auf sich. Es ist zwar wahr, daß das Wappen der Uchtenhagen, der Wedell und der Jagow, ein und dasselbe ist (ein rothes Rad im silbernen Felde); aber diese Wappengemeinschaft, so viel, ja so entscheidendes sie für die Zusammengehörigkeit der drei Familien beweist, so wenig beweist sie speciell für einen etwaigen historischen Kern des eben Erzählten. Es giebt ein Dorf Uchtenhagen bis die- sen Tag in der Altmark, und wenn auch bisher noch nicht fest- gestellt werden konnte, wann und unter welchen Umständen das Geschlecht, das jenem altmärkischen Dorf den Namen gab oder ihn, umgekehrt, von ihm erhielt, in die Freienwalder Gegend kam, so scheint doch so viel gewiß, daß das Geschlecht weder aus den Wedells, noch aus den Jagows (wie die obigen beiden Sagen erzählen) erwuchs, sondern von Anfang an, als zu einer gemein- schaftlichen Sippe gehörend, mit und neben ihnen stand. Alles spricht dafür, daß beide Sagen erst in der Nach-Uchtenhagenschen Zeit d. h. also nach dem Erlöschen des Geschlechts entstanden sind. Sie gehören höchst wahrscheinlich der Klasse der bloßen Zurecht- machungen, jenen nachträglichen Erfindungen an, die ihre Wur- zeln nicht auf dem Berge, sondern uns zu Füßen haben, Sagen also, die weniger jenen Epheus gleichen, die natürlich-phantastisch von oben her zu uns herniedersteigen, als jenem Epheu, den wir künstlich am Spaliere von unten nach oben ziehn.
Aber das mangelnde historische Fundament soll uns nicht undankbar machen gegen die Sage selbst, die, sie sei jung oder alt, verwirrend oder die rechten Wege führend, um ihrer selbst willen ihre Berechtigung hat. Wir überlassen uns deshalb, eh wir in das Gebiet der Geschichte eintreten, auch jetzt noch ihrer Füh- rung und erfahren von ihr, nachdem wir sorglos ihren heraldi- schen Märchen und ihrer Erzählung von dem Erscheinen der Uch- tenhagen in Freienwalde gelauscht haben, daß der Schloßberg es war, auf dem sich die erste und älteste Burg der Uchtenhagen erhob.
Diesem Schloßberg gilt jetzt unser Besuch.
Wir haben Freienwalde mit der Nachmittagspost erreicht und
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auf ſich. Es iſt zwar wahr, daß das Wappen der Uchtenhagen, der Wedell und der Jagow, ein und daſſelbe iſt (ein rothes Rad im ſilbernen Felde); aber dieſe Wappengemeinſchaft, ſo viel, ja ſo entſcheidendes ſie für die Zuſammengehörigkeit der drei Familien beweiſt, ſo wenig beweiſt ſie ſpeciell für einen etwaigen hiſtoriſchen Kern des eben Erzählten. Es giebt ein Dorf Uchtenhagen bis die- ſen Tag in der Altmark, und wenn auch bisher noch nicht feſt- geſtellt werden konnte, wann und unter welchen Umſtänden das Geſchlecht, das jenem altmärkiſchen Dorf den Namen gab oder ihn, umgekehrt, von ihm erhielt, in die Freienwalder Gegend kam, ſo ſcheint doch ſo viel gewiß, daß das Geſchlecht weder aus den Wedells, noch aus den Jagows (wie die obigen beiden Sagen erzählen) erwuchs, ſondern von Anfang an, als zu einer gemein- ſchaftlichen Sippe gehörend, mit und neben ihnen ſtand. Alles ſpricht dafür, daß beide Sagen erſt in der Nach-Uchtenhagenſchen Zeit d. h. alſo nach dem Erlöſchen des Geſchlechts entſtanden ſind. Sie gehören höchſt wahrſcheinlich der Klaſſe der bloßen Zurecht- machungen, jenen nachträglichen Erfindungen an, die ihre Wur- zeln nicht auf dem Berge, ſondern uns zu Füßen haben, Sagen alſo, die weniger jenen Epheus gleichen, die natürlich-phantaſtiſch von oben her zu uns herniederſteigen, als jenem Epheu, den wir künſtlich am Spaliere von unten nach oben ziehn.
