Sturms gelegen hatte; möglich das alles, aber die Verhältnisse gestatteten damals nicht, solche Möglichkeiten in Frage zu ziehen oder ruhig darüber zu discutiren. Rasche Hülfe war nöthig. Zwan- zig oder dreißig Jahre später durfte geschehen, was 1811 eine Unmöglichkeit war, und dem einsichtsvollen und gerechten Fürsten, den wir eben verloren haben, stand bei seinem Regierungsantritt allerdings das Recht zu, den ständischen Staat, der unter'm Drang der Umstände kritiklos bei Seite geworfen war, auf seinen Werth und seine Stichhaltigkeit noch einmal zu prüfen. Das Jahr 1846 brachte uns die vereinigten Landtage. Ob die Formen, unter denen der vereinigte Landtag in's Leben trat, ob namentlich die rheinische Bourgeoisie und ihr großer Einfluß, dem Marwitz'schen Ideale entsprochen hätte, muß freilich dahin gestellt bleiben.
Diese nur allzu begründeten Zweifel führen mich auf Mar- witz zurück und zwar auf seine angreifbarste, wenn auch mit Rück- sicht auf die Zeit, in der er lebte, wenigstens halb erklärliche, halb zu entschuldigende Seite. Ich meine sein Verhältniß zum Bür- gerstand. Er ließ den "Bürgerstand" gelten, so weit er in die alte ständische Institution hineinpaßte, aber er haßte die "Gebilde- ten." Da die Bürgerlichen zu jener Zeit überwiegend die Träger dieser Bildung waren, so wurde daraus eine Verkleinerung, eine völlig schiefe Stellung zum Bürgerthum überhaupt. Daß das damalige, von Freigeisterei und Revolutionsideen erfüllte Bürger- thum, das, theilweise wenigstens, die Niederlage von Jena mit Befriedigung verkündigt hatte, ihn wenig mit Freude und Hoch- achtung erfüllen konnte, war eben so begreiflich wie berechtigt, aber er verharrte in dieser Abneigung auch noch, als die Ereig- nisse des Jahres 1813, und zwar nicht nur die Erhebung des Volks (von der er, als von einer Massenerhebung, nicht einmal besonders hoch dachte), sondern speciell die Begeisterung der "Ge- bildeten" ihm den Beweis geliefert hatte, daß auch ein Gebildeter für eine gute Sache zu fechten und zu sterben verstehe. Er selbst gab diese Dinge im Einzelnen zu (z. B. in seiner Darstellung des Hagelsberger Gefechts), aber dem ganzen Stande gegenüber blieb
Sturms gelegen hatte; möglich das alles, aber die Verhältniſſe geſtatteten damals nicht, ſolche Möglichkeiten in Frage zu ziehen oder ruhig darüber zu discutiren. Raſche Hülfe war nöthig. Zwan- zig oder dreißig Jahre ſpäter durfte geſchehen, was 1811 eine Unmöglichkeit war, und dem einſichtsvollen und gerechten Fürſten, den wir eben verloren haben, ſtand bei ſeinem Regierungsantritt allerdings das Recht zu, den ſtändiſchen Staat, der unter’m Drang der Umſtände kritiklos bei Seite geworfen war, auf ſeinen Werth und ſeine Stichhaltigkeit noch einmal zu prüfen. Das Jahr 1846 brachte uns die vereinigten Landtage. Ob die Formen, unter denen der vereinigte Landtag in’s Leben trat, ob namentlich die rheiniſche Bourgeoiſie und ihr großer Einfluß, dem Marwitz’ſchen Ideale entſprochen hätte, muß freilich dahin geſtellt bleiben.
