auf das Maaß der Erscheinung bezieht, so wird sich gegen einen solchen Vergleich wenig sagen lassen. Die Spreewäldler sind Wen- den bis diesen Tag; sie leben zwischen Wasser und Wiese, wie die Oderbrücher vor 100 Jahren, und ziehen einen wesentlichen Theil ihres Unterhalts aus Heumaht und Fischfang; sie leben in stetem Kampf mit dem Element; sie unterhalten ihren Verkehr ausschließlich mittelst Kähnen (der Kahn ist ihr Fuhrwerk), und ihre Blockhäuser (z. B. in den zwei Musterdörfern Lehde und Leipe) sind bis diesen Tag von Kuhmistwällen eingefaßt, die, ganz nach dem Bericht unsres neumärkischen Geistlichen, halb zum Schutz gegen das Wasser, halb zu Kürbisgärten dienen. Daß der Spreewäldler jetzt statt der Kürbisse die besser rentirenden Gur- ken etc. zieht, macht keinen Unterschied. Auch die wendische Tracht der Spreewäldler entspricht den Resten wendischer Tracht, die sich in einigen Oderbruchdörfern erhalten haben und von denen ich noch zu erzählen haben werde.
So weit reicht die Aehnlichkeit. Es ist, wie schon angedeutet, eine Aehnlichkeit innerhalb der Gattung, der Art, und es läßt sich annehmen, daß diese Aehnlichkeit eine beinah vollständige sein würde, wenn wir den Spreewald und seine Bewohner noch in solcher Gestalt sehen könnten, wie sie vor 100 Jahren waren. Diese hundert Jahre aber haben auch den Spreewald, trotzdem er wendisch blieb, in seiner Erscheinung verändert, wenigstens, wie schon hervorgehoben, dem Maaß, wenn auch nicht der Art der Dinge nach. Das in Berührung kommen mit einer höhren Cultur, pflegt, je nach den Verhältnissen, die sie vorfindet, eine sehr verschiedne, fast entgegengesetzte Wirkung zu üben. Entweder sie überwuchert und tödtet das Alte (was im Oderbruch geschah) oder sie belebt und veredelt umgekehrt und zeigt ihre Wirksamkeit nur darin, daß sie das, was sie vorfindet, ohne es in seinem We- sen zu verändern, einfach auf eine höhere Stufe hebt. So ge- schah es im Spreewald. Daß der letztere einer massenhaften deutschen Colonisirung, wie sie im Oderbruche stattfand, ebenfalls nicht widerstanden hätte, versteht sich von selbst. Ein Vergleich
auf das Maaß der Erſcheinung bezieht, ſo wird ſich gegen einen ſolchen Vergleich wenig ſagen laſſen. Die Spreewäldler ſind Wen- den bis dieſen Tag; ſie leben zwiſchen Waſſer und Wieſe, wie die Oderbrücher vor 100 Jahren, und ziehen einen weſentlichen Theil ihres Unterhalts aus Heumaht und Fiſchfang; ſie leben in ſtetem Kampf mit dem Element; ſie unterhalten ihren Verkehr ausſchließlich mittelſt Kähnen (der Kahn iſt ihr Fuhrwerk), und ihre Blockhäuſer (z. B. in den zwei Muſterdörfern Lehde und Leipe) ſind bis dieſen Tag von Kuhmiſtwällen eingefaßt, die, ganz nach dem Bericht unſres neumärkiſchen Geiſtlichen, halb zum Schutz gegen das Waſſer, halb zu Kürbisgärten dienen. Daß der Spreewäldler jetzt ſtatt der Kürbiſſe die beſſer rentirenden Gur- ken ꝛc. zieht, macht keinen Unterſchied. Auch die wendiſche Tracht der Spreewäldler entſpricht den Reſten wendiſcher Tracht, die ſich in einigen Oderbruchdörfern erhalten haben und von denen ich noch zu erzählen haben werde.