Aber das mangelnde hiſtoriſche Fundament ſoll uns nicht undankbar machen gegen die Sage ſelbſt, die, ſie ſei jung oder alt, verwirrend oder die rechten Wege führend, um ihrer ſelbſt willen ihre Berechtigung hat. Wir überlaſſen uns deshalb, eh wir in das Gebiet der Geſchichte eintreten, auch jetzt noch ihrer Füh- rung und erfahren von ihr, nachdem wir ſorglos ihren heraldi- ſchen Märchen und ihrer Erzählung von dem Erſcheinen der Uch- tenhagen in Freienwalde gelauſcht haben, daß der Schloßberg es war, auf dem ſich die erſte und älteſte Burg der Uchtenhagen erhob.
Dieſem Schloßberg gilt jetzt unſer Beſuch.
Wir haben Freienwalde mit der Nachmittagspoſt erreicht und
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auf ſich. Es iſt zwar wahr, daß das Wappen der Uchtenhagen,
der Wedell und der Jagow, ein und daſſelbe iſt (ein rothes Rad
im ſilbernen Felde); aber dieſe Wappengemeinſchaft, ſo viel, ja ſo
entſcheidendes ſie für die Zuſammengehörigkeit der drei Familien
beweiſt, ſo wenig beweiſt ſie ſpeciell für einen etwaigen hiſtoriſchen
Kern des eben Erzählten. Es giebt ein Dorf Uchtenhagen bis die-
ſen Tag in der Altmark, und wenn auch bisher noch nicht feſt-
geſtellt werden konnte, wann und unter welchen Umſtänden das
Geſchlecht, das jenem altmärkiſchen Dorf den Namen gab oder
ihn, umgekehrt, von ihm erhielt, in die Freienwalder Gegend kam,
ſo ſcheint doch ſo viel gewiß, daß das Geſchlecht weder aus den
Wedells, noch aus den Jagows (wie die obigen beiden Sagen
erzählen) erwuchs, ſondern von Anfang an, als zu einer gemein-
ſchaftlichen Sippe gehörend, mit und neben ihnen ſtand. Alles
ſpricht dafür, daß beide Sagen erſt in der Nach-Uchtenhagenſchen
Zeit d. h. alſo nach dem Erlöſchen des Geſchlechts entſtanden ſind.
Sie gehören höchſt wahrſcheinlich der Klaſſe der bloßen Zurecht-
machungen, jenen nachträglichen Erfindungen an, die ihre Wur-
zeln nicht auf dem Berge, ſondern uns zu Füßen haben, Sagen
alſo, die weniger jenen Epheus gleichen, die natürlich-phantaſtiſch
von oben her zu uns herniederſteigen, als jenem Epheu, den wir
künſtlich am Spaliere von unten nach oben ziehn.
Aber das mangelnde hiſtoriſche Fundament ſoll uns nicht
undankbar machen gegen die Sage ſelbſt, die, ſie ſei jung oder
alt, verwirrend oder die rechten Wege führend, um ihrer ſelbſt
willen ihre Berechtigung hat. Wir überlaſſen uns deshalb, eh wir
in das Gebiet der Geſchichte eintreten, auch jetzt noch ihrer Füh-
rung und erfahren von ihr, nachdem wir ſorglos ihren heraldi-
ſchen Märchen und ihrer Erzählung von dem Erſcheinen der Uch-
tenhagen in Freienwalde gelauſcht haben, daß der Schloßberg
es war, auf dem ſich die erſte und älteſte Burg der Uchtenhagen
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Wir haben Freienwalde mit der Nachmittagspoſt erreicht und
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/319>, abgerufen am 22.11.2024.
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