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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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Müde wie er war, sprang er doch weder auf, noch bezeugte er
irgend welche Freude; er beantwortete meine Frage durch eine
andere Frage, und erst als ich diese meinerseits zu seiner Zufrie-
denstellung erledigt hatte, nahm er freundlich an, was freundlich
geboten war. Es war übrigens ein allerliebster Junge, der mich
von Seidenbau und Seidenzucht sehr verständig unterhielt, was
ich besonders hier erwähne, um dabei auf die Vorliebe aufmerksam
zu machen, mit der die Seidenzucht von den ärmeren Leuten
unserer Provinz betrieben wird. Sie sind mit einer Art Passion
dabei und es früge sich, ob diese Art der Industrie nicht noch ener-
gischer zu unterstützen wäre.

Wir sind nun in Cossenblatt (mein junger Freund hat
mich am Eingang des Dorfes bescheidentlich verlassen) und wenige
Minuten später halten wir vor der Einfahrt des Amtshofs, wo
alle Sehenswürdigkeiten Cossenblatts, auf einen engsten Raum
zusammengedrängt, wie zur Auswahl vor uns liegen. Alles liegt
rechts von der Dorfstraße und wir unterscheiden: Herrenhaus
(jetzt Amtshaus), Schloß und Kirche. Unser nächster Besuch
aber gilt dem in Weinlaub versteckten Predigerhause, das von der
andern Seite der Dorfgasse her wie eine Laube zu uns herüber
blickt. Freundlich wie das Haus sind seine Bewohner, und Platz
nehmend unter dem grünen Dach, den Blick auf Herrenhaus und
Schloß und Kirche gerichtet, plaudern wir von Cossenblatt und
seiner Geschichte.

Cossenblatt war immer ein reicher und ausgedehnter Besitz,
auch ehe ein Schloß hier stand und Feldmarschälle und Fürsten
hier residirten. In sumpfiger Niederung gelegen (Cossinbloth heißt
"Krummensumpf") unterschied es sich immer vortheilhaft von den
Sanddörfern der Höhe, und lange bevor es "königlich" war, hatte
es ein Ansehen in der Gegend um seiner Aecker und Wiesen
willen. Die Besitzer wechselten oft; im sechzehnten Jahrhundert
hatten es die von Weilsdorf. Ein Bruder erstach den andern im
Zweikampf, aber auch dieser Vorgang -- übrigens eine immer

Müde wie er war, ſprang er doch weder auf, noch bezeugte er
irgend welche Freude; er beantwortete meine Frage durch eine
andere Frage, und erſt als ich dieſe meinerſeits zu ſeiner Zufrie-
denſtellung erledigt hatte, nahm er freundlich an, was freundlich
geboten war. Es war übrigens ein allerliebſter Junge, der mich
von Seidenbau und Seidenzucht ſehr verſtändig unterhielt, was
ich beſonders hier erwähne, um dabei auf die Vorliebe aufmerkſam
zu machen, mit der die Seidenzucht von den ärmeren Leuten
unſerer Provinz betrieben wird. Sie ſind mit einer Art Paſſion
dabei und es früge ſich, ob dieſe Art der Induſtrie nicht noch ener-
giſcher zu unterſtützen wäre.

Wir ſind nun in Coſſenblatt (mein junger Freund hat
mich am Eingang des Dorfes beſcheidentlich verlaſſen) und wenige
Minuten ſpäter halten wir vor der Einfahrt des Amtshofs, wo
alle Sehenswürdigkeiten Coſſenblatts, auf einen engſten Raum
zuſammengedrängt, wie zur Auswahl vor uns liegen. Alles liegt
rechts von der Dorfſtraße und wir unterſcheiden: Herrenhaus
(jetzt Amtshaus), Schloß und Kirche. Unſer nächſter Beſuch
aber gilt dem in Weinlaub verſteckten Predigerhauſe, das von der
andern Seite der Dorfgaſſe her wie eine Laube zu uns herüber
blickt. Freundlich wie das Haus ſind ſeine Bewohner, und Platz
nehmend unter dem grünen Dach, den Blick auf Herrenhaus und
Schloß und Kirche gerichtet, plaudern wir von Coſſenblatt und
ſeiner Geſchichte.

Coſſenblatt war immer ein reicher und ausgedehnter Beſitz,
auch ehe ein Schloß hier ſtand und Feldmarſchälle und Fürſten
hier reſidirten. In ſumpfiger Niederung gelegen (Coſſinbloth heißt
„Krummenſumpf“) unterſchied es ſich immer vortheilhaft von den
Sanddörfern der Höhe, und lange bevor es „königlich“ war, hatte
es ein Anſehen in der Gegend um ſeiner Aecker und Wieſen
willen. Die Beſitzer wechſelten oft; im ſechzehnten Jahrhundert
hatten es die von Weilsdorf. Ein Bruder erſtach den andern im
Zweikampf, aber auch dieſer Vorgang — übrigens eine immer

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[107/0119] Müde wie er war, ſprang er doch weder auf, noch bezeugte er irgend welche Freude; er beantwortete meine Frage durch eine andere Frage, und erſt als ich dieſe meinerſeits zu ſeiner Zufrie- denſtellung erledigt hatte, nahm er freundlich an, was freundlich geboten war. Es war übrigens ein allerliebſter Junge, der mich von Seidenbau und Seidenzucht ſehr verſtändig unterhielt, was ich beſonders hier erwähne, um dabei auf die Vorliebe aufmerkſam zu machen, mit der die Seidenzucht von den ärmeren Leuten unſerer Provinz betrieben wird. Sie ſind mit einer Art Paſſion dabei und es früge ſich, ob dieſe Art der Induſtrie nicht noch ener- giſcher zu unterſtützen wäre. Wir ſind nun in Coſſenblatt (mein junger Freund hat mich am Eingang des Dorfes beſcheidentlich verlaſſen) und wenige Minuten ſpäter halten wir vor der Einfahrt des Amtshofs, wo alle Sehenswürdigkeiten Coſſenblatts, auf einen engſten Raum zuſammengedrängt, wie zur Auswahl vor uns liegen. Alles liegt rechts von der Dorfſtraße und wir unterſcheiden: Herrenhaus (jetzt Amtshaus), Schloß und Kirche. Unſer nächſter Beſuch aber gilt dem in Weinlaub verſteckten Predigerhauſe, das von der andern Seite der Dorfgaſſe her wie eine Laube zu uns herüber blickt. Freundlich wie das Haus ſind ſeine Bewohner, und Platz nehmend unter dem grünen Dach, den Blick auf Herrenhaus und Schloß und Kirche gerichtet, plaudern wir von Coſſenblatt und ſeiner Geſchichte. Coſſenblatt war immer ein reicher und ausgedehnter Beſitz, auch ehe ein Schloß hier ſtand und Feldmarſchälle und Fürſten hier reſidirten. In ſumpfiger Niederung gelegen (Coſſinbloth heißt „Krummenſumpf“) unterſchied es ſich immer vortheilhaft von den Sanddörfern der Höhe, und lange bevor es „königlich“ war, hatte es ein Anſehen in der Gegend um ſeiner Aecker und Wieſen willen. Die Beſitzer wechſelten oft; im ſechzehnten Jahrhundert hatten es die von Weilsdorf. Ein Bruder erſtach den andern im Zweikampf, aber auch dieſer Vorgang — übrigens eine immer

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/119>, abgerufen am 25.11.2024.