So weit reicht die Aehnlichkeit. Es iſt, wie ſchon angedeutet, eine Aehnlichkeit innerhalb der Gattung, der Art, und es läßt ſich annehmen, daß dieſe Aehnlichkeit eine beinah vollſtändige ſein würde, wenn wir den Spreewald und ſeine Bewohner noch in ſolcher Geſtalt ſehen könnten, wie ſie vor 100 Jahren waren. Dieſe hundert Jahre aber haben auch den Spreewald, trotzdem er wendiſch blieb, in ſeiner Erſcheinung verändert, wenigſtens, wie ſchon hervorgehoben, dem Maaß, wenn auch nicht der Art der Dinge nach. Das in Berührung kommen mit einer höhren Cultur, pflegt, je nach den Verhältniſſen, die ſie vorfindet, eine ſehr verſchiedne, faſt entgegengeſetzte Wirkung zu üben. Entweder ſie überwuchert und tödtet das Alte (was im Oderbruch geſchah) oder ſie belebt und veredelt umgekehrt und zeigt ihre Wirkſamkeit nur darin, daß ſie das, was ſie vorfindet, ohne es in ſeinem We- ſen zu verändern, einfach auf eine höhere Stufe hebt. So ge- ſchah es im Spreewald. Daß der letztere einer maſſenhaften deutſchen Coloniſirung, wie ſie im Oderbruche ſtattfand, ebenfalls nicht widerſtanden hätte, verſteht ſich von ſelbſt. Ein Vergleich
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auf das Maaß der Erſcheinung bezieht, ſo wird ſich gegen einen
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den bis dieſen Tag; ſie leben zwiſchen Waſſer und Wieſe, wie
die Oderbrücher vor 100 Jahren, und ziehen einen weſentlichen
Theil ihres Unterhalts aus Heumaht und Fiſchfang; ſie leben in
ſtetem Kampf mit dem Element; ſie unterhalten ihren Verkehr
ausſchließlich mittelſt Kähnen (der Kahn iſt ihr Fuhrwerk), und
ihre Blockhäuſer (z. B. in den zwei Muſterdörfern Lehde und
Leipe) ſind bis dieſen Tag von Kuhmiſtwällen eingefaßt, die,
ganz nach dem Bericht unſres neumärkiſchen Geiſtlichen, halb zum
Schutz gegen das Waſſer, halb zu Kürbisgärten dienen. Daß der
Spreewäldler jetzt ſtatt der Kürbiſſe die beſſer rentirenden Gur-
ken ꝛc. zieht, macht keinen Unterſchied. Auch die wendiſche Tracht
der Spreewäldler entſpricht den Reſten wendiſcher Tracht, die ſich
in einigen Oderbruchdörfern erhalten haben und von denen ich
noch zu erzählen haben werde.
So weit reicht die Aehnlichkeit. Es iſt, wie ſchon angedeutet,
eine Aehnlichkeit innerhalb der Gattung, der Art, und es läßt
ſich annehmen, daß dieſe Aehnlichkeit eine beinah vollſtändige ſein
würde, wenn wir den Spreewald und ſeine Bewohner noch in
ſolcher Geſtalt ſehen könnten, wie ſie vor 100 Jahren waren.
Dieſe hundert Jahre aber haben auch den Spreewald, trotzdem
er wendiſch blieb, in ſeiner Erſcheinung verändert, wenigſtens,
wie ſchon hervorgehoben, dem Maaß, wenn auch nicht der Art
der Dinge nach. Das in Berührung kommen mit einer höhren
Cultur, pflegt, je nach den Verhältniſſen, die ſie vorfindet, eine
ſehr verſchiedne, faſt entgegengeſetzte Wirkung zu üben. Entweder
ſie überwuchert und tödtet das Alte (was im Oderbruch geſchah)
oder ſie belebt und veredelt umgekehrt und zeigt ihre Wirkſamkeit
nur darin, daß ſie das, was ſie vorfindet, ohne es in ſeinem We-
ſen zu verändern, einfach auf eine höhere Stufe hebt. So ge-
ſchah es im Spreewald. Daß der letztere einer maſſenhaften
deutſchen Coloniſirung, wie ſie im Oderbruche ſtattfand, ebenfalls
nicht widerſtanden hätte, verſteht ſich von ſelbſt. Ein Vergleich
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/220>, abgerufen am 25.11.2024.
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