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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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beobachtet hatte, war natürlich schon damals befähigt, Aufschlüsse
über die Triebfedern und eine Gesammtdarstellung des großen Er-
eignisses zu geben, wie es der Geschichtschreibung, die einen Wust
von traditioneller Lobpreisung zu überwinden hatte, erst in viel
späteren Jahren möglich geworden ist. Er hatte alle kleinen und
schlechten Leidenschaften in dem Hexenkessel thätig gesehen und mußte
natürlich, durch die Lebendigkeit seiner Schilderungen und die
Ueberlegenheit seines politischen Urtheils, Anschauungen befestigen,
zu denen die Keime ohnehin von Anfang an im Gemüth unseres
Marwitz gelegen hatten. Er war von Natur Royalist, von da ab
begann er es auch mit Bewußtsein zu werden.

Noch zehn Jahre lang blieb Marwitz beim Regiment, endlich
(der Vater auf Friedersdorf war inzwischen gestorben) nahm er im
August 1802 seinen Abschied. Was ihn direkt dazu bestimmte, ist
schwer zu sagen. Waren es Vorgänge im Regiment, die ihm den
Dienst verleideten, war es der frivole Ton der Residenz, der sei-
nem auf Ernst und Wahrheit gestellten Wesen widerstand, oder
war es seine Verlobung mit der schönen Gräfin Franziska von
Brühl, die im Juli desselben Jahres stattgefunden hatte, gleichviel,
er quittirte den Dienst und zog sich nach Friedersdorf zurück. Die
Sehnsucht nach der väterlichen Scholle war erwacht; der Pflug
trat an die Stelle des Schwertes. Sein ganzes Wesen ließ keine
Halbheit zu, und mit demselben Ernst, mit dem er Soldat gewe-
sen war, ging er jetzt an die Bestellung seiner Aecker, an die
Pflege seines Guts. 1803 vermählte er sich, aber trübe Sterne
waren über Schloß Friedersdorf aufgegangen und der Tod trennte
nach kaum Jahresfrist ein Band, das die innigste gegenseitige Nei-
gung geschlossen hatte. Marwitz bestattete die geliebte Frau, die
sein Stolz und sein Glück gewesen war und schrieb auf den Grab-
stein: "Hier ruhet mein Glück."

"Hier ruhet mein Glück," und in der That, es war, als
habe Marwitz sein Glück begraben. Ueberall, wo sein Herz am ver-
wundbarsten war, da wurde es verwundet. Was von dem Gang
der großen Weltereignisse in seine Einsamkeit drang, steigerte nur

beobachtet hatte, war natürlich ſchon damals befähigt, Aufſchlüſſe
über die Triebfedern und eine Geſammtdarſtellung des großen Er-
eigniſſes zu geben, wie es der Geſchichtſchreibung, die einen Wuſt
von traditioneller Lobpreiſung zu überwinden hatte, erſt in viel
ſpäteren Jahren möglich geworden iſt. Er hatte alle kleinen und
ſchlechten Leidenſchaften in dem Hexenkeſſel thätig geſehen und mußte
natürlich, durch die Lebendigkeit ſeiner Schilderungen und die
Ueberlegenheit ſeines politiſchen Urtheils, Anſchauungen befeſtigen,
zu denen die Keime ohnehin von Anfang an im Gemüth unſeres
Marwitz gelegen hatten. Er war von Natur Royaliſt, von da ab
begann er es auch mit Bewußtſein zu werden.

