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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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ihres christlichen Bekenntnisses mit den alten Wendengöttern nie recht
gebrochen hatten. Der Aberglaube hatte in diesen Sümpfen eine
wahre Brutstätte. Kirchen gab es zwar in ein oder zwei dieser
Dörfer, aber der Geistliche erschien nur alle 6 oder 8 Wochen,
um eine Predigt zu halten und der Verkehr mit den glücklicheren
Randdörfern oder gar mit den Städten (wohin sie eingepfarrt
waren) war durch Ueberschwemmungen und grundlose Wege er-
schwert. Man darf mit nur allzu gutem Rechte behaupten, daß
die Brücher in allem, was geistlichen Zuspruch und geistiges Leben
anging, von den Brosamen lebten, die von des Herren Tische fie-
len. Die Todten, um ihnen eine ruhige Stätte zu gönnen (denn
die Fluthen hätten die Gräber aufgewühlt), wurden nach Wriezen
hin, oder auf den Höhe-Dörfern begraben und die Taufe der Kin-
der erfolgte, vielleicht 4 oder 6 mal des Jahres, in ganzen Trupps.
Es wurden dann Boten nach der benachbarten Stadt abgefertigt,
welche den ganzen Trupp dem dortigen Geistlichen zur Taufe zu
überbringen hatten, wobei es sich nicht selten zutrug, daß von die-
sen, in großen Körben transportirten Kindern, das eine oder
andre auf der Ueberfahrt starb.

Die geistige Speise, die geboten wurde, war spärlich und die
leibliche nicht minder; Korn wurde wenig oder gar nicht gebaut,
die Kartoffel war noch nicht gekannt, oder, wo sie gekannt war,
als Feind und Eindringling verabscheut; ein Weniges an Gemüse
gedieh auf den "Kuhmistwällen", sonst -- Fisch und Krebse und
Krebse und Fisch. Seuchen konnten nicht ausbleiben; dennoch wird
eigens berichtet, daß ein kräftiger Menschenschlag (wie jetzt noch)
hier heimisch war und daß Leute von 90 und 100 Jahren nicht
zu den Seltenheiten zählten.

Ein hervorstechender Zug der Wenden, z. B. auch der Spree-
wald-Wenden, ist ihre Heiterkeit und ihre ausgesprochene Vorliebe

ausdrucksvolle Gesichter, sind nicht schön und mehr hager als beleibt; die
Mädchen und jungen Frauen hingegen zeigen vollere Formen, frische Far-
ben (nicht den Pergament-Teint andrer Luch- und Bruchgegenden) und
sind oft sehr hübsch; die dunklen Augen voll Feuer und Leben."

ihres chriſtlichen Bekenntniſſes mit den alten Wendengöttern nie recht
gebrochen hatten. Der Aberglaube hatte in dieſen Sümpfen eine
wahre Brutſtätte. Kirchen gab es zwar in ein oder zwei dieſer
Dörfer, aber der Geiſtliche erſchien nur alle 6 oder 8 Wochen,
um eine Predigt zu halten und der Verkehr mit den glücklicheren
Randdörfern oder gar mit den Städten (wohin ſie eingepfarrt
waren) war durch Ueberſchwemmungen und grundloſe Wege er-
ſchwert. Man darf mit nur allzu gutem Rechte behaupten, daß
die Brücher in allem, was geiſtlichen Zuſpruch und geiſtiges Leben
anging, von den Broſamen lebten, die von des Herren Tiſche fie-
len. Die Todten, um ihnen eine ruhige Stätte zu gönnen (denn
die Fluthen hätten die Gräber aufgewühlt), wurden nach Wriezen
hin, oder auf den Höhe-Dörfern begraben und die Taufe der Kin-
der erfolgte, vielleicht 4 oder 6 mal des Jahres, in ganzen Trupps.
Es wurden dann Boten nach der benachbarten Stadt abgefertigt,
welche den ganzen Trupp dem dortigen Geiſtlichen zur Taufe zu
überbringen hatten, wobei es ſich nicht ſelten zutrug, daß von die-
ſen, in großen Körben transportirten Kindern, das eine oder
andre auf der Ueberfahrt ſtarb.

