Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

der er fast überall in der Hauptstadt begegnet war, während schon
die napoleonischen Adler, stoßbereit, über Preußen schwebten, alles
das hatte wenig dazu beitragen können, seinem Gemüth den Muth
und die Freudigkeit zurückzugeben, die ihn zehn Jahre früher er-
füllt hatten, wenn er bei "Hirsch und Jäger" im Berliner Thier-
garten einer der eifrigsten gewesen war. Trübes Gewölk hing jetzt
über ihm, und wenn auf länger oder kürzer das Wetter verschwun-
den schien, das drohend über dem Lande stand, so traf es ihn
doppelt hart am eigenen Herd. Das Kriegsfeuer, das die Luft
hätte reinigen können, war dem Lande zur Unzeit erspart worden,
aber auf seinem eigenen Hofe brach ein Feuer aus und zerstörte
Ställe und Scheunen und die Ernte des letzten Jahres. Zu der
innerlichen Noth gesellte sich die äußere Bedrängniß; was ihn
aufrecht hielt, war ein starkes Gottvertrauen und das bestimmte
Gefühl, daß neue Noth und neue Kämpfe bevorstünden, gegen die
es geboten sei, sich zu waffnen. Das Unglück, das ihn traf, rüstete
ihn gegen größeres.

Dieses "größere", wer kennt es nicht! Die Kaiserkatze, die so
lange mit der Maus gespielt hatte, jetzt war sie des Spieles müde
und hob die Tatze, um tödtlich zu treffen. Der Kampf war un-
vermeidlich geworden. Zum dritten Mal trat Marwitz ein; er
hoffte nichts, aber gleichviel, er liebte es, da zu stehen, wohin ihn
Pflicht und Ehre stellten, unbekümmert darum, ob ihm auch die
Hoffnung zur Seite stehe oder nicht. Fürst Hohenlohe, der ihn
schätzen gelernt hatte, erbat ihn sich abermals als Adjutanten. Der
König willigte ein. So kam der Nebelmorgen jenes vierzehnten
Oktober, der so viel Schmach und Elend in seinen Schleiern barg.
An Marwitz lag es nicht, daß der Ausgang des Tages war, wie
er war; das Pferd wurde ihm unterm Leibe getödtet, sein Hut von
Kugeln durchlöchert, mehr als einmal führte er wankende Regi-
menter in die Schlachtreihe zurück, -- umsonst, die Anstrengungen
der Einzelnen vermochten nichts. Geist, Leben, Siegeszuversicht
waren, wie aus Land und Volk überhaupt, so auch aus jener
stolzen Schöpfung gewichen, die sich die Armee Friedrichs des Gro-

der er faſt überall in der Hauptſtadt begegnet war, während ſchon
die napoleoniſchen Adler, ſtoßbereit, über Preußen ſchwebten, alles
das hatte wenig dazu beitragen können, ſeinem Gemüth den Muth
und die Freudigkeit zurückzugeben, die ihn zehn Jahre früher er-
füllt hatten, wenn er bei „Hirſch und Jäger“ im Berliner Thier-
garten einer der eifrigſten geweſen war. Trübes Gewölk hing jetzt
über ihm, und wenn auf länger oder kürzer das Wetter verſchwun-
den ſchien, das drohend über dem Lande ſtand, ſo traf es ihn
doppelt hart am eigenen Herd. Das Kriegsfeuer, das die Luft
hätte reinigen können, war dem Lande zur Unzeit erſpart worden,
aber auf ſeinem eigenen Hofe brach ein Feuer aus und zerſtörte
Ställe und Scheunen und die Ernte des letzten Jahres. Zu der
innerlichen Noth geſellte ſich die äußere Bedrängniß; was ihn
aufrecht hielt, war ein ſtarkes Gottvertrauen und das beſtimmte
Gefühl, daß neue Noth und neue Kämpfe bevorſtünden, gegen die
es geboten ſei, ſich zu waffnen. Das Unglück, das ihn traf, rüſtete
ihn gegen größeres.

