die Niedergedrücktheit seines Gemüths. Endlich kam ein großer Schlag, und die politischen Vorgänge, die bis dahin nur Bitteres zu Bitterem gefügt hatten, jetzt schufen sie einen leidenschaftlichen Groll in seinem Herzen, und die Flamme hellen Zorns, die auf- schlug, wurde ihm zum Gegen, indem sie ihn seinem Brüten entriß.
Der napoleonische Uebermuth hatte Schmach auf Schmach gehäuft, neutrales preußisches Gebiet (Anspach) war in herausfor- dernder Weise verletzt worden; das durfte, das konnte nicht getra- gen werden. Oesterreich und Rußland standen bereits im Felde; Preußen mußte seine Truppen zum Heere beider stoßen lassen, der Krieg war sicher -- wenigstens in Marwitz's Augen. Er riß sich heraus, suchte beim König seinen Wiedereintritt nach, erhielt ihn und wurde, mit dem Range eines Rittmeisters, zum Adjutanten des Fürsten von Hohenlohe ernannt.
Aber nicht Jeder in preußischen Landen war damals ein Marwitz. Viele wurden durch Furcht und selbstsüchtige Bequem- lichkeit in ihren Ansichten bestimmt, andere trieben das traurige Geschäft der "Staatskünstelei." Noch viele Jahre später konnte Marwitz in nur zu gerechtfertigtem Unmuth ausrufen: "Was redet man beständig von dem edlen Enthusiasmus von 1813? 1805 war es Zeit, edlen Enthusiasmus zu zeigen. Damals galt es, noch ehe man selbst, in Großem und Kleinen, etwas verloren hatte, Schmach und Verderben vom Vaterlande fern zu halten. Wie nachher, zur gerechten Strafe, ein Jeder in seinem Hause geplagt und gepeinigt und, um ein Wesentliches nicht zu vergessen, die französische Armee in Rußland durch die Strafgerichte Gottes ver- nichtet war -- da war es keine Kunst, Enthusiasmus zu zeigen."
Der Tag von Austerlitz brach an, ehe Preußen sich entschlos- sen hatte; nach diesem Tage war es unnöthig, noch kriegerische Entschlüsse zu fassen. Es blieb Friede (freilich ein Friede wie Ge- witterschwüle), und Marwitz, nachdem er zum zweitenmale seinen Abschied genommen, kehrte nach dem väterlichen Gute zurück.
Die Erfahrungen der letzten Monate, die Schwäche, die Halb- heit, die Indifferenz, ja die ausgesprochene französische Gesinnung,
die Niedergedrücktheit ſeines Gemüths. Endlich kam ein großer Schlag, und die politiſchen Vorgänge, die bis dahin nur Bitteres zu Bitterem gefügt hatten, jetzt ſchufen ſie einen leidenſchaftlichen Groll in ſeinem Herzen, und die Flamme hellen Zorns, die auf- ſchlug, wurde ihm zum Gegen, indem ſie ihn ſeinem Brüten entriß.
Der napoleoniſche Uebermuth hatte Schmach auf Schmach gehäuft, neutrales preußiſches Gebiet (Anſpach) war in herausfor- dernder Weiſe verletzt worden; das durfte, das konnte nicht getra- gen werden. Oeſterreich und Rußland ſtanden bereits im Felde; Preußen mußte ſeine Truppen zum Heere beider ſtoßen laſſen, der Krieg war ſicher — wenigſtens in Marwitz’s Augen. Er riß ſich heraus, ſuchte beim König ſeinen Wiedereintritt nach, erhielt ihn und wurde, mit dem Range eines Rittmeiſters, zum Adjutanten des Fürſten von Hohenlohe ernannt.
