würden es freilich halb zur Gewißheit erheben, daß das Schloß Mittenwalde an dieser Stelle und keiner andern stand, wenn nicht andererseits der Umstand, daß, so viel ich weiß, keine Spur von Steinfundamenten innerhalb des Berges zu finden ist, das Urtheil wieder schwankend machte. Die Bewohner des Berges er- zählen sogar, daß die wenigen Feldsteine, die jetzt als Treppen- stufen zu beßrer Ersteigung des Hügels dienen, von anderswoher mühsam herbeigeholt seien. Gleichviel, ein "Schloß Mittenwalde" gab es, und einen "Hausgrabenberg" giebt es noch. Was immer auf seiner Höhe gestanden haben mag, jetzt steht ein Häuschen auf demselben, das sich in Weinlaub versteckt; über dem grünumrank- ten Bau aber, als solle er doppelt geschützt werden, wölben sich alte Birnbäume zu einem dichten Dach. Im Spätsommer muß es schön hier oben sein, wenn die blauen Trauben an allen Wänden hängen und die goldgelben Birnen, vom Winde oder der eigenen Schwere abgelöst, polternd über das Dach herunterrollen.
Der Hausgrabenberg hat ein reizendes Haus und eine rei- zende Aussicht; der alte Thorthurm der Stadt aber, dem wir uns jetzt zuwenden, bietet baulich ein Interesse. Er liegt nach Nor- den hin, also auf dem Wege nach Cöpnick und Berlin, und führt deshalb den Namen: das Cöpnicker oder Berliner Thor. In der alten Zeit, als Mittenwalde noch "fest" war, war dieser Thorbau (wie alle seinesgleichen) ein Bau von ziemlich zusammengesetzter Natur und bestand aus einem quer durch den Stadtgraben füh- renden Steindamm, dessen Mauerlehnen hüben und drüben in einen Außen- und Innen-Thurm ausliefen. Der Steindamm, ohne den kein Aus- und Eingang möglich wäre, existirt natürlich noch; das Außenthor und die Mauerlehnen sind ebenfalls noch vorhan- den, aber nur zur Hälfte; das Innenthor fehlt ganz. Eine bloße Maueröffnung, das moderne Zwei-Pfeiler-Thor, ist an die Stelle getreten, und ein alter etwas zur Seite stehender Rundthurm, der einst den Brückenübergang flankirte, blickt wie verwundert auf die kümmerlichen Aenderungen, die ihm zu Füßen vorgegangen sind.
Von dem Außenthor steht noch die Front, ein malerisches
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würden es freilich halb zur Gewißheit erheben, daß das Schloß Mittenwalde an dieſer Stelle und keiner andern ſtand, wenn nicht andererſeits der Umſtand, daß, ſo viel ich weiß, keine Spur von Steinfundamenten innerhalb des Berges zu finden iſt, das Urtheil wieder ſchwankend machte. Die Bewohner des Berges er- zählen ſogar, daß die wenigen Feldſteine, die jetzt als Treppen- ſtufen zu beßrer Erſteigung des Hügels dienen, von anderswoher mühſam herbeigeholt ſeien. Gleichviel, ein „Schloß Mittenwalde“ gab es, und einen „Hausgrabenberg“ giebt es noch. Was immer auf ſeiner Höhe geſtanden haben mag, jetzt ſteht ein Häuschen auf demſelben, das ſich in Weinlaub verſteckt; über dem grünumrank- ten Bau aber, als ſolle er doppelt geſchützt werden, wölben ſich alte Birnbäume zu einem dichten Dach. Im Spätſommer muß es ſchön hier oben ſein, wenn die blauen Trauben an allen Wänden hängen und die goldgelben Birnen, vom Winde oder der eigenen Schwere abgelöſt, polternd über das Dach herunterrollen.