Die geiſtige Speiſe, die geboten wurde, war ſpärlich und die
leibliche nicht minder; Korn wurde wenig oder gar nicht gebaut,
die Kartoffel war noch nicht gekannt, oder, wo ſie gekannt war,
als Feind und Eindringling verabſcheut; ein Weniges an Gemüſe
gedieh auf den „Kuhmiſtwällen“, ſonſt — Fiſch und Krebſe und
Krebſe und Fiſch. Seuchen konnten nicht ausbleiben; dennoch wird
eigens berichtet, daß ein kräftiger Menſchenſchlag (wie jetzt noch)
hier heimiſch war und daß Leute von 90 und 100 Jahren nicht
zu den Seltenheiten zählten.

Ein hervorſtechender Zug der Wenden, z. B. auch der Spree-
wald-Wenden, iſt ihre Heiterkeit und ihre ausgeſprochene Vorliebe

ausdrucksvolle Geſichter, ſind nicht ſchön und mehr hager als beleibt; die
Mädchen und jungen Frauen hingegen zeigen vollere Formen, friſche Far-
ben (nicht den Pergament-Teint andrer Luch- und Bruchgegenden) und
ſind oft ſehr hübſch; die dunklen Augen voll Feuer und Leben.“
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[210/0222] ihres chriſtlichen Bekenntniſſes mit den alten Wendengöttern nie recht gebrochen hatten. Der Aberglaube hatte in dieſen Sümpfen eine wahre Brutſtätte. Kirchen gab es zwar in ein oder zwei dieſer Dörfer, aber der Geiſtliche erſchien nur alle 6 oder 8 Wochen, um eine Predigt zu halten und der Verkehr mit den glücklicheren Randdörfern oder gar mit den Städten (wohin ſie eingepfarrt waren) war durch Ueberſchwemmungen und grundloſe Wege er- ſchwert. Man darf mit nur allzu gutem Rechte behaupten, daß die Brücher in allem, was geiſtlichen Zuſpruch und geiſtiges Leben anging, von den Broſamen lebten, die von des Herren Tiſche fie- len. Die Todten, um ihnen eine ruhige Stätte zu gönnen (denn die Fluthen hätten die Gräber aufgewühlt), wurden nach Wriezen hin, oder auf den Höhe-Dörfern begraben und die Taufe der Kin- der erfolgte, vielleicht 4 oder 6 mal des Jahres, in ganzen Trupps. Es wurden dann Boten nach der benachbarten Stadt abgefertigt, welche den ganzen Trupp dem dortigen Geiſtlichen zur Taufe zu überbringen hatten, wobei es ſich nicht ſelten zutrug, daß von die- ſen, in großen Körben transportirten Kindern, das eine oder andre auf der Ueberfahrt ſtarb. Die geiſtige Speiſe, die geboten wurde, war ſpärlich und die leibliche nicht minder; Korn wurde wenig oder gar nicht gebaut, die Kartoffel war noch nicht gekannt, oder, wo ſie gekannt war, als Feind und Eindringling verabſcheut; ein Weniges an Gemüſe gedieh auf den „Kuhmiſtwällen“, ſonſt — Fiſch und Krebſe und Krebſe und Fiſch. Seuchen konnten nicht ausbleiben; dennoch wird eigens berichtet, daß ein kräftiger Menſchenſchlag (wie jetzt noch) hier heimiſch war und daß Leute von 90 und 100 Jahren nicht zu den Seltenheiten zählten. Ein hervorſtechender Zug der Wenden, z. B. auch der Spree- wald-Wenden, iſt ihre Heiterkeit und ihre ausgeſprochene Vorliebe *) *) ausdrucksvolle Geſichter, ſind nicht ſchön und mehr hager als beleibt; die Mädchen und jungen Frauen hingegen zeigen vollere Formen, friſche Far- ben (nicht den Pergament-Teint andrer Luch- und Bruchgegenden) und ſind oft ſehr hübſch; die dunklen Augen voll Feuer und Leben.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/222>, abgerufen am 25.11.2024.