weil er mir so recht
wieder jene nüchterne und mißtrauensvolle Vorsicht zeigte, die
unsern Stamm im Guten und Schlechten so sehr charakterisirt.

daß man glaubt die Halme zählen zu können. Auf Meilen hin
eine reizloſe Oede. Und doch hat der märkiſche Sand auch ſeinen
Zauber. Ich werde des Wellenterrains zwiſchen Bieſenthal und
Prenden nicht leicht vergeſſen: in den Thaleinſchnitten ein Waſſer-
tümpel und Binſengeſtrüpp, auf der Höhe hüben und drüben eine
Fichte, ein Kieferbuſch; der Boden gelb, der Himmel grau und
am Wege ein Stein, ein verwehter Tannenapfel; über dem allen
aber nichts Lautes und Lebendiges, als eine Krähe und die Schläge
der Bieſenthaler Thurmuhr, die beide langſam über die Oede hin-
ziehen. Wer ſolchem Bilde begegnet, der hat die Poeſie des mär-
kiſchen Sandes kennen gelernt.

Aber auf dem Sandwege, den wir heute paſſiren, empfinden
wir nichts davon, vielleicht weil die Oede nicht vollkommen iſt
und das Sandfeld vielfach den Anlauf nimmt, ein Fruchtfeld zu
werden. Solche Anſtrengungen haben immer etwas Triſtes. Es
ſind dies die Gegenden der Mark, die ihr den Namen der „Streu-
ſandbüchſe
des heiligen römiſchen Reiches“ eingetragen haben,
ein Name, der muthmaßlich nie entſtanden wäre, wenn die Rei-
ſenden „aus dem Reich“ noch etwas anderes von der Mark ken-
nen gelernt hätten, als eben jenen breiten Sandgürtel, den ſie
auf ihrem Wege von Dresden nach Berlin nothwendig paſſiren
mußten.

Der Weg war reizlos, aber er wurde mir durch eine Begeg-
nung werth, die ich unterwegs hatte. Etwa eine halbe Meile vor
Coſſenblatt bemerkte ich einen Knaben, der auf einem Feldſtein
am Wege ſaß und augenſcheinlich ſehr ermüdet war. Er mochte
zwölf Jahr alt ſein. Ich ließ halten und es entſpann ſich folgen-
des Geſpräch zwiſchen ihm und mir: „Willſt du mit?“ — „Wo
wüllen Se denn hen?“ — „Nach Coſſenblatt.“ — „Da will ick
ooch hin.“

Nun ſtieg er auf und ſetzte ſich beſcheiden auf den Rand des
Wagens. Mich beſchäftigte der kleine Vorfall, weil er mir ſo recht
wieder jene nüchterne und mißtrauensvolle Vorſicht zeigte, die
unſern Stamm im Guten und Schlechten ſo ſehr charakteriſirt.

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[106/0118] daß man glaubt die Halme zählen zu können. Auf Meilen hin eine reizloſe Oede. Und doch hat der märkiſche Sand auch ſeinen Zauber. Ich werde des Wellenterrains zwiſchen Bieſenthal und Prenden nicht leicht vergeſſen: in den Thaleinſchnitten ein Waſſer- tümpel und Binſengeſtrüpp, auf der Höhe hüben und drüben eine Fichte, ein Kieferbuſch; der Boden gelb, der Himmel grau und am Wege ein Stein, ein verwehter Tannenapfel; über dem allen aber nichts Lautes und Lebendiges, als eine Krähe und die Schläge der Bieſenthaler Thurmuhr, die beide langſam über die Oede hin- ziehen. Wer ſolchem Bilde begegnet, der hat die Poeſie des mär- kiſchen Sandes kennen gelernt. Aber auf dem Sandwege, den wir heute paſſiren, empfinden wir nichts davon, vielleicht weil die Oede nicht vollkommen iſt und das Sandfeld vielfach den Anlauf nimmt, ein Fruchtfeld zu werden. Solche Anſtrengungen haben immer etwas Triſtes. Es ſind dies die Gegenden der Mark, die ihr den Namen der „Streu- ſandbüchſe des heiligen römiſchen Reiches“ eingetragen haben, ein Name, der muthmaßlich nie entſtanden wäre, wenn die Rei- ſenden „aus dem Reich“ noch etwas anderes von der Mark ken- nen gelernt hätten, als eben jenen breiten Sandgürtel, den ſie auf ihrem Wege von Dresden nach Berlin nothwendig paſſiren mußten. Der Weg war reizlos, aber er wurde mir durch eine Begeg- nung werth, die ich unterwegs hatte. Etwa eine halbe Meile vor Coſſenblatt bemerkte ich einen Knaben, der auf einem Feldſtein am Wege ſaß und augenſcheinlich ſehr ermüdet war. Er mochte zwölf Jahr alt ſein. Ich ließ halten und es entſpann ſich folgen- des Geſpräch zwiſchen ihm und mir: „Willſt du mit?“ — „Wo wüllen Se denn hen?“ — „Nach Coſſenblatt.“ — „Da will ick ooch hin.“ Nun ſtieg er auf und ſetzte ſich beſcheiden auf den Rand des Wagens. Mich beſchäftigte der kleine Vorfall, weil er mir ſo recht wieder jene nüchterne und mißtrauensvolle Vorſicht zeigte, die unſern Stamm im Guten und Schlechten ſo ſehr charakteriſirt.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/118>, abgerufen am 25.11.2024.