Dieſes „größere“, wer kennt es nicht! Die Kaiſerkatze, die ſo
lange mit der Maus geſpielt hatte, jetzt war ſie des Spieles müde
und hob die Tatze, um tödtlich zu treffen. Der Kampf war un-
vermeidlich geworden. Zum dritten Mal trat Marwitz ein; er
hoffte nichts, aber gleichviel, er liebte es, da zu ſtehen, wohin ihn
Pflicht und Ehre ſtellten, unbekümmert darum, ob ihm auch die
Hoffnung zur Seite ſtehe oder nicht. Fürſt Hohenlohe, der ihn
ſchätzen gelernt hatte, erbat ihn ſich abermals als Adjutanten. Der
König willigte ein. So kam der Nebelmorgen jenes vierzehnten
Oktober, der ſo viel Schmach und Elend in ſeinen Schleiern barg.
An Marwitz lag es nicht, daß der Ausgang des Tages war, wie
er war; das Pferd wurde ihm unterm Leibe getödtet, ſein Hut von
Kugeln durchlöchert, mehr als einmal führte er wankende Regi-
menter in die Schlachtreihe zurück, — umſonſt, die Anſtrengungen
der Einzelnen vermochten nichts. Geiſt, Leben, Siegeszuverſicht
waren, wie aus Land und Volk überhaupt, ſo auch aus jener
ſtolzen Schöpfung gewichen, die ſich die Armee Friedrichs des Gro-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0380" n="368"/>
der er fa&#x017F;t überall in der Haupt&#x017F;tadt begegnet war, während &#x017F;chon<lb/>
die napoleoni&#x017F;chen Adler, &#x017F;toßbereit, über Preußen &#x017F;chwebten, alles<lb/>
das hatte wenig dazu beitragen können, &#x017F;einem Gemüth den Muth<lb/>
und die Freudigkeit zurückzugeben, die ihn zehn Jahre früher er-<lb/>
füllt hatten, wenn er bei &#x201E;Hir&#x017F;ch und Jäger&#x201C; im Berliner Thier-<lb/>
garten einer der eifrig&#x017F;ten gewe&#x017F;en war. Trübes Gewölk hing jetzt<lb/>
über ihm, und wenn auf länger oder kürzer das Wetter ver&#x017F;chwun-<lb/>
den &#x017F;chien, das drohend über dem Lande &#x017F;tand, &#x017F;o traf es ihn<lb/>
doppelt hart am eigenen Herd. Das Kriegsfeuer, das die Luft<lb/>
hätte reinigen können, war dem Lande zur Unzeit er&#x017F;part worden,<lb/>
aber auf &#x017F;einem eigenen Hofe brach ein Feuer aus und zer&#x017F;törte<lb/>
Ställe und Scheunen und die Ernte des letzten Jahres. Zu der<lb/>
innerlichen Noth ge&#x017F;ellte &#x017F;ich die äußere Bedrängniß; was ihn<lb/>
aufrecht hielt, war ein &#x017F;tarkes Gottvertrauen und das be&#x017F;timmte<lb/>
Gefühl, daß neue Noth und neue Kämpfe bevor&#x017F;tünden, gegen die<lb/>
es geboten &#x017F;ei, &#x017F;ich zu waffnen. Das Unglück, das ihn traf, rü&#x017F;tete<lb/>
ihn gegen größeres.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;es &#x201E;größere&#x201C;, wer kennt es nicht! Die Kai&#x017F;erkatze, die &#x017F;o<lb/>
lange mit der Maus ge&#x017F;pielt hatte, jetzt war &#x017F;ie des Spieles müde<lb/>
und hob die Tatze, um tödtlich zu treffen. Der Kampf war un-<lb/>
vermeidlich geworden. Zum <hi rendition="#g">dritten</hi> Mal trat Marwitz ein; er<lb/>
hoffte nichts, aber gleichviel, er liebte es, da zu &#x017F;tehen, wohin ihn<lb/>
Pflicht und Ehre &#x017F;tellten, unbekümmert darum, ob ihm auch die<lb/>
Hoffnung zur Seite &#x017F;tehe oder nicht. Für&#x017F;t Hohenlohe, der ihn<lb/>