Dieſe nur allzu begründeten Zweifel führen mich auf Mar- witz zurück und zwar auf ſeine angreifbarſte, wenn auch mit Rück- ſicht auf die Zeit, in der er lebte, wenigſtens halb erklärliche, halb zu entſchuldigende Seite. Ich meine ſein Verhältniß zum Bür- gerſtand. Er ließ den „Bürgerſtand“ gelten, ſo weit er in die alte ſtändiſche Inſtitution hineinpaßte, aber er haßte die „Gebilde- ten.“ Da die Bürgerlichen zu jener Zeit überwiegend die Träger dieſer Bildung waren, ſo wurde daraus eine Verkleinerung, eine völlig ſchiefe Stellung zum Bürgerthum überhaupt. Daß das damalige, von Freigeiſterei und Revolutionsideen erfüllte Bürger- thum, das, theilweiſe wenigſtens, die Niederlage von Jena mit Befriedigung verkündigt hatte, ihn wenig mit Freude und Hoch- achtung erfüllen konnte, war eben ſo begreiflich wie berechtigt, aber er verharrte in dieſer Abneigung auch noch, als die Ereig- niſſe des Jahres 1813, und zwar nicht nur die Erhebung des Volks (von der er, als von einer Maſſenerhebung, nicht einmal beſonders hoch dachte), ſondern ſpeciell die Begeiſterung der „Ge- bildeten“ ihm den Beweis geliefert hatte, daß auch ein Gebildeter für eine gute Sache zu fechten und zu ſterben verſtehe. Er ſelbſt gab dieſe Dinge im Einzelnen zu (z. B. in ſeiner Darſtellung des Hagelsberger Gefechts), aber dem ganzen Stande gegenüber blieb
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Sturms gelegen hatte; möglich das alles, aber die Verhältniſſe
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zig oder dreißig Jahre ſpäter durfte geſchehen, was 1811 eine
Unmöglichkeit war, und dem einſichtsvollen und gerechten Fürſten,
den wir eben verloren haben, ſtand bei ſeinem Regierungsantritt
allerdings das Recht zu, den ſtändiſchen Staat, der unter’m Drang
der Umſtände kritiklos bei Seite geworfen war, auf ſeinen Werth
und ſeine Stichhaltigkeit noch einmal zu prüfen. Das Jahr 1846
brachte uns die vereinigten Landtage. Ob die Formen, unter
denen der vereinigte Landtag in’s Leben trat, ob namentlich die
rheiniſche Bourgeoiſie und ihr großer Einfluß, dem Marwitz’ſchen
Ideale entſprochen hätte, muß freilich dahin geſtellt bleiben.
Dieſe nur allzu begründeten Zweifel führen mich auf Mar-
witz zurück und zwar auf ſeine angreifbarſte, wenn auch mit Rück-
ſicht auf die Zeit, in der er lebte, wenigſtens halb erklärliche, halb
zu entſchuldigende Seite. Ich meine ſein Verhältniß zum Bür-
gerſtand. Er ließ den „Bürgerſtand“ gelten, ſo weit er in die
alte ſtändiſche Inſtitution hineinpaßte, aber er haßte die „Gebilde-
ten.“ Da die Bürgerlichen zu jener Zeit überwiegend die Träger
dieſer Bildung waren, ſo wurde daraus eine Verkleinerung, eine
völlig ſchiefe Stellung zum Bürgerthum überhaupt. Daß das
damalige, von Freigeiſterei und Revolutionsideen erfüllte Bürger-
thum, das, theilweiſe wenigſtens, die Niederlage von Jena mit
Befriedigung verkündigt hatte, ihn wenig mit Freude und Hoch-
achtung erfüllen konnte, war eben ſo begreiflich wie berechtigt,
aber er verharrte in dieſer Abneigung auch noch, als die Ereig-
niſſe des Jahres 1813, und zwar nicht nur die Erhebung des
Volks (von der er, als von einer Maſſenerhebung, nicht einmal
beſonders hoch dachte), ſondern ſpeciell die Begeiſterung der „Ge-
bildeten“ ihm den Beweis geliefert hatte, daß auch ein Gebildeter
für eine gute Sache zu fechten und zu ſterben verſtehe. Er ſelbſt
gab dieſe Dinge im Einzelnen zu (z. B. in ſeiner Darſtellung des
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/394>, abgerufen am 21.11.2024.
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