Das fühlte Marwitz sehr wohl. Er vertheidigte also das Stän- dische als ein äußerlich ererbtes Gut, aber er hielt es auch auf- recht im vollen Glauben an die innerliche Berechtigung desselben. Dieß führt mich von der einfachen Rechtsfrage auf das politi- sche Gebiet.
Mußte der alte ständische Bau fallen, oder nicht? Millionen sagten ja, Marwitz sagte nein. Für ihn handelte sich alles um Wiederbelebung; nicht Tod, nur Lähmung war über den alten, kräftigen Organismus des Landes gekommen; es galt einen Bann, eine Krankheit von ihm zu nehmen, und alles war wieder gut. Nicht die Paragraphen und Institutionen, die Herzen der Menschen wollte er wandeln; an die Stelle kleiner Gesinnung sollte hohe Liebe und idealer Schwung, an die Stelle philiströser Beschränktheit eine opferfreudige Begeisterung treten, -- so wollte er reformiren. Vortrefflich; aber wie? wodurch? Um die Weckung oder Mehrung dieser Dinge hat es sich immer gehandelt. Wie aber wollte Marwitz an die Herzen heran, wie wollte er das Wunder vollziehen? Die Antwort auf diese Frage ist er schuldig geblieben. Er zeigte das Ziel, aber nicht den Weg. Die bloße Bußpredigt und ein langes Sündenregister haben noch nie geholfen. Hier liegt sein Fehler, sein politischer Fehler. Das Alte, ob mit Recht oder Unrecht, war jedem ein Gräuel geworden; es war unmöglich, wenigstens damals unmöglich, eine Begeisterung dafür wach zu rufen; wenn Leben überhaupt geweckt werden sollte, so mußte es für etwas Neues geweckt werden, selbst auf die Gefahr hin, daß es sich als ein Falsches erweisen würde. Es handelte sich in diesem Augenblick nicht um gesunde Nahrungs-, sondern um Bele- bungs- und Erweckungsmittel. Dieß wußte Hardenberg, in dem Sinne handelte er und dafür haben wir ihm zu danken, sei er im übrigen wie er sei.
Der alte ständische Staat hatte dem Sturm nicht widerstan- den und ein neues Haus mußte bezogen werden, wenigstens auf Probe. Möglich, daß der Zusammensturz nicht an der Schlechtigkeit des alten Baus, sondern an der Heftigkeit des
Das fühlte Marwitz ſehr wohl. Er vertheidigte alſo das Stän- diſche als ein äußerlich ererbtes Gut, aber er hielt es auch auf- recht im vollen Glauben an die innerliche Berechtigung deſſelben. Dieß führt mich von der einfachen Rechtsfrage auf das politi- ſche Gebiet.
Mußte der alte ſtändiſche Bau fallen, oder nicht? Millionen ſagten ja, Marwitz ſagte nein. Für ihn handelte ſich alles um Wiederbelebung; nicht Tod, nur Lähmung war über den alten, kräftigen Organismus des Landes gekommen; es galt einen Bann, eine Krankheit von ihm zu nehmen, und alles war wieder gut. Nicht die Paragraphen und Inſtitutionen, die Herzen der Menſchen wollte er wandeln; an die Stelle kleiner Geſinnung ſollte hohe Liebe und idealer Schwung, an die Stelle philiſtröſer Beſchränktheit eine opferfreudige Begeiſterung treten, — ſo wollte er reformiren. Vortrefflich; aber wie? wodurch? Um die Weckung oder Mehrung dieſer Dinge hat es ſich immer gehandelt. Wie aber wollte Marwitz an die Herzen heran, wie wollte er das Wunder vollziehen? Die Antwort auf dieſe Frage iſt er ſchuldig geblieben. Er zeigte das Ziel, aber nicht den Weg. Die bloße Bußpredigt und ein langes Sündenregiſter haben noch nie geholfen. Hier liegt ſein Fehler, ſein politiſcher Fehler. Das Alte, ob mit Recht oder Unrecht, war jedem ein Gräuel geworden; es war unmöglich, wenigſtens damals unmöglich, eine Begeiſterung dafür wach zu rufen; wenn Leben überhaupt geweckt werden ſollte, ſo mußte es für etwas Neues geweckt werden, ſelbſt auf die Gefahr hin, daß es ſich als ein Falſches erweiſen würde. Es handelte ſich in dieſem Augenblick nicht um geſunde Nahrungs-, ſondern um Bele- bungs- und Erweckungsmittel. Dieß wußte Hardenberg, in dem Sinne handelte er und dafür haben wir ihm zu danken, ſei er im übrigen wie er ſei.
