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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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und durchgeistigt, aber wie vorausbestimmt zu Leid und frühem Tod.
Seine Kleidung zeigt reicher Leute Kind. Ueber dem rothen Unter-
kleid trägt er einen grünen Ueberwurf mit reichem Goldbesatz (das-
selbe Grün, das auf den Bildern der van Eycks so viele Zauber
weckt) und getollte Halskrause, weiße Aermelchen und schwarze
Sammetschuhe, vollenden seine Kleidung und Erscheinung. In der
Rechten hält er eine schöne, große Birne, während ein Bologneser
Hündchen bittend, liebkosend an ihm emporspringt. Die Umschrift
aber lautet: "Da ich, Caspar von Uchtenhagen, bin gewest dieser
Gestalt, war ich viertehalb Jahr alt, Anno 1597 d. 18. November."

Es ist ersichtlich, daß dies überaus anziehende Bild, das
wirklich eine Geschichte herauszufordern scheint, die äußre Ver-
anlassung zu jener Sage gegeben hat, die ich bereits erzählt habe.
Die Birne, das Hündchen, der Ausdruck der Wehmuth in den
Zügen, dazu der frühe Tod, -- es hätte (der Kiezer und ihrer
sagenbildenden Kraft ganz zu geschweigen) kein Fünkchen Poesie
in den Herzen der Freienwalder lebendig sein müssen, wenn sie
sich hätten die Gelegenheit entgehen lassen wollen, aus so dank-
barem und so naheliegendem Stoff eine Sage in's Leben zu rufen.

Wir freuen uns, daß die Sage da ist, möchten sie nicht
missen, aber sie ist eben Sage und nicht mehr. Der Beweis ist
mit Leichtigkeit zu führen. Das Bildniß selbst belehrt uns in sei-
ner Umschrift, daß es gemalt wurde, als Caspar von Uchtenhagen
ist "vierthalb Jahre alt gewest." Er muß also, da wir die
Birne auf diesem Bilde bereits erblicken, besagte Birne (vergiftet
oder nicht), wenn er sie überhaupt aß, mit vierthalb Jahren, oder
wohl gar schon früher, gegessen haben. Caspar von Uchtenhagen
starb aber erst 6 Jahre später, und wenn wir nicht annehmen
wollen, daß die Mark Brandenburg (die sich, Gott sei Dank, auf
das Brauen von Gifttränken nie absonderlich verstanden hat) da-
mals eine selbst Italien überbietende Meisterschaft in dieser Kunst
besessen habe, so haben wir guten Grund, die Geschichte von der
vergifteten Birne (wie fast alle Geschichten von vergifteten Birnen
und Aepfeln hierlandes) in das Gebiet der Sage zu verweisen.


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und durchgeiſtigt, aber wie vorausbeſtimmt zu Leid und frühem Tod.
Seine Kleidung zeigt reicher Leute Kind. Ueber dem rothen Unter-
kleid trägt er einen grünen Ueberwurf mit reichem Goldbeſatz (daſ-
ſelbe Grün, das auf den Bildern der van Eycks ſo viele Zauber
weckt) und getollte Halskrauſe, weiße Aermelchen und ſchwarze
Sammetſchuhe, vollenden ſeine Kleidung und Erſcheinung. In der
Rechten hält er eine ſchöne, große Birne, während ein Bologneſer
Hündchen bittend, liebkoſend an ihm emporſpringt. Die Umſchrift
aber lautet: „Da ich, Caspar von Uchtenhagen, bin geweſt dieſer
Geſtalt, war ich viertehalb Jahr alt, Anno 1597 d. 18. November.“

Es iſt erſichtlich, daß dies überaus anziehende Bild, das
wirklich eine Geſchichte herauszufordern ſcheint, die äußre Ver-
anlaſſung zu jener Sage gegeben hat, die ich bereits erzählt habe.
Die Birne, das Hündchen, der Ausdruck der Wehmuth in den
Zügen, dazu der frühe Tod, — es hätte (der Kiezer und ihrer
ſagenbildenden Kraft ganz zu geſchweigen) kein Fünkchen Poeſie
in den Herzen der Freienwalder lebendig ſein müſſen, wenn ſie
ſich hätten die Gelegenheit entgehen laſſen wollen, aus ſo dank-
barem und ſo naheliegendem Stoff eine Sage in’s Leben zu rufen.