&#x017F;chätzen gelernt hatte, erbat ihn &#x017F;ich abermals als Adjutanten. Der<lb/>
König willigte ein. So kam der Nebelmorgen jenes vierzehnten<lb/>
Oktober, der &#x017F;o viel Schmach und Elend in &#x017F;einen Schleiern barg.<lb/>
An Marwitz lag es nicht, daß der Ausgang des Tages war, wie<lb/>
er war; das Pferd wurde ihm unterm Leibe getödtet, &#x017F;ein Hut von<lb/>
Kugeln durchlöchert, mehr als einmal führte er wankende Regi-<lb/>
menter in die Schlachtreihe zurück, &#x2014; um&#x017F;on&#x017F;t, die An&#x017F;trengungen<lb/>
der Einzelnen vermochten nichts. Gei&#x017F;t, Leben, Siegeszuver&#x017F;icht<lb/>
waren, wie aus Land und Volk überhaupt, &#x017F;o auch aus jener<lb/>
&#x017F;tolzen Schöpfung gewichen, die &#x017F;ich die Armee Friedrichs des Gro-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[368/0380] der er faſt überall in der Hauptſtadt begegnet war, während ſchon die napoleoniſchen Adler, ſtoßbereit, über Preußen ſchwebten, alles das hatte wenig dazu beitragen können, ſeinem Gemüth den Muth und die Freudigkeit zurückzugeben, die ihn zehn Jahre früher er- füllt hatten, wenn er bei „Hirſch und Jäger“ im Berliner Thier- garten einer der eifrigſten geweſen war. Trübes Gewölk hing jetzt über ihm, und wenn auf länger oder kürzer das Wetter verſchwun- den ſchien, das drohend über dem Lande ſtand, ſo traf es ihn doppelt hart am eigenen Herd. Das Kriegsfeuer, das die Luft hätte reinigen können, war dem Lande zur Unzeit erſpart worden, aber auf ſeinem eigenen Hofe brach ein Feuer aus und zerſtörte Ställe und Scheunen und die Ernte des letzten Jahres. Zu der innerlichen Noth geſellte ſich die äußere Bedrängniß; was ihn aufrecht hielt, war ein ſtarkes Gottvertrauen und das beſtimmte Gefühl, daß neue Noth und neue Kämpfe bevorſtünden, gegen die es geboten ſei, ſich zu waffnen. Das Unglück, das ihn traf, rüſtete ihn gegen größeres. Dieſes „größere“, wer kennt es nicht! Die Kaiſerkatze, die ſo lange mit der Maus geſpielt hatte, jetzt war ſie des Spieles müde und hob die Tatze, um tödtlich zu treffen. Der Kampf war un- vermeidlich geworden. Zum dritten Mal trat Marwitz ein; er hoffte nichts, aber gleichviel, er liebte es, da zu ſtehen, wohin ihn Pflicht und Ehre ſtellten, unbekümmert darum, ob ihm auch die Hoffnung zur Seite ſtehe oder nicht. Fürſt Hohenlohe, der ihn ſchätzen gelernt hatte, erbat ihn ſich abermals als Adjutanten. Der König willigte ein. So kam der Nebelmorgen jenes vierzehnten Oktober, der ſo viel Schmach und Elend in ſeinen Schleiern barg. An Marwitz lag es nicht, daß der Ausgang des Tages war, wie er war; das Pferd wurde ihm unterm Leibe getödtet, ſein Hut von Kugeln durchlöchert, mehr als einmal führte er wankende Regi- menter in die Schlachtreihe zurück, — umſonſt, die Anſtrengungen der Einzelnen vermochten nichts. Geiſt, Leben, Siegeszuverſicht waren, wie aus Land und Volk überhaupt, ſo auch aus jener ſtolzen Schöpfung gewichen, die ſich die Armee Friedrichs des Gro-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/380
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/380>, abgerufen am 24.11.2024.