Der alte ſtändiſche Staat hatte dem Sturm nicht widerſtan- den und ein neues Haus mußte bezogen werden, wenigſtens auf Probe. Möglich, daß der Zuſammenſturz nicht an der Schlechtigkeit des alten Baus, ſondern an der Heftigkeit des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0393"n="381"/>
Das fühlte Marwitz ſehr wohl. Er vertheidigte alſo das Stän-<lb/>
diſche als ein äußerlich ererbtes Gut, aber er hielt es auch auf-<lb/>
recht im vollen Glauben an die <hirendition="#g">innerliche</hi> Berechtigung deſſelben.<lb/>
Dieß führt mich von der einfachen Rechtsfrage auf das <hirendition="#g">politi-<lb/>ſche</hi> Gebiet.</p><lb/><p>Mußte der alte ſtändiſche Bau fallen, oder nicht? Millionen<lb/>ſagten ja, Marwitz ſagte nein. Für ihn handelte ſich alles um<lb/><hirendition="#g">Wiederbelebung</hi>; nicht Tod, nur Lähmung war über den<lb/>
alten, kräftigen Organismus des Landes gekommen; es galt einen<lb/>
Bann, eine Krankheit von ihm zu nehmen, und alles war wieder<lb/>
gut. Nicht die Paragraphen und Inſtitutionen, die Herzen der<lb/>
Menſchen wollte er wandeln; an die Stelle kleiner Geſinnung<lb/>ſollte hohe Liebe und idealer Schwung, an die Stelle philiſtröſer<lb/>
Beſchränktheit eine opferfreudige Begeiſterung treten, —ſo wollte<lb/>
er reformiren. Vortrefflich; aber wie? wodurch? Um die Weckung<lb/>
oder Mehrung dieſer Dinge hat es ſich immer gehandelt. Wie aber<lb/>
wollte Marwitz an die Herzen heran, wie wollte er das Wunder<lb/>
vollziehen? Die Antwort auf dieſe Frage iſt er ſchuldig geblieben.<lb/>
Er zeigte das Ziel, aber nicht den Weg. Die bloße Bußpredigt<lb/>
und ein langes Sündenregiſter haben noch nie geholfen. Hier liegt<lb/>ſein Fehler, ſein <hirendition="#g">politiſcher</hi> Fehler. Das Alte, ob mit Recht oder<lb/>
Unrecht, war jedem ein Gräuel geworden; es war unmöglich,<lb/>
wenigſtens <hirendition="#g">damals</hi> unmöglich, eine Begeiſterung dafür wach zu<lb/>
rufen; wenn Leben überhaupt geweckt werden ſollte, ſo mußte es<lb/>
für etwas <hirendition="#g">Neues</hi> geweckt werden, ſelbſt auf die Gefahr hin, daß<lb/>
es ſich als ein Falſches erweiſen würde. Es handelte ſich in dieſem<lb/>
Augenblick nicht um geſunde <hirendition="#g">Nahrungs-</hi>, ſondern um <hirendition="#g">Bele-<lb/>
bungs-</hi> und <hirendition="#g">Erweckungsmittel</hi>. Dieß wußte Hardenberg, in<lb/><hirendition="#g">dem</hi> Sinne handelte er und dafür haben wir ihm zu danken, ſei<lb/>
er im übrigen wie er ſei.</p><lb/><p>Der alte ſtändiſche Staat hatte dem Sturm nicht widerſtan-<lb/>
den und ein neues Haus mußte bezogen werden, <hirendition="#g">wenigſtens<lb/>
auf Probe</hi>. Möglich, daß der Zuſammenſturz nicht an der<lb/>
Schlechtigkeit des alten Baus, ſondern an der Heftigkeit des<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[381/0393]
Das fühlte Marwitz ſehr wohl. Er vertheidigte alſo das Stän-
diſche als ein äußerlich ererbtes Gut, aber er hielt es auch auf-
recht im vollen Glauben an die innerliche Berechtigung deſſelben.
Dieß führt mich von der einfachen Rechtsfrage auf das politi-
ſche Gebiet.
Mußte der alte ſtändiſche Bau fallen, oder nicht? Millionen
ſagten ja, Marwitz ſagte nein. Für ihn handelte ſich alles um
Wiederbelebung; nicht Tod, nur Lähmung war über den
alten, kräftigen Organismus des Landes gekommen; es galt einen
Bann, eine Krankheit von ihm zu nehmen, und alles war wieder
gut. Nicht die Paragraphen und Inſtitutionen, die Herzen der
Menſchen wollte er wandeln; an die Stelle kleiner Geſinnung
ſollte hohe Liebe und idealer Schwung, an die Stelle philiſtröſer
Beſchränktheit eine opferfreudige Begeiſterung treten, — ſo wollte
er reformiren. Vortrefflich; aber wie? wodurch? Um die Weckung
oder Mehrung dieſer Dinge hat es ſich immer gehandelt. Wie aber
wollte Marwitz an die Herzen heran, wie wollte er das Wunder
vollziehen? Die Antwort auf dieſe Frage iſt er ſchuldig geblieben.
Er zeigte das Ziel, aber nicht den Weg. Die bloße Bußpredigt
und ein langes Sündenregiſter haben noch nie geholfen. Hier liegt
ſein Fehler, ſein politiſcher Fehler. Das Alte, ob mit Recht oder
Unrecht, war jedem ein Gräuel geworden; es war unmöglich,
wenigſtens damals unmöglich, eine Begeiſterung dafür wach zu
rufen; wenn Leben überhaupt geweckt werden ſollte, ſo mußte es
für etwas Neues geweckt werden, ſelbſt auf die Gefahr hin, daß
es ſich als ein Falſches erweiſen würde. Es handelte ſich in dieſem
Augenblick nicht um geſunde Nahrungs-, ſondern um Bele-
bungs- und Erweckungsmittel. Dieß wußte Hardenberg, in
dem Sinne handelte er und dafür haben wir ihm zu danken, ſei
er im übrigen wie er ſei.
Der alte ſtändiſche Staat hatte dem Sturm nicht widerſtan-
den und ein neues Haus mußte bezogen werden, wenigſtens
auf Probe. Möglich, daß der Zuſammenſturz nicht an der
Schlechtigkeit des alten Baus, ſondern an der Heftigkeit des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/393>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.