Der Hausgrabenberg hat ein reizendes Haus und eine rei- zende Ausſicht; der alte Thorthurm der Stadt aber, dem wir uns jetzt zuwenden, bietet baulich ein Intereſſe. Er liegt nach Nor- den hin, alſo auf dem Wege nach Cöpnick und Berlin, und führt deshalb den Namen: das Cöpnicker oder Berliner Thor. In der alten Zeit, als Mittenwalde noch „feſt“ war, war dieſer Thorbau (wie alle ſeinesgleichen) ein Bau von ziemlich zuſammengeſetzter Natur und beſtand aus einem quer durch den Stadtgraben füh- renden Steindamm, deſſen Mauerlehnen hüben und drüben in einen Außen- und Innen-Thurm ausliefen. Der Steindamm, ohne den kein Aus- und Eingang möglich wäre, exiſtirt natürlich noch; das Außenthor und die Mauerlehnen ſind ebenfalls noch vorhan- den, aber nur zur Hälfte; das Innenthor fehlt ganz. Eine bloße Maueröffnung, das moderne Zwei-Pfeiler-Thor, iſt an die Stelle getreten, und ein alter etwas zur Seite ſtehender Rundthurm, der einſt den Brückenübergang flankirte, blickt wie verwundert auf die kümmerlichen Aenderungen, die ihm zu Füßen vorgegangen ſind.
Von dem Außenthor ſteht noch die Front, ein maleriſches
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würden es freilich halb zur Gewißheit erheben, daß das Schloß
Mittenwalde an dieſer Stelle und keiner andern ſtand, wenn
nicht andererſeits der Umſtand, daß, ſo viel ich weiß, keine Spur
von Steinfundamenten innerhalb des Berges zu finden iſt, das
Urtheil wieder ſchwankend machte. Die Bewohner des Berges er-
zählen ſogar, daß die wenigen Feldſteine, die jetzt als Treppen-
ſtufen zu beßrer Erſteigung des Hügels dienen, von anderswoher
mühſam herbeigeholt ſeien. Gleichviel, ein „Schloß Mittenwalde“
gab es, und einen „Hausgrabenberg“ giebt es noch. Was immer
auf ſeiner Höhe geſtanden haben mag, jetzt ſteht ein Häuschen auf
demſelben, das ſich in Weinlaub verſteckt; über dem grünumrank-
ten Bau aber, als ſolle er doppelt geſchützt werden, wölben ſich
alte Birnbäume zu einem dichten Dach. Im Spätſommer muß es
ſchön hier oben ſein, wenn die blauen Trauben an allen Wänden
hängen und die goldgelben Birnen, vom Winde oder der eigenen
Schwere abgelöſt, polternd über das Dach herunterrollen.
Der Hausgrabenberg hat ein reizendes Haus und eine rei-
zende Ausſicht; der alte Thorthurm der Stadt aber, dem wir
uns jetzt zuwenden, bietet baulich ein Intereſſe. Er liegt nach Nor-
den hin, alſo auf dem Wege nach Cöpnick und Berlin, und führt
deshalb den Namen: das Cöpnicker oder Berliner Thor. In der
alten Zeit, als Mittenwalde noch „feſt“ war, war dieſer Thorbau
(wie alle ſeinesgleichen) ein Bau von ziemlich zuſammengeſetzter
Natur und beſtand aus einem quer durch den Stadtgraben füh-
renden Steindamm, deſſen Mauerlehnen hüben und drüben in
einen Außen- und Innen-Thurm ausliefen. Der Steindamm, ohne
den kein Aus- und Eingang möglich wäre, exiſtirt natürlich noch;
das Außenthor und die Mauerlehnen ſind ebenfalls noch vorhan-
den, aber nur zur Hälfte; das Innenthor fehlt ganz. Eine bloße
Maueröffnung, das moderne Zwei-Pfeiler-Thor, iſt an die Stelle
getreten, und ein alter etwas zur Seite ſtehender Rundthurm, der
einſt den Brückenübergang flankirte, blickt wie verwundert auf die
kümmerlichen Aenderungen, die ihm zu Füßen vorgegangen ſind.
Von dem Außenthor ſteht noch die Front, ein maleriſches
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/157>, abgerufen am 27.11.2024.
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