Aber nicht Jeder in preußiſchen Landen war damals ein Marwitz. Viele wurden durch Furcht und ſelbſtſüchtige Bequem- lichkeit in ihren Anſichten beſtimmt, andere trieben das traurige Geſchäft der „Staatskünſtelei.“ Noch viele Jahre ſpäter konnte Marwitz in nur zu gerechtfertigtem Unmuth ausrufen: „Was redet man beſtändig von dem edlen Enthuſiasmus von 1813? 1805 war es Zeit, edlen Enthuſiasmus zu zeigen. Damals galt es, noch ehe man ſelbſt, in Großem und Kleinen, etwas verloren hatte, Schmach und Verderben vom Vaterlande fern zu halten. Wie nachher, zur gerechten Strafe, ein Jeder in ſeinem Hauſe geplagt und gepeinigt und, um ein Weſentliches nicht zu vergeſſen, die franzöſiſche Armee in Rußland durch die Strafgerichte Gottes ver- nichtet war — da war es keine Kunſt, Enthuſiasmus zu zeigen.“
Der Tag von Auſterlitz brach an, ehe Preußen ſich entſchloſ- ſen hatte; nach dieſem Tage war es unnöthig, noch kriegeriſche Entſchlüſſe zu faſſen. Es blieb Friede (freilich ein Friede wie Ge- witterſchwüle), und Marwitz, nachdem er zum zweitenmale ſeinen Abſchied genommen, kehrte nach dem väterlichen Gute zurück.
Die Erfahrungen der letzten Monate, die Schwäche, die Halb- heit, die Indifferenz, ja die ausgeſprochene franzöſiſche Geſinnung,
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die Niedergedrücktheit ſeines Gemüths. Endlich kam ein großer
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zu Bitterem gefügt hatten, jetzt ſchufen ſie einen leidenſchaftlichen
Groll in ſeinem Herzen, und die Flamme hellen Zorns, die auf-
ſchlug, wurde ihm zum Gegen, indem ſie ihn ſeinem Brüten entriß.
Der napoleoniſche Uebermuth hatte Schmach auf Schmach
gehäuft, neutrales preußiſches Gebiet (Anſpach) war in herausfor-
dernder Weiſe verletzt worden; das durfte, das konnte nicht getra-
gen werden. Oeſterreich und Rußland ſtanden bereits im Felde;
Preußen mußte ſeine Truppen zum Heere beider ſtoßen laſſen, der
Krieg war ſicher — wenigſtens in Marwitz’s Augen. Er riß ſich
heraus, ſuchte beim König ſeinen Wiedereintritt nach, erhielt ihn
und wurde, mit dem Range eines Rittmeiſters, zum Adjutanten
des Fürſten von Hohenlohe ernannt.
Aber nicht Jeder in preußiſchen Landen war damals ein
Marwitz. Viele wurden durch Furcht und ſelbſtſüchtige Bequem-
lichkeit in ihren Anſichten beſtimmt, andere trieben das traurige
Geſchäft der „Staatskünſtelei.“ Noch viele Jahre ſpäter konnte
Marwitz in nur zu gerechtfertigtem Unmuth ausrufen: „Was redet
man beſtändig von dem edlen Enthuſiasmus von 1813? 1805
war es Zeit, edlen Enthuſiasmus zu zeigen. Damals galt es,
noch ehe man ſelbſt, in Großem und Kleinen, etwas verloren hatte,
Schmach und Verderben vom Vaterlande fern zu halten. Wie
nachher, zur gerechten Strafe, ein Jeder in ſeinem Hauſe geplagt
und gepeinigt und, um ein Weſentliches nicht zu vergeſſen, die
franzöſiſche Armee in Rußland durch die Strafgerichte Gottes ver-
nichtet war — da war es keine Kunſt, Enthuſiasmus zu zeigen.“
Der Tag von Auſterlitz brach an, ehe Preußen ſich entſchloſ-
ſen hatte; nach dieſem Tage war es unnöthig, noch kriegeriſche
Entſchlüſſe zu faſſen. Es blieb Friede (freilich ein Friede wie Ge-
witterſchwüle), und Marwitz, nachdem er zum zweitenmale ſeinen
Abſchied genommen, kehrte nach dem väterlichen Gute zurück.
Die Erfahrungen der letzten Monate, die Schwäche, die Halb-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/379>, abgerufen am 21.11.2024.
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