Noch zehn Jahre lang blieb Marwitz beim Regiment, endlich
(der Vater auf Friedersdorf war inzwiſchen geſtorben) nahm er im
Auguſt 1802 ſeinen Abſchied. Was ihn direkt dazu beſtimmte, iſt
ſchwer zu ſagen. Waren es Vorgänge im Regiment, die ihm den
Dienſt verleideten, war es der frivole Ton der Reſidenz, der ſei-
nem auf Ernſt und Wahrheit geſtellten Weſen widerſtand, oder
war es ſeine Verlobung mit der ſchönen Gräfin Franziska von
Brühl, die im Juli deſſelben Jahres ſtattgefunden hatte, gleichviel,
er quittirte den Dienſt und zog ſich nach Friedersdorf zurück. Die
Sehnſucht nach der väterlichen Scholle war erwacht; der Pflug
trat an die Stelle des Schwertes. Sein ganzes Weſen ließ keine
Halbheit zu, und mit demſelben Ernſt, mit dem er Soldat gewe-
ſen war, ging er jetzt an die Beſtellung ſeiner Aecker, an die
Pflege ſeines Guts. 1803 vermählte er ſich, aber trübe Sterne
waren über Schloß Friedersdorf aufgegangen und der Tod trennte
nach kaum Jahresfriſt ein Band, das die innigſte gegenſeitige Nei-
gung geſchloſſen hatte. Marwitz beſtattete die geliebte Frau, die
ſein Stolz und ſein Glück geweſen war und ſchrieb auf den Grab-
ſtein: „Hier ruhet mein Glück.“

„Hier ruhet mein Glück,“ und in der That, es war, als
habe Marwitz ſein Glück begraben. Ueberall, wo ſein Herz am ver-
wundbarſten war, da wurde es verwundet. Was von dem Gang
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[366/0378] beobachtet hatte, war natürlich ſchon damals befähigt, Aufſchlüſſe über die Triebfedern und eine Geſammtdarſtellung des großen Er- eigniſſes zu geben, wie es der Geſchichtſchreibung, die einen Wuſt von traditioneller Lobpreiſung zu überwinden hatte, erſt in viel ſpäteren Jahren möglich geworden iſt. Er hatte alle kleinen und ſchlechten Leidenſchaften in dem Hexenkeſſel thätig geſehen und mußte natürlich, durch die Lebendigkeit ſeiner Schilderungen und die Ueberlegenheit ſeines politiſchen Urtheils, Anſchauungen befeſtigen, zu denen die Keime ohnehin von Anfang an im Gemüth unſeres Marwitz gelegen hatten. Er war von Natur Royaliſt, von da ab begann er es auch mit Bewußtſein zu werden. Noch zehn Jahre lang blieb Marwitz beim Regiment, endlich (der Vater auf Friedersdorf war inzwiſchen geſtorben) nahm er im Auguſt 1802 ſeinen Abſchied. Was ihn direkt dazu beſtimmte, iſt ſchwer zu ſagen. Waren es Vorgänge im Regiment, die ihm den Dienſt verleideten, war es der frivole Ton der Reſidenz, der ſei- nem auf Ernſt und Wahrheit geſtellten Weſen widerſtand, oder war es ſeine Verlobung mit der ſchönen Gräfin Franziska von Brühl, die im Juli deſſelben Jahres ſtattgefunden hatte, gleichviel, er quittirte den Dienſt und zog ſich nach Friedersdorf zurück. Die Sehnſucht nach der väterlichen Scholle war erwacht; der Pflug trat an die Stelle des Schwertes. Sein ganzes Weſen ließ keine Halbheit zu, und mit demſelben Ernſt, mit dem er Soldat gewe- ſen war, ging er jetzt an die Beſtellung ſeiner Aecker, an die Pflege ſeines Guts. 1803 vermählte er ſich, aber trübe Sterne waren über Schloß Friedersdorf aufgegangen und der Tod trennte nach kaum Jahresfriſt ein Band, das die innigſte gegenſeitige Nei- gung geſchloſſen hatte. Marwitz beſtattete die geliebte Frau, die ſein Stolz und ſein Glück geweſen war und ſchrieb auf den Grab- ſtein: „Hier ruhet mein Glück.“ „Hier ruhet mein Glück,“ und in der That, es war, als habe Marwitz ſein Glück begraben. Ueberall, wo ſein Herz am ver- wundbarſten war, da wurde es verwundet. Was von dem Gang der großen Weltereigniſſe in ſeine Einſamkeit drang, ſteigerte nur

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/378>, abgerufen am 21.11.2024.