Wir freuen uns, daß die Sage da iſt, möchten ſie nicht
miſſen, aber ſie iſt eben Sage und nicht mehr. Der Beweis iſt
mit Leichtigkeit zu führen. Das Bildniß ſelbſt belehrt uns in ſei-
ner Umſchrift, daß es gemalt wurde, als Caspar von Uchtenhagen
iſt „vierthalb Jahre alt geweſt.“ Er muß alſo, da wir die
Birne auf dieſem Bilde bereits erblicken, beſagte Birne (vergiftet
oder nicht), wenn er ſie überhaupt aß, mit vierthalb Jahren, oder
wohl gar ſchon früher, gegeſſen haben. Caspar von Uchtenhagen
ſtarb aber erſt 6 Jahre ſpäter, und wenn wir nicht annehmen
wollen, daß die Mark Brandenburg (die ſich, Gott ſei Dank, auf
das Brauen von Gifttränken nie abſonderlich verſtanden hat) da-
mals eine ſelbſt Italien überbietende Meiſterſchaft in dieſer Kunſt
beſeſſen habe, ſo haben wir guten Grund, die Geſchichte von der
vergifteten Birne (wie faſt alle Geſchichten von vergifteten Birnen
und Aepfeln hierlandes) in das Gebiet der Sage zu verweiſen.


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[321/0333] und durchgeiſtigt, aber wie vorausbeſtimmt zu Leid und frühem Tod. Seine Kleidung zeigt reicher Leute Kind. Ueber dem rothen Unter- kleid trägt er einen grünen Ueberwurf mit reichem Goldbeſatz (daſ- ſelbe Grün, das auf den Bildern der van Eycks ſo viele Zauber weckt) und getollte Halskrauſe, weiße Aermelchen und ſchwarze Sammetſchuhe, vollenden ſeine Kleidung und Erſcheinung. In der Rechten hält er eine ſchöne, große Birne, während ein Bologneſer Hündchen bittend, liebkoſend an ihm emporſpringt. Die Umſchrift aber lautet: „Da ich, Caspar von Uchtenhagen, bin geweſt dieſer Geſtalt, war ich viertehalb Jahr alt, Anno 1597 d. 18. November.“ Es iſt erſichtlich, daß dies überaus anziehende Bild, das wirklich eine Geſchichte herauszufordern ſcheint, die äußre Ver- anlaſſung zu jener Sage gegeben hat, die ich bereits erzählt habe. Die Birne, das Hündchen, der Ausdruck der Wehmuth in den Zügen, dazu der frühe Tod, — es hätte (der Kiezer und ihrer ſagenbildenden Kraft ganz zu geſchweigen) kein Fünkchen Poeſie in den Herzen der Freienwalder lebendig ſein müſſen, wenn ſie ſich hätten die Gelegenheit entgehen laſſen wollen, aus ſo dank- barem und ſo naheliegendem Stoff eine Sage in’s Leben zu rufen. Wir freuen uns, daß die Sage da iſt, möchten ſie nicht miſſen, aber ſie iſt eben Sage und nicht mehr. Der Beweis iſt mit Leichtigkeit zu führen. Das Bildniß ſelbſt belehrt uns in ſei- ner Umſchrift, daß es gemalt wurde, als Caspar von Uchtenhagen iſt „vierthalb Jahre alt geweſt.“ Er muß alſo, da wir die Birne auf dieſem Bilde bereits erblicken, beſagte Birne (vergiftet oder nicht), wenn er ſie überhaupt aß, mit vierthalb Jahren, oder wohl gar ſchon früher, gegeſſen haben. Caspar von Uchtenhagen ſtarb aber erſt 6 Jahre ſpäter, und wenn wir nicht annehmen wollen, daß die Mark Brandenburg (die ſich, Gott ſei Dank, auf das Brauen von Gifttränken nie abſonderlich verſtanden hat) da- mals eine ſelbſt Italien überbietende Meiſterſchaft in dieſer Kunſt beſeſſen habe, ſo haben wir guten Grund, die Geſchichte von der vergifteten Birne (wie faſt alle Geſchichten von vergifteten Birnen und Aepfeln hierlandes) in das Gebiet der Sage zu verweiſen. 21

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/333>, abgerufen am 22.11.2024.